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Erdogan polarisiert auch Deutschtürken

Jeanette Seiffert/Nastasja Steudel19. Mai 2014

Viele deutsche Politiker kritisieren den geplanten Auftritt von Recep Tayyip Erdogan in Köln. Auch unter den Türken in Deutschland ist er umstritten - was will der türkische Ministerpräsident erreichen?

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Erdogan-Unterstützer in Berlin - Foto: Adam Berry
Bild: Getty Images

Mehr als 300 Tote beim Grubenunglück in Soma, gleich mehrere missglückte Auftritte des Regierungschefs Tayyip Erdogan - und er steigt wenige Tage später ins Flugzeug nach Deutschland, um sich in Köln von tausenden Anhängern bejubeln zu lassen? Für viele deutsche Politiker ist das eine schwer erträgliche Vorstellung. Selten haben sich so viele Vertreter unterschiedlicher Parteien zu dem Besuch eines ausländischen Politikers geäußert - und selten waren sie sich so einig. Erdogan dürfe seine Wahlkampfschlachten nicht nach Deutschland verlagern, forderte etwa der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer bei "Spiegel Online". Noch drastischere Worte fand der nordrhein-westfälische Integrationsminister Guntram Schneider (SPD), er sprach in der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" von einem "Missbrauch des Gastrechts" in Deutschland.

Stimmenfang in Deutschland?

Erdogans Partei AKP dagegen wiegelt ab und betont, dass es sich bei der Veranstaltung in einer Arena in Köln am kommenden Samstag (24.05.2014) keineswegs um einen Wahlkampfauftritt handle: Erdogan würdige dort lediglich das 10-jährige Bestehen der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD). Der wahre Grund für die Veranstaltung in Kölns Veranstaltungsort Nummer eins mit fast 20.000 Plätzen ist allerdings ziemlich offensichtlich: Im August findet in der Türkei die Präsidentenwahl statt. Auch wenn Erdogan seine Kandidatur noch nicht offiziell bekannt gegeben hat, rechnen viele damit, dass er antreten wird.

Erdogan in Soma - Foto: Tolga Bozoglu (dpa)
Erdogan-Besuch in Soma nach dem Minenunglück: Mehrere missglückte AuftritteBild: picture-alliance/dpa

Diesmal lohnt es sich für den türkischen Ministerpräsidenten besonders, sich um die im Ausland lebenden Türken zu bemühen: Denn zum ersten Mal dürfen auch sie an der Wahl teilnehmen, ohne dafür in ihre Heimat reisen zu müssen. Also auch die rund 1,5 Millionen Auslandstürken in Deutschland: Wählerstimmen, die Erdogan dringend braucht, wenn er Präsident werden will. Denn dafür benötigt er etwa fünf Prozent mehr Stimmen, als seine Partei AKP bei den Kommunalwahlen im März erhalten hat.

Ein geübter Provokateur

Es ist nicht das erste Mal, dass ein geplanter Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten in Deutschland für Zündstoff sorgt: Auch bei seinem Besuch 2008 gab es schon im Vorfeld kritische Stimmen. Als Erdogan dann in seiner Rede zum Thema Integration davon sprach, die "Assimilation" von Migranten sei ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", waren viele deutsche Politiker entrüstet. Doch in der Türkei und auch bei vielen Türken in Deutschland bekam er dafür viel Beifall.

Lale Akgün - Foto: Foto: Horst Galuschka (dpa)
Akgün: "Erdogan soll wissen, dass er nicht erwünscht ist"Bild: picture-alliance/dpa

Mit seinen medienwirksamen Großauftritten und provokanten Thesen macht Erdogan klar, dass er sich nicht nur als Regierungschef für die Türken in seinem Land, sondern auch als Vertreter der Interessen der Türken in Deutschland fühlt. Längst hat die Regierung in Ankara damit begonnen, ihre Landsleute in Deutschland zu organisieren: Dafür wurde eigens eine Behörde gegründet, die "Agentur für Auslandstürken" (YTB). In einer Reihe von Konferenzen wurden die Mitarbeiter dafür geschult, um die türkische Diaspora gegen die angebliche "Unterdrückung" im Ausland zu wappnen. Das zeigt, wie wichtig für den Premier die Auslandstürken sind.

