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Energieeffizientes Wohnen

Richard A. Fuchs, Berlin 27. April 2014

Eine Testfamilie hat das energieeffiziente Haus der Zukunft ausprobiert. Ihre Aufgabe: Herausfinden, ob das Effizienzhaus Plus tatsächlich mehr Strom produziert als es verbraucht. Das Fazit der Familie ist durchwachsen.

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Bild: BMVBS/Schwarz

15 Monate lebte Familie Welke/Wiechers in der Zukunft, genauer gesagt im Haus der Zukunft. Dieses Haus steht in der Berliner Fasanenstraße und gehört zu einem Pilotprojekt des Bundesbauministeriums mit dem Namen "Effizienzhaus Plus". Die vierköpfige Familie hatte sich beworben, dieses energieeffiziente Vorzeigehaus im Alltag zu testen.

Das Besondere: Das Haus ist so konzipiert, dass es sogar mehr Energie produziert als seine Bewohner fürs Wohnen benötigen. Ja, es soll sogar so viel überschüssigen Strom produzieren, dass damit eine Familie auch noch ihren gesamten Strombedarf für Elektroautos und Elektrofahrräder decken kann. Soweit zumindest die Theorie. "Wir kriegen eben nicht nur Ökostrom von einem Ökostromanbieter aus der Steckdose, sondern wir produzieren den Strom hier selbst", erklärt Jörg Welke, der mit seiner Frau Simone und den Kindern Freya und Lenz den Test durchführte.

Strom aus eigner Herstellung reicht nur teilweise

Eine Solaranlage auf dem Dach und in der Außenfassade macht das Leben mit selbst produzierter Energie möglich. Gespannt waren die projektverantwortlichen Forscher, wie sich die Energiebilanz des Hauses nach über einem Jahr Praxistest durch die vierköpfige Familie darstellt. Vorausberechnungen hatten ergeben, dass die Solaranlage übers Jahr rund 16.500 Kilowattstunden grünen Strom bereitstellen sollte, wovon die vierköpfige Familie dann nur rund zwei Drittel verbrauchen würde. Laut Plan sollte der gesamte Strombedarf für zwei Elektroautos und zwei Elektrobikes ebenfalls vom Haus gedeckt werden können.

Familie Welke/Wiechers im Wohnzimmer Foto: DW
Familie Welke/Wiechers im WohnzimmerBild: DW

Der Praxistest zeigte dann allerdings, dass am Haus der Zukunft noch weiter geforscht werden muss. "Die Bilanz ist nicht so gut ausgefallen, wie man sich das ursprünglich mal erhofft hatte", erklärt Jörg Welke. Vor allem durch technische Probleme bei der Energiesteuerung und deutlich mehr Strombedarf bei der Wärmepumpe wurde doppelt so viel Strom fürs Haus gebraucht als gedacht. Messprotokolle zeigen, dass das Haus in besonders lichtarmen Monaten zusätzlich noch vom Netz Fremdstrom beziehen musste, was über viele Monate auch an der fehlerhaften Hausbatterie lag. Und die Versorgung der Elektroautos durch selbst produzierten Grünstrom konnte ebenfalls nur teilweise bewerkstelligt werden.

"Smart Home Anwendungen nett, aber nicht nötig"

Praxiserfahrungen gab es auch an anderer Stelle. Über ein Jahr lang war das Leben von Familie Welke/Wiechers besonders durch das technische Innenleben des Hightech-Hauses geprägt. Der erste Blick beim Nachhause kommen fiel im Hausflur auf einen schwarzen Touchscreen-Bildschirm an der Wand

Das Herzstück der Haustechnik: Die Touchscreen-Steuerzentrale im Flur Foto: DW
Herzstück der Haustechnik: Touchscreen-Steuerzentrale im FlurBild: DW

Der Bildschirm stellt die Steuerungszentrale dar, von dem aus die Bewohner das Licht steuern, die Jalousien bedienen und die Heizung für einzelne Räume einstellen konnten. "Vieles im Effizienzhaus Plus passiert vollautomatisch", erzählt Jörg Welke. Bewegungsmelder schalten das Licht nur dann ein, wenn tatsächlich jemand durch den Flur läuft. Zeitschaltuhren geben den Hausgeräten den Takt vor. Und eine ausgeklügelte Belüftungsanlage sorgt wie von Zauberhand dafür, dass die stark gedämmten Häuserwände nicht zu einem schlechten Raumklima im Haus führen.

"Die Lüftung fand ich sehr sinnvoll", sagt Jörg Welke. Anders bewertet der studierte Historiker dagegen viele andere Anwendungen, die unter dem Schlagwort "Smart Home" subsumiert werden. "Die waren alle nett, aber nicht notwendig", sagt Welke. "Zum Teil haben wir die Sachen einfach wieder ausgestellt", verrät er.

Auf grüne Mobilität abgefahren

Auch wenn es nicht ganz gereicht hat, die beiden Elektroautos der Familie für ein Jahr mit selbstproduziertem Ökostrom vom eigenen Dach zu betreiben, hat vor allem das "elektromobile Leben" den Alltag der Familie entscheidend bestimmt. Allein die Möglichkeit, Mobilität ohne schlechtes Gewissen hinzubekommen, begeistert die Familie noch heute.

Das eigene Haus als Stromtankstelle Foto: DW
Das eigene Haus als StromtankstelleBild: DW

Die Kehrseite: Das Leben der Familie drehte sich fortan vor allem um eins, nämlich Akkus. Ganz egal ob in Autos, in der stationären Hausbatterie, den Elektrofahrrädern oder in Smartphones: Im Haus der Zukunft wollen viele Akkus geladen werden. Für Jörg Welke ist das keineswegs abschreckend. Die Inspiration aus dem Effizienzhaus Plus brachte für ihn auch eine berufliche Veränderung. Inzwischen arbeitet er für die Berliner Agentur für Elektromobilität eMO, die Berlin zu einer Vorzeigemetropole im Bereich elektromobiles Fahren und neue Carsharing-Modelle weiterentwickeln will.

Häuser, die wie das Effizienzhaus Plus mehr Energie produzieren als sie verbrauchen, spielen dabei für ihn eine wichtige Rolle beim Technologiesprung hin zur Elektromobilität.

Neue Testfamilie zieht ein

Auch wenn der Praxistest noch viele Kinderkrankheiten zu Tage fördert: Längst ist das Effizienzhaus Plus in Berlin-Charlottenburg ein Modell für andere Häuser. 20 Exemplare nach dem Modell des Effizienzhaus Plus stehen bereits quer durch die Republik, und über zehn weitere sind im Bau. Und auch die deutsche Politik gibt dem Effizienzhaus Plus trotz seiner Startschwierigkeiten eine zweite Chance.

Mehr und mehr Passivhäuser bekommt das Land. Hier ein Kindergarten in Frankfurt
Passivhaus-Kindergarten in FrankfurtBild: DW/G. Rueter

Nach einer Totalrevision der technischen Anlagen hat das Bundesbauministerium eine zweite Testfamilie eingeladen, das verbesserte Effizienzhaus Plus einem Praxistest zu unterziehen. Der soll bereits Anfang Mai 2014 beginnen. Familie Welke/Wiechers wird die Wiederholung des Wohnexperiments aufmerksam verfolgen. Jetzt allerdings wieder in ihrer alten Wohnung, einem Altbau im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.