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Erdogan will Zensur verschärfen

Sarah Steffen / Marcus Lütticke12. Januar 2014

Die türkische Regierung plant offenbar, die Nutzung des Internets in der Türkei noch stärker zu überwachen und unliebsame Websites gezielt zu sperren. Auf der Straße und im Parlament regt sich Widerstand.

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Recep Tayyip Erdogan (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images

Die türkische Regierung kommt nicht zur Ruhe. Nach Massenprotesten auf den Straßen von Ankara kam es am Samstag (11.01.2014) auch zu Tumulten im Parlament. Während einer Sitzung des Justizausschusses sei ein Abgeordneter auf einen Tisch gesprungen und habe nach einem Kollegen getreten, berichtete ein Augenzeuge. Mehrere Abgeordnete hätten daraufhin aufeinander eingeschlagen und mit Akten, Wasserflaschen und einem Tablet-Computer um sich geworfen.

Grund für die Auseinandersetzungen sind drastische Eingriffe der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in den Rechtsstaat. Nachdem der Regierungschef in Folge des Korruptionsskandals schon einige Führungskräfte der Polizei abgesetzt hatte, nimmt er nun auch die Justiz verstärkt ins Visier. Ein neuer Gesetzesentwurf soll der Regierung mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern und Staatsanwälten geben. Außerdem drangen Pläne zur verstärkten Kontrolle des Internets an die Öffentlichkeit.

Schutz oder Zensur?

Das türkische Familien- und Sozialministerium legte nun einen Gesetzentwurf vor, der es den Behörden erlauben würde, gezielt einzelne Websites zu sperren und von allen Internetnutzern für bis zu zwei Jahre die abgerufenen Seiten zu speichern.

Tastaturtaste mit türkische Flagge (Foto: kebox - Fotolia.com)
Schon jetzt gibt es eine strenge Kontrolle des Internet in der TürkeiBild: kebox - Fotolia.com

"Bisher gab es eine beschränkte Anzahl von Inhalten, die als illegal eingestuft wurden. Solche Seiten konnten in der Türkei gesperrt werden", erklärt Yaman Akdeniz, Rechtswissenschaftler an der Bilgi Universität in Istanbul. "Dazu gehörten zum Beispiel Kinderpornografie, Glücksspiel, Anstiftung zum Suizid, Anstiftung zur Prostitution und Escort-Seiten."

Nun aber, so Akdeniz, versuche die Regierung, diese Sperren auf Bereiche wie Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Eingriffe in die Privatsphäre auszuweiten. Falls unerwünschte Videos über Parlamentarier von Erdogans Partei AKP auftauchen würden, könnten diese nach dem neuen Gesetz gesperrt werden, befürchtet Akdeniz.

"Man könnte dann argumentieren, dass ein Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte vorliegt, wenn die gezeigte Person nicht ihre Zustimmung gegeben hat." Akdeniz ist sich sicher: "Angenommen, es würde ein Video mit dem Ministerpräsidenten auftauchen - es käme sofort die Anweisung, dieses zu blockieren."

Strenge Kontrollen schon seit 2007

Schon jetzt gibt es eine strenge Kontrolle des Netzes in der Türkei. Im Jahr 2007 wurde das komplette Angebot von YouTube für 18 Monate gesperrt. 2012 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass das Gesetz im Widerspruch zu Artikel 10 der Europäischen Konvention für Menschenrechte steht, der die Redefreiheit garantiert. Zurzeit sind laut Schätzungen etwa 40.000 Websites in der Türkei gesperrt.

Google veröffentlichte im vergangenen Monat Zahlen, nach denen die Türkei weltweit die meisten Anträge auf Löschung bestimmter Inhalte bei dem Unternehmen gestellt hat. In der ersten Jahreshälfte 2013 bat die Türkei Google, 12.162 Artikel zu löschen - eine Verzehnfachung im Vergleich zum Halbjahr davor.

Gruppe von Netzaktivisten (Foto: AFP/Getty Images)
Die Proteste im Gezi-Park wurden auch über die sozialen Netzwerke organisiertBild: AFP/Getty Images

Auch wenn die Regierung argumentiert, sie schütze lediglich Kinder vor unangemessenen Inhalten - Netzaktivisten wie Ahmet Sabanci halten das für einen Vorwand. Die Regierung, so sagt er, versuche seit den Protesten im Gezi-Park im letzten Jahr, die Redefreiheit der Menschen einzuschränken. Im Zuge des nun aufgedeckten Korruptionsskandals werde das Ganze noch ausgeweitet. Bisher, so Sabanci, habe die türkische Regierung schon die traditionellen Medien stark kontrolliert. Nun versuche sie auch die Kontrolle über die sozialen Netzwerke und Blogs zu gewinnen.

Neue Eingriffsmöglichkeiten

Mit der geplanten Gesetzgebung könne die Regierung gezielt einzelne URLs anstatt ganzer Websites sperren. "Sie können nun gezielt einen Facebook-Account oder einen bestimmten Twitter-Nutzer abschalten", erklärt Sabanci. Dadurch werde die Zensur sehr viel leichter. Erdogan hatte die sozialen Netzwerke als eine "Bedrohung der Gesellschaft" bezeichnet.

Die Internetprovider würden außerdem verpflichtet, einem staatlich kontrollierten Verband beizutreten, um weiter arbeiten zu dürfen. "Und sie werden verpflichtet, alternative Zugänge zu gesperrten Seiten zu schließen", berichtet Akdeniz. In der Konsequenz würden dadurch einige oder möglicherweise alle Proxy-Websites, mit denen man Sperren umgehen kann, nicht mehr abrufbar sein.

Chinesische Verhältnisse?

Kritiker befürchten, dass sich die Türkei in Richtung einer Zensur wie in China entwickeln könnte. Ein Sprecher der Regierungspartei AKP wies einen solchen Vergleich jedoch entschieden zurück: "Die Türkei ist nicht China und wird in dieser Beziehung auch niemals so sein wie China." Er fügte hinzu, dass es möglich sein müsse "einige Gesetze zu sozialen Netzwerken und Online-Medien" zu haben.

Ausschreitungen in Istanbul (Foto: picture-alliance/dpa)
Nach dem Korruptionsskandal wächst die Kritik an Regierungschef ErdoganBild: picture-alliance/dpa

Laut der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation Committee to Protect Journalists (CPJ) geht die Türkei auch weiterhin hart gegen einige Pressevertreter im Land vor. 2013 waren in der Türkei 40 Journalisten inhaftiert. Die Türkei sei "ein Land, das in absoluten Zahlen mehr Journalisten einsperre als jedes andere Land auf der Welt", erklärt Geoffrey King von der CPJ. Zum Vergleich: China hatte im gleichen Jahr 32 Journalisten inhaftiert.

Die türkische Regierung muss sich bei den neuen Zensurplänen neben Protesten im eigenen Land auch auf juristischen Widerstand aus Europa einstellen. Netzaktivist Ahmet Sabanci hat angekündigt, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen, falls das neue Gesetz tatsächlich kommen sollte.