1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Neue Muskeln für Europa?

Sven Pöhle9. März 2015

EU-Kommissionspräsident Juncker und Bundesverteidigungsministerin von der Leyen bringen das Thema "EU-Armee" auf die Agenda. Welche Vor- und Nachteile hätte diese?

https://p.dw.com/p/1Eni9
Bundeswehrsoldaten nehmen an einer Übung der Quick Reaction Force (QRF) in Bergen teil (Foto: Alexander Koerner/Getty Images)
Bild: Getty Images/A. Koerner

Angesichts der Spannungen mit Russland hat sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für die Gründung einer gemeinsamen Armee in Europa ausgesprochen. Sein Vorstoß erhält auch Unterstützung aus Deutschland. DW beantwortet die wesentlichen Fragen zu diesem Thema:

Warum sorgt das Thema gerade jetzt für Schlagzeilen?

Hintergrund ist die Ukraine-Krise und das in Europa vielfach als äußerst aggressiv wahrgenommene außenpolitische Verhalten Russlands. Eine Armee der Europäer würde auch "Russland den Eindruck vermitteln, dass man es ernst meint damit, europäische Werte zu verteidigen", glaubt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Wie beurteilt die Bundesregierung die Idee?

Die Bundesregierung steht der Idee einer europäischen Armee offen gegenüber. Im vergangenen Bundestagswahlkampf warb vor allem die SPD dafür. Der Vorschlag schaffte es in den Koalitionsvertrag. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) sprachen sich für eine vertiefte militärische Zusammenarbeit in Europa aus. Sie betonten aber, dass es sich dabei um ein "Zukunftsprojekt" handele.

Welche Vorteile hätte eine europäische Armee?

Derzeit existieren innerhalb der EU 28 Armeen mit etwa 1,5 Millionen Soldaten, die weitgehend das Gleiche tun. Dies sorgt für Dopplungen bei Personal und Material und somit für hohe Kosten. Eine europäische Zusammenarbeit könnte etwa bei der Entwicklung, dem Kauf und der Nutzung von militärischem Gerät Kosten sparen, so Befürworter der Idee. Bei einer Aufgabenteilung könnten sich einzelne Staaten auf bestimmte militärische Fähigkeiten spezialisieren oder diese entwickeln, um sie dann gegebenenfalls im gemeinsamen Verbund einzusetzen.

Hinzu kommt: Die europäischen Staaten leben seit vielen Jahren friedlich zusammen. Nationale Verteidigung ergibt im Verhältnis untereinander für viele keinen Sinn mehr. Die immer engeren Verflechtungen der Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass sicherheitspolitische Fragen nicht nur einzelne Staaten, sondern die EU als Ganzes betreffen. Eine europäische Armee soll nach Ansicht ihrer Befürworter Geschlossenheit und Stärke symbolisieren.

Ein Bundeswehrsoldat in Bosnien bekommt das neue EUFOR-Zeichen an seine Uniform (Foto: AP Photo/Hidajet Delic)
Ein Bundeswehrsoldat in Bosnien. Demnächst nur noch unter EU-Flagge?Bild: picture-alliance/AP Photo/Hidajet Delic

Welche Hindernisse gibt es?

Grundlage für eine europäische Armee ist eine einheitliche europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Diese gibt es in der politischen Realität bislang nicht. Jede europäische Nation müsste letztlich auf hoheitliche Rechte und damit letztlich auf Macht verzichten. Prinzipiell ist allerdings fraglich, ob alle Mitgliedsstaaten Willens sind, die Entscheidung über den Einsatz und die Verwendung ihrer eigenen Truppen im Rahmen einer europäischen Armee nach Brüssel abzugeben.

Das Militär gilt als wesentliches Symbol nationalstaatlicher Souveränität und hat in den meisten EU-Staaten eine lange Tradition. Eine Unterstellung unter die Führung der EU galt lange Zeit als undenkbar - insbesondere für größere Staaten, die ihr Militär als ein wesentliches Element ihres politischen Einflusses sehen.

Voraussetzung für eine gemeinsame europäische Armee wäre zudem, dass sich alle Mitgliedsstaaten auf einen rechtlichen Modus für den Einsatz der gemeinsamen Truppen einigen. Bei den rechtlichen Bedingungen für Auslandseinsätze gibt es in Europa wesentliche Unterschiede. In Frankreich wurde 2008 eine neue Regelung eingeführt, nach der ein Einsatz der Zustimmung durch das Parlament bedarf, wenn er vier Monate überschreitet. In Großbritannien herrscht zwar keine rechtliche Verpflichtung zur Parlamentsbeteiligung. In der jüngeren Praxis gibt es allerdings gewissermaßen eine Parlamentsbeteiligung per Gewohnheitsrecht: Die Premierminister holten sich zuletzt mehrfach im House of Commons die politische Rückendeckung für Auslandseinsätze. In Deutschland wiederum muss das Parlament der Entsendung bewaffneter militärischer Kräfte ins Ausland oder der Verlängerung eines Einsatzes bereits im Vorfeld zustimmen. In einigen anderen Staaten ist dies gleichermaßen geregelt.

Deutsche und niederländische Soldaten marschieren am 12.06.2014 in Stadtallendorf (Hessen) mit ihren jeweiligen Flaggen bei einer Zeremonie über den Rasen (Foto:
Gemeinsam stark? Deutsche und niederländische Soldaten.Bild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst

Ist die Idee einer europäischen Armee neu?

Nein. Die Idee einer eigenständigen europäischen Armee ist fast so alt, wie die EU selbst, deren Vorgänger bereits in den frühen 1950er-Jahren geboren wurde. Schon damals wollten Frankreich, Deutschland, Italien und die Benelux-Staaten als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg die Europäische Verteidigungsgemeinschaft schaffen. Das Projekt scheiterte in der französischen Nationalversammlung.

Seitdem landet der Vorschlag regelmäßig auf der internationalen Agenda. Nach dem Kalten Krieg, indem sich NATO und Warschauer Pakt gegenüberstanden, bekam die Idee wieder neuen Schwung. Als die Europäer im ehemaligen Jugoslawien zu einem eigenständigen Eingreifen nicht in der Lage waren, sondern USA und NATO handelten, wuchs die Einsicht, dass sich Europa in diesem Bereich neu organisieren müsse.

Was ist seitdem passiert?

Im Wesentlichen handelt es sich bei den ersten Ansätzen einer militärischen Zusammenarbeit innerhalb der EU um bilaterale Vereinbarungen. Deutschland arbeitet im Rahmen der deutsch-französischen Brigade bereits mit der französischen Armee zusammen, momentan beispielsweise bei einem Trainingseinsatz in Mali. Im Juni vergangenen Jahres wurde mit der 11. Luftbeweglichen Brigade erstmals ein niederländischer Kampfverband der Bundeswehr unterstellt. Auch mit Polen plant die Bundeswehr eine derartige Zusammenarbeit: Eine deutsche Brigade soll das Kommando über ein polnisches Bataillon übernehmen. Im Gegenzug werde die Bundeswehr ein Bataillon mit etwa 600 Soldaten an das polnische Militär übergeben, kündigte der Kommandeur des Heeres, Bruno Kasdorf, zuletzt an.

Bereits 2004 hatte die EU beschlossen, militärische Einsatztruppen zur Intervention in Krisengebieten aufzustellen. Diese sogenannten "Battle Groups", rotierende gemeinsame Verbände, werden seit 2005 einsatzbereit gehalten. Zum Einsatz kamen sie bislang allerdings noch nie.