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TV-Drama sorgt für Aufregung in Polen

Rosalia Romaniec29. März 2013

Viele Polen sind enttäuscht über den ZDF-Mehrteiler "Unsere Mütter, unsere Väter". Die polnischen Medien sprechen sogar von "Geschichtsverzerrung" und einer "Ignoranz" der deutschen Erinnerungskultur.

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Die Schauspieler Lucas Gregorowicz (l, Jerzy) und Michael Ihnow (Francizek) stehen am Freitag (29.07.2011) während einer Drehpause am Set des ZDF-Dreiteilers "Unsere Mütter, unsere Väter" in Wiesenttal im Landkreis Forchheim (Oberfranken). Der Film ist ein Generationenporträt über junge Leute, die Hitlers Weltkrieg führten, das NS-Regime trugen und ihm zum Opfer fielen. Foto: David Ebener dpa/lby +++(c) dpa - Bildfunk+++
Fernsehfilm "Unsere Mütter, unsere Väter"Bild: picture-alliance/dpa

Das ZDF-Kriegsepos "Unsere Mütter, unsere Väter" wurde hierzulande vor allem für seine differenzierte Sicht auf die Wehrmachtssoldaten und ihre Opfer gelobt. Statt einer kruden Gegenüberstellung von Gut gegen Böse waren facettenreiche Charaktere zu sehen. Zumindest, was die Protagonisten angeht.

Die Partisanen der polnischen Heimatarmee "AK" hingegen trugen im Film deutlich antisemitische Züge, was in Polen in den letzten Tagen zu großer Empörung geführt hat. Viele werfen den Machern des Films nun vor, sie wollten die Schuld ihrer Väter minimieren, indem sie andere pauschal belasten.

Die Schauspieler Tom Schilling (r-l) in der Rolle des Friedhelm Winter und Schauspieler Volker Bruch als sein Bruder Wilhelm Winter werden am Donnerstag (14.07.2011) bei den Dreharbeiten für den Film "Unsere Mütter, unsere Väter" auf dem Gelände der ehemaligen Hildebrandschen Mühle in Halle/Saale von einem Kostümbildner ausgestattet. Der dreiteilige Film des Regisseurs Phillip Kadelbach stellt die Geschichte von fünf Freunden zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges dar. Zuvor wurde bereits seit März 2011 in Litauen sowie Berlin, Köln und Teilen Brandenburgs gedreht. Unterstützt wird die Produktion des ZDF sowie der Firmen TeamWorx und Beta Film unter anderem von der Mitteldeutschen Medienförderung. Foto: Jens Wolf dpa/lah +++(c) dpa - Bildfunk+++
Dreharbeiten zum TV-Mehrteiler "Unsere Mütter, unsere Väter", der in Polen für Irritationen sorgtBild: picture-alliance/dpa

Im kollektiven Gedächtnis der Polen symbolisiert die Heimatarmee Unbeugsamkeit gegenüber Nazideutschland. Anders als im Baltikum, Ungarn oder Rumänien ließ sie sich nicht auf eine Kollaboration mit den Nazis bei der Judenvernichtung ein. Die "AK" war die größte organisierte Widerstandsgruppe gegen die Nazis im Zweiten Weltkrieg, ihre Anführer wurden von den Alliierten als Vertreter des besetzten Polens anerkannt. Nach dem Krieg wurden AK-Mitglieder von Kommunisten dann verfolgt und viele von ihnen hingerichtet. Auch deshalb sind so viele Polen stolz auf ihre Mütter und Väter, die in den Reihen der AK-Armee kämpften. Tatsächlich hat es aber dort auch Fälle von Antisemitismus gegeben. Das bestreitet man heute in Polen nicht mehr, sondern inzwischen diskutiert es gerade die jüngere Generation öffentlich, auch in Filmen und Büchern.

"Instrumentalisierung" der Widerständler

Dem ZDF wird in den polnischen Medien nun vorgeworfen, es habe sich gegen eine differenzierte und für eine massentauglich-populäre Darstellung entschieden: Die polnischen Partisanen würden durchweg als Antisemiten dargestellt, die Sätze sagen wie: "Die Juden ertränken wir wie Katzen" und "Sie sind besser tot als lebendig." Beim millionenfachen deutschen Publikum, das die Armee gar nicht kennt, entstehe so ein völlig falsches Bild, meint Jerzy Margański, der Botschafter Polens in Berlin.

Jens Boysen vom Historischen Institut in Warschau gibt ihm da Recht: "Als Historiker kann ich solche Darstellungen einordnen und sehe sie in ihrer Komplexität, aber der Zuschauer verfügt kaum über dieses Wissen", sagte er gegenüber der polnischen Boulevardzeitung "Super Express". Auf die Erklärung der Filmemacher, es sei ihnen um die Ausweglosigkeit der Juden gegangen, käme aus Polen der Vorwurf, man habe die polnische Widerstandsarmee für das Drehbuch instrumentalisiert. Sogar die größte Tageszeitung Polens, die Gazeta Wyborcza, die als deutschfreundlich gilt, titelte: "Wer erklärt den Deutschen, dass die polnische Untergrundarmee AK nicht die SS war?"