Auch die aus der Türkei stammende SPD-Politikerin Lale Akgün glaubt, dass der Erdogan-Auftritt vor allem innenpolitische Gründe hat: "Er braucht jetzt eine gute Presse, nachdem er in der Türkei relativ schlecht da steht", sagte sie im Westdeutschen Rundfunk. "Seine Anhänger in Deutschland, an erster Stelle die Union Europäisch-Türkischer Demokraten, werden dafür sorgen, dass er einen schönen Empfang bekommt und hier grandios gefeiert wird. Diese Bilder sind nicht für Deutschland wichtig - diese Bilder sind wichtig für die Türkei", so Akgün.

Erdogan-Fans gegen Erdogan-Kritiker

Doch ebenso wie zu Hause in der Türkei ist der Ministerpräsident auch bei den in Deutschland lebenden Türken umstritten: So ruft die Alevitische Gemeinde, die Erdogan und seiner Regierungspartei AKP ohnehin kritisch gegenübersteht, zu einer Demonstration gegen seinen Auftritt in Köln auf. Die Aleviten wollen unter dem Motto "Wir sagen Nein zu Erdogan" durch die Innenstadt ziehen: Erdogan mische sich in innerdeutsche Angelegenheiten ein und wiegele die Türkischstämmigen in Deutschland auf, so die Aleviten.

Diese Polarisierung unter den Türken in Deutschland macht vielen Sorgen. Sie befürchten, dass der umstrittene Regierungschef mit seinen provokanten Aussagen die innenpolitischen Konflikte in seinem Land nach Deutschland tragen könnte - und damit die dort lebenden Türken bei der Integration in die deutsche Gesellschaft behindert. Ähnlich sieht das Gökay Sofuoglu, der neue Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland: "So eine Rede schafft uns natürlich viele Schwierigkeiten, weil wir uns von unseren eigentlichen Themen abwenden und plötzlich mit den türkischen politischen Auseinandersetzungen beschäftigen müssen", sagt er im DW-Interview.

Gökay Sofuoglu Vorsitzender der Türkische Gemeinde - Foto: Bernd Weißbrod (dpa)
Sofuoglu: "Erdogan schafft Probleme"Bild: picture-alliance/dpa

Vergeblicher Boykottaufruf?

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner rief deshalb die Türken in Deutschland auf, den Erdogan-Auftritt am kommenden Samstag zu boykottieren. "Ich kann mir nur wünschen, dass möglichst viele hier lebende Türkischstämmige durch Abwesenheit zeigen, dass sie mit seinem gegenwärtigen Agieren in der Türkei nicht einverstanden sind", sagte Klöckner der Zeitung "Welt am Sonntag". Appelle, die nach Ansicht des Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir aber nur wenig bringen werden: "Die, die gegen ihn sind, sind sowieso gegen ihn", sagte er im Deutschlandfunk. "Und die, die ihn vergöttern und auch nicht mehr wahrnehmen, was es an Kritik an ihm gibt, die werden seine Fans bleiben und jetzt wahrscheinlich erst recht hinpilgern."

Für den Zulauf zu den Erdogan-Veranstaltungen macht der türkischstämmige Grünen-Politiker auch die verfehlte Integrationspolitik konservativer Politiker verantwortlich: Die hätten dazu beigetragen, dass Türken nicht Deutsche geworden sind, weil sie sich über viele Jahre geweigert hätten, das Staatsbürgerschaftsrecht zu ändern. Jetzt würden sich die Türken in Deutschland so verhalten, wie von CDU und CSU gewünscht, nämlich als Ausländer, so Özdemir: "Sie richten ihre Antennen nach Ankara."

Gökay Sofuoglu jedenfalls ist sichtlich bemüht, sich in der Auseinandersetzung um den Erdogan-Auftritt weder auf die eine noch auf die andere Seite zu stellen: Es sei das Recht seiner Gegner, aber auch seiner Unterstützer, ihre demokratischen Grundrechte zum Ausdruck zu bringen. Er hoffe vor allem, so der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, "dass alle sich besonnen verhalten und dass es zu keiner Eskalation kommt."