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Erste Begegnung mit den Sowjets

7. Juni 2010

Götz Bergander war 18 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Er lebte in Dresden auf dem Gelände einer Hefefabrik. Im Keller lagerten große Mengen Schnaps - ein lebensrettender Umstand.

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Wachsoldaten der sowjetischen Stadtkommandantur Dresden, die zum Schutz der Fa. Bramsch und zur Kontrolle des Wiederanlaufens der Produktion eingesetzt waren. (Foto: Götz Bergander)
Sowjetische Soldaten überwachen die SchnapsproduktionBild: Götz Bergander

Der 8. Mai 1945 ist in Dresden ein herrlicher Frühlingstag. Die Kapitulation der Wehrmacht ist nachts über das Radio verbreitet worden. Die letzten Kämpfe auf der Neustädter Seite der Stadt sind vorbei. Es herrscht eine Stille, die man in den vergangenen Monaten nicht erlebt hatte. Aber es wird ein ereignisreicher Tag.

Rote Armee

Gruppenfoto des sowjetischen Chefs der Wache, seiner Begleiterin, einem Soldaten und Götz Berganders Vater Emil Mitte Mai 1945 im Hof der Firma Bramschn in Dresden. (Foto: Götz Bergander)
Der Chef der sowjetischen Wache mit Begleiterin, ein Soldat und Götz Berganders Vater Emil im Hof der Firma BramschBild: Götz Bergander

Gemeinsam mit der russischen Haushälterin Anna geht Götz Bergander an das Tor des Fabrikgeländes der Firma Bramsch, auf dem seine Familie wohnt. Sein Vater ist als Chemiker bei der Firma angestellt. Eigentlich erwartet er sowjetische Panzer. "Aber es kam zunächst nur ein einzelner Russe, der mit seiner Maschinenpistole dauernd auf mich zeigte.“

Dann aber biegt ein Pritschenwagen mit sowjetischen Soldaten um die Ecke, die bester Laune nach Schnaps fragen. Götz Bergander erinnert sich an diesen Moment: “Auf dem Fabrikhof wurde es lauter und immer voller, es kamen viele sowjetische Soldaten, Fremdarbeiter aus einem Lager ganz in der Nähe, Kriegsgefangene und auch Deutsche.“ Manche geben sich jovial, andere tragen rote Armbinden und rufen "Ich Kommunist!".

Die meisten Frauen haben sich versteckt, sie haben Angst vor den Massenvergewaltigungen, die sich entlang der vordringenden Roten Armee zugetragen haben. An diesem 8. Mai 1945 aber haben die sowjetischen Soldaten etwas anderes im Sinn. Götz Bergander erinnert sich daran, wie es im Weinkeller zuging: “Zwischen den Regalen rauften die Soldaten um die Flaschen und jeder schleppte davon, so viel er konnte.“

Anna

Götz Bergander hat Angst vor dem Moment, an dem kein Schnaps mehr da ist und die Soldaten gewalttätig werden. Aber ein sowjetischer Offizier rettet die Situation, macht Götz' Vater kurzer Hand zum Direktor mit der Aufgabe, auch in Zukunft für genügend Schnaps zu sorgen. Derweil ist Anna verschwunden. Sie hat Angst vor ihren Landsleuten, weil sie wegen Kollaboration mit dem Feind angeklagt und zum Tod verurteilt werden könnte.

Aber dann kommt sie noch einmal wieder, drückt Götz Bergander einen Korb mit Lebensmitteln in die Hand. “Ich hatte immer zu ihr gesagt, dass ich erschossen werde, wenn die Russen kommen. Nein Du wirst nicht erschossen, hatte sie entgegnet. Ihre Leute seien nicht so schlimm. Und jetzt, siehe da, sagte sie, Du lebst!"

Ich bejahte, dass ich noch lebe würde. Das war das letzte, was ich von Anna hörte. "Danach habe ich nie wieder etwas von ihr gehört."

Wie in einer Kiste

Bild der verwüsteten Wohnung der Familie Bergander in Dresden nach den Bombenangriffen vom 14. und 15. Februar 1945. (Foto: Götz Bergander)
Die verwüstete Wohnung nach den BombenangriffenBild: Götz Bergander

Drei Monate zuvor hatte Götz Bergander die schweren Luftangriffe auf Dresden überlebt. Am Mittag des 14. Februar 1945 steht er mit anderen auf dem Hof der Fabrik. Auf der Straße liefen blutverschmierte Menschen ins nahegelegene Krankenhaus, als plötzlich jemand ruft: “Ich hör es wieder Brummen!“ So schnell es geht, laufen alle in den Luftschutzkeller der Firma.

Wenige Minuten später beginnt der Tagesangriff anglo-amerikanischer Bomberverbände, die weite Teile Dresdens in Schutt und Asche legen. Im Luftschutzkeller hört man die Detonationen: “Man hatte das Gefühl, in einer Kiste zu sitzen und rundherum wird dauernd auf die Kiste geschlagen - mal entfernt, mal näher.“

Im Keller breiten sich dichte Staubwolken aus. Jedes Mal, wenn die Einschläge in unmittelbarer Nähe sind, werfen sie sich auf den Boden des Kellers - Stunden der Todesangst.

Glück im Unglück

Dresden, 16. Januar 1945. Brennende Treibstoffwaggongs an der Magdeburger Straße nach dem Luftangriff am Mittag. Im Hindergrund die noch unzerstörte Zigarettenfabrik Yenidze und der Schloßturm. (Foto: Götz Bergander)
Dresden brennt nach den alliierten Bombenangriffen vom 16. Januar 1945Bild: Götz Bergander

Die Ruhe nach dem Bombardement wird von den Kommandos und den Schreien der Löschkommandos abgelöst. Es müssen Funken ausgeschlagen werden, die für die nicht getroffenen Häuser genauso gefährlich werden können wie die Bomben selber.

Überall brannte es. Das Haus hatte keinen Dachstuhl mehr, die Fenster waren zerborsten, aber die Mauern hielten stand. "Dann sahen wir, dass keine zehn Meter um unser Haus herum drei Sprengbomben gefallen waren. Unser Haus ist stehen geblieben. Das ist für mich heute noch ein Wunder!"

Autor: Matthias von Hellfeld

Redaktion: Kay-Alexander Scholz