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"Erdbebenvorhersagen sind nicht möglich!"

Judith Hartl23. Oktober 2012

Machtlos sind die Forscher dennoch nicht. Das sagt Birger-Gottfried Lühr im Interview mit der Deutschen Welle. Der Geophysiker arbeitet am Geoforschungszentrum in Potsdam in der Abteilung für Naturkatastrophen.

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Die Spannungen zwischen zwei tektonischen Erdplatten, die sich am 26. Dezember 2004 in einem starken Seebeben entluden, haben die Tsunami-Hochwasserkatastrophe im Indischen Ozean ausgelöst. Erdbeben Seebeben Tsunami Katastrophen Tektonik Flutwelle
Plattentektonik der ErdeBild: picture-alliance/ Globus Infografik

Deutsche Welle: Herr Lühr, gibt es bestimmte Parameter, die ein Erdbeben ankündigen?

Ja, und zwar die so genannten Vorläuferphänomene. Davon gibt es eine ganze Reihe: zum Beispiel Grundwasserspiegelschwankungen im Vorfeld von Spannungsänderungen im Erdinneren. Temperaturänderungen im Grundwasser zählen dazu, außerdem ausströmendes Radongas sowie Deformierungen, die man mit GPS (Global Positioning System) messen kann.

Es gibt tatsächlich Beispiele, wo Beben aufgrund solcher Phänomene erfolgreich vorhergesagt wurden. Aber diese Vorläuferphänomene sind zurzeit noch nicht so verstanden, als dass man aus ihnen ableiten könnte, dass ein Erdbeben einer gewissen Stärke passiert. Denn diese Vorläuferphänomene treten mal auf, mal treten sie nicht auf.

Noch einmal: bislang sind wir noch nicht soweit, dass man diese Parameter brauchbar für eine konkrete Vorhersage einsetzen kann, um beispielsweise eine Evakuierung durchzuführen. Das ist leider der augenblickliche Stand. Aber wir forschen intensiv an diesen Vorläuferphänomenen.

Was passiert bei einem Erdbeben eigentlich im Untergrund?

Nehmen wir als Beispiel eine Seitenverschiebung, wie die nordanatolische Störzone oder den San-Andreas-Graben. In einem Tiefenbereich von etwa fünf bis 20 Kilometern findet dort ein Spannungsaufbau statt. In ungefähr zehn Kilometern Tiefe ist die Festigkeit der Erdkruste am höchsten. Dort findet ein Bruchprozess statt, wenn der Druck so groß geworden ist, dass das Gestein diese Spannung nicht mehr halten kann. Dann bricht das Gestein – aber nicht nur in einem kleinen Bereich. Es beginnt ein Bruch, der sich im Untergrund fortsetzt und ein gesamtes geologisches Segment, wie wir diese Einheit nennen, zerbricht. Jetzt kann es sein, dass bei einem starken Beben gleich mehrere geologische Segmente beteiligt sind. Das ergibt dann auch ein komplexeres Seismogrammbild und man muss sich den Bruch so vorstellen, dass es rapp – rapp – rapp macht. An einer Stelle fängt es an und dann bricht es weiter und weiter bis es irgendwann aufhört. Das bestimmt auch die Stärke des Bebens, die freigesetzte Energie, also die Magnitude.

Geopyhsiker und Erdbebenexperte Birger-Gottfried Lühr vom Geoforschungszentrum in Potsdam
Birger-Gottfried LührBild: Birger-Gottfried Lühr

Sie sagen, dass der Bruch in etwa zehn Kilometern Tiefe stattfindet. Weshalb gräbt man in den stark erdbebengefährdeten Gebieten nicht einfach tiefe Löcher und beobachtet, ob sich dort unten etwas tut?

Das ist eine Frage, die wir uns auch stellen und da gibt es auch Versuche, ob das funktionieren könnte. Ein Beispiel: das tiefste Loch der Erde befindet sich auf der Kola-Halbinsel (Ost-Russland). Da haben die Russen bis in zwölf Kilometer Tiefe gebohrt. Wir haben Anfang der 90er Jahre versucht, in der Oberpfalz das tiefste Loch der Erde zu bohren. Das ging bis in knapp zehn Kilometer Tiefe. Diese Forschungsbohrung hat damals 450 Millionen Mark (230 Millionen Euro) gekostet.

Diese Bohrung wird bis heute noch zu Forschungszwecken genutzt. Aber solche Löcher zu bohren, ist eine sehr, sehr teure Angelegenheit. Und wenn wir beispielsweise die 5.600 Kilometer lange nordanatolische Störzone nehmen, müssten wir zirka alle zehn bis zwanzig Kilometer so eine Bohrung setzen. Das könnte kein Mensch bezahlen. Deswegen versuchen wir es von der Oberfläche.

Die Ausschläge auf dem Seismographen der Stationen (Bild: dpa)
Seismographische AufzeichnungenBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

An der Oberfläche sollen sich auch Tiere ganz gut dafür eignen, ein bevorstehendes Erdbeben anzuzeigen.....

Ja, das ist auch so ein Phänomen. Ich kenne Geschichten aus Griechenland, dass vor einem Erdbeben plötzlich sehr viele Schaben durch die Stadt liefen oder dass Tiere unruhig wurden. Aber so etwas wird leider erst im Nachhinein klar. Da fällt es dann auf, dass der Esel komisch reagiert hat oder der Hund im Kreis gehopst ist. Unterm Strich ist das genauso wie mit den anderen Phänomenen. Wir lehnen das nicht strikt ab, weil wir wissen, dass durch die Spannungszustände Gase aus dem Erdinneren dringen und Tiere zum Teil wesentlich sensibler auf so etwas reagieren als wir Menschen. Aber auch das funktioniert nicht als brauchbare und sichere Vorhersage-Methode.

Also ähnlich wie die anderen Vorläuferparameter - nicht wirklich repräsentativ....

Genau! Da gibt es dieses Beispiel aus China. Das berühmte Haicheng-Beben 1975, als die Chinesen auf breiter Front solche Parameter beobachtet haben – also unter anderem Grundwasserspiegel-Schwankungen, Entgasung und Tierverhalten. China kam zu dem Entschluss, die Stadt Haicheng zu evakuieren und einen Tag später fand tatsächlich ein sehr starkes Beben statt und legte die Stadt in Schutt und Asche.

Danach war die Euphorie ganz, ganz groß. Die Chinesen dachten, sie hätten es endlich geschafft, Beben vorherzusagen. Die Euphorie hat genau ein Jahr gedauert, bis zum verheerenden Beben von Tangshan, 1976, die bis heute größte Erdbebenkatastrophe mit offiziell knapp 300.000, inoffiziell über 700.000 Toten. Und all die Vorläuferphänomene, die beim Haicheng-Beben ein Jahr zuvor so gut geklappt hatten, haben da überhaupt nicht funktioniert. Und so ist das heute noch.