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Bipolare Weltordnung?

Rodion Ebbighausen6. August 2012

Der Aufstieg Chinas, das Wiedererstarken Russlands und der zunehmende Einfluss Indiens und Brasiliens verändern die Weltpolitik. Wissenschaftler sind uneins, was das für die zukünftige geopolitische Ordnung bedeutet.

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Die amerikanische und chinesische Flagge nebeneinander (Foto: UPI/Stephen Shaver - via Newscom picture alliance)
Bild: dapd

"Ich befürchte, dass wir uns wieder auf eine bipolare Weltordnung zu bewegen." Diese Bemerkung äußerte der Wirtschaftswissenschaftler Helmut Reisen kürzlich während einer öffentlichen Veranstaltung des Deutschen Instituts für Entwicklungshilfe (30.07.2012). Die beiden Pole dieser neuen Weltordnung seien die USA und China.

Reisens unorthodoxe These eines neuen Ost-West-Gegensatzes sorgte bei den Veranstaltungsteilnehmern aus verschiedenen Ländern für Irritation. Die meisten Wissenschaftler gehen derzeit nämlich davon aus, dass es mehr zwei Mächte die Weltordnung ausmachen. In dieser sogenannten multipolaren Welt stehen neben den USA und der Europäischen Union die sogenannten neuen Gestaltungsmächte. Gemeint sind die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), außerdem regionale Mächte wie die Türkei, Indonesien und Mexiko.

Inhomogene Gemeinschaft

Alle diese Länder zeichnen sich durch eine große wirtschaftliche Dynamik und einen zunehmenden Einfluss auf die internationale Politik aus. "Die neuen Gestaltungsmächte - das sind die größeren Schwellenländer, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Erfolge, aber auch aufgrund ihrer unabhängigen Haltung, was die politischen und wirtschaftlichen Vorgaben der Amerikaner betrifft, die Weltordnung verändern", definierte Reisen im Gespräch mit der DW.DE.

Der erste chinesische Flugzeugträger in einem Hafen. (Foto:Color China Photo/AP/dapd)
China rüstet militärisch auf. Der erste Flugzeugträger ist seit 2011 im Einsatz.Bild: AP

Der Forschungsdirektor am Entwicklungszentrum der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) betonte im Interview, die Frontstellung der "neuen Gestaltungsmächte" gegenüber den USA und dem Westen sei der zentrale einigende Faktor: "Die Gemeinsamkeiten dieser Staaten hört da auf, wo die Frontstellung gegenüber den USA und den Industrieländern endet." Die Interessen der neuen Gestaltungsmächte seien ansonsten sehr verschieden. Rohstoffexportierende Länder wie Russland und Brasilien verfolgen andere Ziele als die großen Rohstoffimporteure China und Indien. China und Indien wiederum tragen seit Jahrzehnten Grenzkonflikte aus. Auch der Wirtschaftswissenschaftler Robert Kappel stellt unlängst in seiner Studie "Deutschland und die neuen Gestaltungsmächte" fest: "Man kann die neuen Gestaltungsmächte nicht als homogene Gruppe betrachten."

Handeln statt reden

Trotz divergierender Interessen teilen die BRICS-Staaten nach Kappels Ansicht einen pragmatischen Ansatz: Sie kooperierten mit den unterschiedlichsten politischen Systemen, ohne sich in die Regierungsführung der jeweiligen Länder einzumischen. Der ehemalige Direktor des Leibniz Instituts für globale und regionale Studien (GIGA) schlussfolgert: "Es ist die Kombination von hohem wirtschaftlichem Wachstum mit innovativen Kooperationsangeboten, die den rasanten Bedeutungszuwachs der neuen Gestaltungsmächte begründet."

Reisen führt diese Beobachtung am Beispiel von Chinas Engagement in Afrika aus: "China hat die Entwicklung Afrikas und auch der übrigen Schwellenländer sehr positiv beeinflusst. Es hat anstatt mit großen bürokratielastigen Konferenzen stärker 'on the ground' gewirkt; etwa mit Infrastrukturprojekten."

Neupositionierung des Westens

Um auf die neue Weltordnung zu reagieren, hat die deutsche Bundesregierung das Konzept "Globalisierung gestalten – Partnerschaften ausbauen – Verantwortung teilen" im Februar 2012 veröffentlicht. Die Ziele sind Allgemeinplätze: Frieden und Sicherheit, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Wirtschaft usw. Interessanter ist die Aussage, dass die Bundesregierung all diese Ziele durch "eine regelbasierte und multilaterale globale Ordnungspolitik fördern möchte." Die Bundesregierung hat also das Konzept einer multipolaren Weltordnung zur Grundlage ihrer außenpolitischen Agenda gemacht.

Das Weiße Haus in Washington. (Foto: UPI/Ron Sachs/POOL /Landov)
Bis 2000 Sitz der unangefochtenen Weltmacht: das Weiße Haus in Washington.Bild: picture alliance / landov

Eben diesem Ansatz steht Reisen skeptisch gegenüber. Er bezweifelt, dass wir uns tatsächlich auf eine multipolare Weltordnung zu bewegen: "Ich glaube, dass hier der Wunsch der Vater des Gedankens ist. Ich denke, dass wir aufgrund der Übermacht Chinas eher in eine bipolare Situation geraten werden. Die Amerikaner tun im Übrigen auch einiges dafür." US-Präsident Obama rief im November 2011 beispielsweise Amerikas pazifisches Jahrhundert aus. Die Chinesen auf der anderen Seite haben zu vielen afrikanischen Ländern enge Kontakte, die sie nutzen können, um bei den Vereinten Nationen eine Mehrheit hinter sich zu bringen.

Im Grunde, so Reisen, wollen die Amerikaner keine multipolare Weltordnung, in der sie relativ an Macht verlören: "Die Amerikaner haben große Schwierigkeiten damit, die Vormachtstellung aufzugeben. Wenn die Amerikaner die multipolaren Konstellationen konstruktiv spielen würden, dann hätten sie eine gewisse Chance. Aber was ich im letzten Jahr sehe, sind nur sehr starke anti-chinesische Aktionen."

Für Europa und die anderen neuen Gestaltungsmächte sieht Reisen künftig nur eine begrenzte Rolle im Konzert der Weltpolitik.