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Erler: "Von Lagerdenken halte ich nichts"

Nikita Jolkver10. Januar 2014

SPD-Politiker Gernot Erler wird der neue Russland-Koordinator der Bundesregierung. Im DW-Interview ruft er zu mehr Verständnis für russische Positionen auf. Dies sei wichtig für einen konstruktiven Dialog.

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Porträt von Gernot Erler (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Erler, einige in Moskau sagen, Ihr Vorgänger, Andreas Schockenhoff, war zu kritisch und intolerant gegenüber Russland. Teilen Sie diese Einschätzung?

Gernot Erler: Der große Vorteil der deutsch-russischen Beziehung besteht darin, dass wir eine verlässliche Kontinuität über mehrere Regierungsperioden hinweg haben. Dass dann im Einzelnen immer unterschiedliche Prioritäten gesetzt werden, ändert nichts daran und ich werde selber natürlich dazu beitragen - übrigens mit vollem Respekt für das, was mit meinem Kollegen Andreas Schockenhoff seit 2006 hier geleistet worden ist, um das fortzusetzen.

Sollte man auch weiterhin versuchen, Russland mit dem Maßstab der europäischen Werte messen?

Das ist vernünftig und auch erlaubt. Aber es kommt am Ende darauf an, auch einen rationalen Dialog über die Interessen von Russland zu führen und dabei eben immer auch eine Möglichkeit offen zu lassen, das Gesicht zu wahren. Das ist einfach meine Erfahrung im Umgang mit Russland.

Was bedeutet das in der Praxis? Soll man bestimmte Ereignisse in Russland nicht mehr kritisch begleiten?

Nein, das hat auch noch niemand vorgeschlagen. Aber man sollte auch versuchen, vorher die Position der anderen Seite auch vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen und der Vergangenheit zu verstehen. Dann kann man es vielleicht so machen, dass das von der anderen Seite nicht als stereotyp empfunden wird, sondern vielleicht als etwas, auf dem man einen konstruktiven Dialog aufbauen kann. Von einem Lagerdenken - hier die Russland-Versteher und da die Russland-Kritiker - halte ich überhaupt nichts.

Die deutschen Medien berichten in vielen Fällen kritisch über die bevorstehenden Olympischen Winterspiele in Sotschi. Ist diese Kritik übertrieben?

Ich hoffe, dass mit dem Beginn der Spiele die Chance besteht, die vielen Facetten des russischen Lebens kennenzulernen - und die bestehen nicht nur aus der Arbeit des Präsidenten Wladimir Putin. Das ist bisher immer geglückt bei Olympischen Spielen. Ich würde mir wünschen, dass ich in meiner Funktion als Koordinator ein bisschen dazu beitragen kann.

Fahren Sie denn selbst nach Sotschi?

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, aber ich schließe es auf keinen Fall aus.

Ist die Freilassung des Unternehmers Michail Chodorkowski und anderer Gefangener ein Zeichen des politischen Tauwetters in Russland?

Erstmal ist das auf jeden Fall ein ganz wichtiger Akt für die Beteiligten gewesen - ob für Chodorkowski, die Vertreterinnen von Pussy Riot oder andere. Darin steckt auch eine Chance für die, die nicht in den Genuss der Amnestie gekommen sind. Was sich da entwickelt hat, hat eine Dynamik und kann nicht so leicht wieder gestoppt werden. Es besteht die Chance, dass sich hier wirklich etwas ändert.

Wie sehen Sie die Rolle Putins in dieser Angelegenheit?

Man kann ganz nüchtern feststellen, dass der russische Präsident das Projekt Sotschi mit seinem Namen verbunden hat. Natürlich hat er ein großes Interesse daran, dass das ein internationaler Erfolg wird. Putin ist jetzt offenbar bereit, doch eine ganze Reihe von Maßnahmen - man kann es auch Zugeständnisse nennen - vorzunehmen, damit dieser Erfolg auch abgesichert wird. Diese Atmosphäre gilt es zu nutzen, von Betroffenen aber auch von der aktiven Zivilgesellschaft, die darauf hinweist, dass es eben noch eine ganze Reihe von politischen Themen gibt, die hier auch eine Rolle spielen.

Das Verhalten Moskaus gegenüber der Ukraine wurde aus Europa zuletzt kritisiert.

Die Ukraine hat als Land zwischen Russland und der EU erhebliche Probleme. Dazu gehören akute Schwierigkeiten im finanziellen Bereich, von denen die ukrainische Politik getrieben wird. Sie braucht kurzfristige Lösungen. Die russische Seite ist hier mit erheblichen Mitteln tätig geworden, auch mit der dramatischen Reduzierung des Gaspreises, um der Ukraine Linderung in dieser schwierigen Situation zu schaffen. Das waren Maßnahmen, die in dieser Form als Angebot von der EU nicht kamen, vielleicht auch nicht in diesem Umfang kommen konnten. Das ist einfach eine ganz nüchterne Beschreibung der Situation und das muss man abtrennen von den langfristigen Perspektiven, die dieses Land hat. Darüber wird nicht nur auf dem Maidan, sondern im ganzen Land gestritten und da gibt es auch die entsprechenden Protestbewegungen, die nicht wollen, dass hier irgendeine Tür geschlossen wird. Die Mitglieder der Opposition haben eine gute Chance, diese Grundentscheidung jetzt aufzuschieben und sie nicht in Verbindung mit den aktuellen Notsituationen zu treffen.

Was halten Sie von dem Vorschlag Putins, das Problem in einem Dreiergespräch zwischen Kiew, Moskau und Brüssel zu erörtern?

Ich glaube, dass auf jeden Fall Gespräche stattfinden müssen und dass Russland auch miteinbezogen werden muss. Nur ist das natürlich eine ganz kurzfristige Maßnahme, angesichts der doch sehr starken Brüskierung, die hier stattgefunden hat. Da kann man als Reaktion nicht sofort in Dreiergespräche eintreten. Aber dass es hier einen Dialog über die weitere Entwicklung der östlichen Partnerschaft und besonders der Ukraine geben muss - auch zwischen der EU und Russland - steht für mich außer Frage.