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Eine Testwahl für die Deutschtürken

Ulrike Hummel2. August 2014

Erstmals in der Geschichte dürfen in Deutschland lebende Türken hierzulande ihren Staatspräsidenten wählen - ein Testlauf für künftige Abstimmungen. Doch die Wahlbeteiligung wird vermutlich eher gering ausfallen.

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Türkische Wähler vor dem Olympiastadion in Berlin. Foto: Maurizio Gambarini/dpa.
Bild: picture-alliance/dpa

"Ich finde es sehr aufregend und spannend, einmal an einer Wahl teilzunehmen", sagt Fatima Keskin. Die 32-jährige Türkin aus Essen ist überglücklich. Erstmals in ihrem Leben geht sie wählen. Obwohl sie in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, hat sie nur die türkische Staatsangehörigkeit. Bislang war sie generell von Wahlen ausgeschlossen: In Deutschland durfte Keskin nicht mitwählen, und wenn in der Türkei Wahlen waren, hätte sie sich dorthin begeben müssen. Das war für die Mutter nicht machbar. Nun aber dürfen erstmals in der Geschichte der Türkei auch im Ausland lebende Staatsangehörige vom Wahlrecht Gebrauch machen.

Vor zwei Jahren hat die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Änderung des Wahlrechts beschlossen. Auch dass der Präsident diesmal direkt vom Volk statt wie bisher vom Parlament gewählt wird, hat seine AKP-Partei (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) durchgesetzt. Rund 1,4 Millionen Deutschtürken bundesweit sind wahlberechtigt und können noch bis Sonntag (03.08.2014) an sieben Wahlorten in Deutschland ihre Stimme abgeben.

Wahlkabinen in der Fraport Arena (Foto: dpa)
Die meisten Wahllokale befinden sich in Stadien oder großen Hallen - auch in Frankfurt am MainBild: picture-alliance/dpa

Profitiert Erdogan vom neuen Wahlrecht?

Wahlberechtigt sind alle volljährigen Staatsbürger mit Hauptwohnsitz in Deutschland. Deutschtürken, die sich für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden haben und den Verlust des türkischen Passes in Kauf nehmen mussten, sind von der Wahl ausgeschlossen. Haushoher Favorit für das Amt des Staatspräsidenten, der in der Türkei am 10. August gewählt wird, ist Regierungschef Erdogan.

Ihm dürfte das neue Wahlrecht zugutekommen, mutmaßen Experten: "Erdogan wird in Deutschland eine höhere Zustimmung bekommen als in der Türkei. Das hat auch damit zu tun, dass Menschen in der Diaspora eine andere emotionale Haltung aufweisen als im Herkunftsland", sagt Yunus Ulusoy, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen. Im Ausland lebenden Türken gehe es nicht nur darum, welchem politischen Lager ihre Sympathien gelten, sondern vieles hänge davon ab, wie sie in ihrer Wahlheimat aufgenommen werden oder welches Türkeibild in Deutschland vorherrsche. Viele Deutschtürken seien mit einem negativen Türkeibild aufgewachsen.

Der "kranke Mann am Bosporus" prägte für viele den Blick ins Herkunftsland Türkei. Mit dem Wirtschaftsaufschwung der Regierung Erdogan habe sich das geändert. "Für viele ist Erdogan der starke Mann, er steht für den Wirtschaftsboom in der Türkei. Und von diesem neuen Selbstbewusstsein profitieren besonders die Auslandtürken, weil sie sagen können: 'Endlich sind wir auch wer'."

Tugba Yolüc (Foto: Ulrike Hummel)
Tugba Yolüc: "Es gab Zeiten, da fand ich es beschämend, Türkin zu sein"Bild: Ulrike Hummel

"Stolz darauf, Türkin zu sein"

Dieses neue Selbstwertgefühl verstärkt die innere Loyalität zum jetzigen Regierungschef. "Ich drücke der AKP ganz fest die Daumen. Das ist für mich selbstverständlich. Vieles hat sich zum Positiven gewendet. Die Türkei ist teilweise viel moderner als manche Länder in Europa", sagt Tugba Yolüc. Die 22-jährige Architekturstudentin aus Essen ist Erdogan-Fan und denkt darüber nach, künftig ihr Leben in der Türkei zu verbringen - zumindest im Westen der Türkei. Der Wirtschaftsboom biete ihr dort vielleicht bessere Karrierechancen als hierzulande. "Es gab Zeiten, da fand ich es beschämend, Türkin zu sein. Aber mittlerweile bin ich sehr stolz darauf."

Seit mehr als zehn Jahren leitet Ministerpräsident Erdogan mit seiner AKP die Geschicke des Landes. Seitdem hat sich nicht nur wirtschaftlich viel getan. Im einst laizistischen Staat wird der Islam wieder sichtbar, was besonders in konservativ-religiösen Kreisen Anerkennung findet. Doch der Kandidat für das Präsidentenamt hat spätestens seit den Gezi-Park-Protesten im vergangenen Jahr auch viele Kritiker - sowohl in der Türkei als auch in der Diaspora. "Ich bin heute hierher gekommen, um der kleinsten Partei meine Stimme zu geben", sagt Metin Dursun. Neben Erdogan kandidieren noch zwei weitere Politiker für das Amt: Ekmeleddin Ihsanoglu, ehemaliger Generalsekretär der Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIC), der als gemeinsamer Kandidat der Republikanischen Volkspartei CHP und der Partei der Nationalistischen Bewegung MHP antritt, und der Kurde Selahattin Demirtas, Chef der Demokratischen Partei der Völker (HDP). Als Kurde unterstützt der 39-jährige Hotelfachmann Selahattin Demirtas - auch wenn dieser Kandidat kaum eine Chance hat.

Wahlzettel für Präsidentschaftswahl (Foto: picture alliance)
Der Wahlzettel - die Deutschtürken müssen zwischen drei Kandidaten entscheidenBild: picture-alliance/AA

Rückschritte in Sachen Demokratie

Metin Dursun sieht die Entwicklungen in der Türkei kritisch: "Der demokratische Entwicklungsprozess in der Türkei lässt zu wünschen übrig. Noch immer gehört die Türkei zu jenen Ländern, die unliebsame Rechtsanwälte, Journalisten und andere Kritiker in Gefängnisse steckt." Die zunehmende Islamisierung unter Erdogan sei ein Rückschritt in der Entwicklung, weil die Politik mehr und mehr das Leben der Türken diktiere.

Experten rechnen mit einer relativ niedrigen Wahlbeteiligung der Auslandstürken, obwohl die Türken traditionell zahlreich zu den Urnen strömen. Denn viele Deutschtürken befinden sich derzeit im Urlaub und für andere sind die Anfahrten zu den Wahllokalen in Großstädten zu weit. Die erstmalige Durchführung von Wahlen für Auslandstürken ist dennoch ein wichtiger Probelauf - auch für künftige Urnengänge. Denn schon im nächsten Jahr wird das Parlament in der Türkei neu gewählt.