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Russland Menschenrechte

Mikhail Bushuev / Emily Sherwin16. Mai 2013

Der harte politische Kurs des Kremls werde nicht von Dauer sein, sagt die bekannte russische Menschenrechtlerin Ella Pamfilowa. Im DW-Interview beschreibt sie die Anzeichen für einen Wandel.

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Portrait von Ella Pamfilowa (Foto: Sergei Kompaniychenko/dpa)
Ella Pamfilowa, russische Politikerin und MenschenrechtlerinBild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Sie beklagen, dass in Russland das Vertrauen in die Zivilgesellschaft gering ist. Woran liegt das?

Ella Pamfilowa: Wenn man den Bekanntheitsgrad von Nichtregierungsorganisationen vergleicht mit dem Grad des Vertrauens, das diese Gruppen genießen, dann bekommt man völlig unterschiedliche Werte. Der Bekanntheitsgrad von NGOs steigt rasant. Vor wenigen Jahren wussten weniger als 20 Prozent der russischen Bürger überhaupt, dass es NGOs gibt. Heute weiß dies schon mehr als die Hälfte der Bevölkerung - 56 Prozent. Aber das Vertrauen in NGOs ist nach wie vor sehr gering. Es wächst jährlich nur um ein Prozent. Erklären kann man das damit, dass die russische Bevölkerung überhaupt sehr misstrauisch ist. Von den gesellschaftlichen Institutionen genießen die alt bekannten das größte Vertrauen: der Präsident, die Kirche und die Armee. Den politischen Parteien vertraut man praktisch gar nicht. Eigentlich vertrauen die Russen nur ihren Angehörigen und Freunden.

Glauben Sie, dass die russische Gesellschaft sich verändert?

Es gibt Anzeichen dafür, dass die Gesellschaft zusammenfindet. Das Hauptbedürfnis der Menschen ist das nach Gerechtigkeit, vor allem nach sozialer und juristischer Gerechtigkeit. Wir haben eine umfangreiche Studie durchgeführt und herausgefunden, dass die Menschen am meisten über Probleme wie Alkoholismus und Drogensucht besorgt sind. An zweiter Stelle kommen das Wohnungswesen und die Kommunalwirtschaft, danach Sicherheit und medizinische Versorgung. Die Menschen eint der Protest gegen Korruption und Willkür. Gestiegen ist das Interesse an einer Lösung ökologischer Probleme. Sogar das Interesse an der Achtung der Menschenrechte nimmt inzwischen zu. Früher hielten dieses Thema nur zwei Prozent der Befragten für wichtig, heute sind es in manchen Regionen schon zehn bis 15 Prozent.

Im Jahre 2010 sind Sie vom Vorsitz des Menschenrechtsrates beim Präsidenten Russlands zurückgetreten. Bereuen Sie diese Entscheidung angesichts der jetzigen Entwicklung in Russland?

Ich bin zurückgetreten, als alle noch von einem liberalen Dmitri Medwedew [dem früheren Präsidenten und jetzigen Regierungschef - Anm. d. Red.] begeistert waren. Aber ich habe sehr gut verstanden, wohin das alles führen soll. Putin und Medwedew gegeneinander aufstellen - so ein Bluff! Ich weiß das als Insider. Ich bin zurückgetreten, weil ich verstanden habe, dass ich meine Pflichten nicht mehr erfüllen kann, ohne meine Selbstachtung zu verlieren. Alleine hätte ich gegen das, was sich da anbahnte, nicht ankämpfen können. Ich sehe in diesem System keinen Platz für mich.

Wann könnte sich die Entwicklung in Russland wenden?

Sehr bald, glaube ich. In der Gesellschaft reift der Wunsch nach Veränderung. Ich bin sicher, dass Wladimir Putin aus verschiedenen Gründen damit beginnen wird, seine Politik zu ändern. Unter dem Druck der Bevölkerung, aber auch weil er sieht, wie gefährlich das jetzige System ist, das sich selbst auffrisst. Er muss das System ändern, wenn er sich nicht weiter auf die Säulen der Macht stützen will, die zwar loyal, aber morsch sind. Auch wenn er einfach nur seine Macht erhalten will, dann muss er das jetzige System grundlegend ändern und mehr politischen Wettbewerb zulassen. Einige Schritte sind schon gemacht. Nach den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 wird sich die Situation bessern. Sie werden sich dann an meine Worte erinnern.

Und was sollen all die NGOs machen, die derzeit Durchsuchungen ausgesetzt sind? Sollten diese Organisationen einfach abwarten?

Nein, sie sollten weiterarbeiten. Diese Verrücktheit wird nachlassen, die wir jetzt mit diesen massenhaften Durchsuchungen gesehen haben. Die Art, wie sie durchgeführt wurden, hat sehr viele Menschen empört. Sogar unbequemen, repressiven Behörden kann man beikommen. Ich denke, dass Putin verstehen wird, dass dieses Vorgehen nur schadet, auch ihm persönlich und seinem Ruf. Ich würde den Nichtregierungsorganisationen raten, die Öffentlichkeit stärker über ihre Arbeit zu informieren und in allem transparent zu sein. Es ist viel wichtiger, nicht im Ausland, sondern im Inland Unterstützung zu suchen und im Land selbst Widerstand zu organisieren.

Von 2004 bis 2010 war Ella Pamfilowa Vorsitzende des vom damaligen und heutigen Präsidenten Wladimir Putin gegründeten Rates für Menschenrechte und Entwicklung der Zivilgesellschaft. Vielen Bürgerrechtlern galt sie damals als zu moderat. Aber sie legte sich mit der Putin-Partei "Einiges Russland" an. Pamfilowa trat einen Tag nach Inkrafttreten eines umstrittenen Gesetzes über den Inlandsgeheimdienst zurück. Sie hatte den damaligen Präsidenten Medwedew aufgefordert, die Rechte des FSB nicht zu erweitern.