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Politik

Togo: Ende einer blutigen Tradition

Nadina Schwarzbeck28. November 2012

Alle elf Sekunden wird auf dieser Welt ein Mädchen beschnitten - mit schweren körperlichen und seelischen Folgen. Togo ruft jetzt das Ende dieser brutalen Tradition aus. Mitgewirkt hat dabei auch eine deutsche NGO.

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Beschneiderin hält Messer in der Hand (Foto: AP Photo/Alexandra Zavis)
Bild: AP

Jährlich werden rund zwei Millionen Mädchen auf der Welt beschnitten. Der Eingriff ist äußerst schmerzhaft. Mit Messern entfernen ihnen Beschneiderinnen ganz oder teilweise die äußeren Geschlechtsorgane. Entzündungen sind oft die Folge - auch verbluten Mädchen immer wieder. Ihr ganzes weiteres Leben begleitet sie der Schmerz - nicht nur körperlich, auch seelisch sind sie gezeichnet. Der Kampf gegen diese brutale Tradition, die in Afrika, Asien und zum Teil auch in Lateinamerika durchgeführt wird, ist langwierig und kompliziert. Zwischen 130 und 150 Millionen Frauen auf dieser Welt sind beschnitten, schätzen Nicht-Regierungsorganisationen (NGO). Trotzdem wird in vielen Ländern nicht offen darüber gesprochen, es bleibt ein Tabuthema.

Jetzt feiern die Gegner dieser Tradition einen großen Erfolg: Am Donnerstag (29.11.2012) riefen in Togos zweitgrößter Stadt Sokodé traditionelle Beschneiderinnen offiziell das Ende der Beschneidung von Frauen und Mädchen in Togo aus. Es ist das Ergebnis jahrelangen Engagements einheimischer Aktivisten und der deutschen Nichtregierungs-Organisation "(I)NTACT". Der Name steht für die "Internationale Aktion gegen die Beschneidung von Frauen und Mädchen". 1996 wurde die Organisation von der saarländischen Linken-Politikerin Christa Müller gegründet, sie wird seit 2006 vom deutschen Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit (BMZ) unterstützt.

Der lange Weg zum Erfolg

Vor acht Jahren fing "(I)NTACT" mit der Arbeit in Togo an. Kurz darauf verbuchten die Aktivisten bereits einen Erfolg im Nachbarland Benin: In einem Staatsakt wurde dort 2005 die Tradition der weiblichen Beschneidung für beendet erklärt. Heute geht in Benin die Zahl neuer Beschneidungen von Mädchen gegen Null - wie der "Demographic and Health Survey" belegt.

In Togo war die Ausgangssituation ähnlich schwierig wie einst in Benin: Laut einer Studie aus den neunziger Jahren lag die Beschneidungsrate bei bestimmten Ethnien bei rund 90 Prozent. Die Menschenrechtler haben es dennoch geschafft, die Togolesen zu überzeugen. "Der entscheidende Erfolg liegt darin, dass wir die entscheidenden Akteure der Genitalverstümmelung, also die Beschneiderinnen und Traditionshüter, mit in die Projekte einbezogen haben", erklärt der stellvertretender Vorsitzender von "(I)NTACT", Detmar Hönle.

Ein kleines Mädchen wartet auf seine Beschneidung (Foto: dpa - Bildfunk)
Von Mutter zu Tochter - das Trauma wird vererbtBild: picture alliance/dpa

Mit dem Begriff "Traditionshüter" sind vor allem die Dorfältesten gemeint: Sie haben den größten Einfluss auf die Dorfgemeinschaft, geben vor, was richtig und falsch ist. An sie heranzukommen war für die Aktivisten der NGOs nicht einfach. Zunächst mussten sie den Menschen erklären, wer sie sind und was sie wollen. Das hat Fati Gnon gemacht: Die Togolesin koordiniert vor Ort die Arbeit der heimischen NGOs, den Partnerorganisationen von "(I)NTACT".  "Wir sind von Haus zu Haus gegangen. So konnten wir die Menschen für das Thema sensibilisieren und Vertrauen aufbauen“, erzählt sie im Gespräch mit der DW. "Als wir die Beschneiderinnen für uns gewonnen hatten, halfen sie uns dabei, die breite Masse zu überzeugen.“

Erfolgloses Gesetz gegen Frauenbeschneidung

Zwar hat Togo schon vor vierzehn Jahren ein Gesetz verabschiedet,  das die Beschneidung von Frauen unter Strafe stellt. Das blieb aber erfolglos: Nur in einem einzigen Fall kam es überhaupt zu einer Verurteilung. "Die Tradition ist in Afrika ein ungeschriebenes Gesetz, was älter ist als die Gesetze, die die Regierungen heutzutage erlassen", erklärt Detmar Hönle von "(I)NTACT". Deswegen sei es so wichtig gewesen, die Dorfältesten und die Frauen, die die Eingriffe vornehmen, mit ins Boot zu holen. Ehemalige Beschneiderinnen erhalten von der Organisation Kleinkredite, um sich neue Verdienstmöglichkeiten zu schaffen. Auf diese Weise wahren sie ihren gesellschaftlichen Status, den sie bis dahin durch ihren traditionellen Beruf genossen. Das Konzept zeigt Erfolg: Einer Umfrage der Organisation zufolge gilt Frauenbeschneidung in der togolesischen Bevölkerung inzwischen nicht mehr als soziale Norm. Obwohl das nicht ausschließt, dass es vereinzelt doch noch dazu kommt.

Mit den Schmerzen haben die Frauen ihr ganzes Leben lang zu kämpfen

Die Somalierin Jawahir Cumar berät beschnittene Frauen in Deutschland.(Foto: Priya Palsule)
Jawahir Cumar berät beschnittene Frauen in DeutschlandBild: DW

Weltweit aber ist der Kampf gegen Genitalverstümmelung bei Frauen noch lange nicht gewonnen. Auch Jawahir Cumar führt ihn, und zwar von Deutschland aus. Sie wurde als Fünfjährige in ihrem Heimatland Somalia beschnitten. Heute berät sie in Düsseldorf Frauen, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben. "Diese Frauen haben tagtäglich Schmerzen: beim Geschlechtsverkehr, beim Wasser lassen oder wenn sie ihre Tage bekommen", erklärt Jawahir Cumar.

Ihre Organisation heißt "Stop Mutilation", auf deutsch: Stoppt die Genitalverstümmelung. An sie können sich betroffene Frauen wenden und bekommen eine kostenlose gynäkologische Untersuchung. Jawahir Cumar klärt auch die Öffentlichkeit über die negativen Folgen der weiblichen Beschneidung auf. Für ihr Engagement erhielt sie vergangenes Jahr die höchste deutsche Auszeichnung: Das Bundesverdienstkreuz. Angesichts der hohen Zahl an Beschneidungen bleibt ihr Einsatz und der von "(I)NTACT" weiterhin dringend nötig.