Alte und neue Stereotypen

Für Robert Traba vom polnischen "Zentrum für Historische Forschung" in Berlin gehört der ZDF-Film zur "angewandten Geschichte". Sein Team hat ihn analysiert. "Es geht nicht um die Kritik am künstlerischen Produkt, das seine Freiheiten genießt", so Traba. Vielmehr sehe man ihn als Abbild der Erwartungen eines Massenpublikums. "Solche großen Filmproduktionen müssen erfolgreich sein, und deshalb erfüllen sie das, was die Massen erwarten", erklärt Traba. Das "unreflektierte" und fast schon "verletzende" Bild von den Partisanen, das in dem Film gezeichnet würde, bestürze ihn jedoch sehr.

ARCHIV - Der Schauspieler Tom Schilling als Wilhelm Winter steht am 14.07.2011 bei den Dreharbeiten für den Film «Unsere Mütter, unsere Väter» auf dem Gelände der ehemaligen Hildebrandschen Mühle in Halle/Saale. Der Dreiteiler wird seit dem 17.03.2013 im ZDF gezeigt. Foto: Jens Wolf/dpa (zu dpa "Starker Start für «Unsere Mütter, unsere Väter»" vom 18.03.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++ pixel
Robert Traba vom polnischen "Zentrum für Historische Forschung" in BerlinBild: DW

Während die deutschen Protagonisten als "höchst komplexe Persönlichkeiten" dargestellt würden, seien die Polen im Film "eindimensionale Antisemiten". Dies zementiere Vorurteile. Dazu sagt der Historiker, bewusst provozierend: "Es sieht so aus, als würde man in Deutschland das alte Vorurteil der 'polnischen Wirtschaft' durch das neue des 'polnischen Antisemitismus' ersetzen wollen“.

Historiker enttäuscht

Der Historiker Traba kann nachvollziehen, dass die Filmemacher "völlig professionell" handelten, indem sie ein möglichst großes Publikum mit diesem brisanten Thema erreichen wollten. Aber dass seine deutschen Kollegen sich nicht an der öffentlichen Debatte beteiligen, findet er enttäuschend. "Wir tauschen uns seit Jahren aus und erzielen Konsens, auch über die Rolle der polnischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg", sagt Traba und fügt hinzu: "Leider findet dies in der öffentlichen Debatte derzeit nicht statt."

Einer der drei Historiker, die den Film als Fachberater betreut haben, ist Julius Schoeps vom Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam. "Man kann nicht generell sagen, dass die polnische Heimatarmee antisemitisch war, aber Tatsache ist, dass es solche Fälle, wie im Film geschildert, gegeben hat", meint Schoeps. Und zu den Vorwürfen aus polnischer Sicht relativiert er den Sturm der Entrüstung: "Es handelt sich um einen Spielfilm." Und fügt hinzu, dass es gut sei, dass dieser eine neue Diskussion auslöse.

Post ans ZDF

Inzwischen flattern empörte Briefe aus Polen beim ZDF ein, auch vom Intendanten des Polnischen Fernsehens, Juliusz Braun, und Botschafter Jerzy Margański. "Die polnische Heimatarmee und die meisten Polen werden als von einem obskuren Antisemitismus, der sie kaum von den deutschen Nazis unterscheidet und von Geldgier besessen dargestellt, die sie zu den schlimmsten Taten verleiten", schreibt der Diplomat in seiner Stellungnahme. Er erinnert darin an bekannte Soldaten der Heimatarmee, wie Jan Karski, der als erster die Alliierten über deutsche Konzentrationslager unterrichtete, oder Witold Pilecki, der freiwillig ins KZ Auschwitz-Birkenau ging, um dort den Widerstand zu organisieren. "Die meisten Bäume in Yad Vashem wurden für die Polen als Gerechte unter den Völkern der Welt gepflanzt", fügt Margański hinzu. Ihn irritiere der Eindruck, man glaube in Deutschland, "dass die Schuld an der Vernichtung der Juden verteilt und auch von anderen Völkern mitgetragen werden muss."

Jerzy Marganski, polnischer Botschafter in Berlin. Copyright: DW/Rosalia Romaniec 07.02.2013, Berlin
Jerzy Margánski, polnischer Botschafter in BerlinBild: DW/R. Romaniec

Die Empörung in Polen lässt nicht nach. So nachvollziehbar sie auch sein mag, bleibt eine Frage offen: Was kann sie erreichen, ohne wieder gegenseitige Ressentiments zu wecken? Seit einigen Jahren arbeiten Historiker aus beiden Ländern an einem gemeinsamen Geschichtsschulbuch. Darin geht es nicht um möglichst viel Konsens, sondern bewusst um die Unterschiede in der historischen Interpretation der Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs. Die Jugend soll wissen, wie der Standpunkt des jeweiligen Nachbarn aussieht und wie die verschiedenen Sichtweisen entstanden sind. Vielleicht werden so in Zukunft Konflikte wie die Empörung über einen Fernsehfilm gar nicht mehr entstehen, weil man mehr voneinander weiß.