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Eine deutsche Outdoorliebe

Marlis Schaum23. Januar 2013

Nirgendwo wird mehr Funktionsbekleidung verkauft als in Deutschland. Könnte am deutschen Pragmatismus liegen. Oder am fehlenden Stilbewusstsein?

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Vater und Sohn beim Wandern in den Bergen (Photo by Johannes Simon/Getty Images)
Bild: Getty Images

Eine Outdoorjacke kommt in Deutschland selten allein: innen was aus Fleece, außen was Wetterfestes. Kann man bei Bedarf von einander trennen und einzeln tragen. Das deutsche Unternehmen Jack Wolfskin exportiert Kleidung weltweit - aber nach eigenen Angaben werden nirgendwo mehr von diesen Doppeljacken als in Deutschland verkauft. Pressesprecher Thomas Zimmerling erklärt sich das damit, dass "die Deutschen relativ praktisch veranlagt sind. Sie wollen mit einer Jacke gleich zwei bekommen. Ein pragmatischer Ansatz. Aber das ist mein Gefühl, das ist nicht empirisch belegt."

Es liegt natürlich nahe, dass jemand Funktionsbekleidung kauft, weil sie praktisch ist. Kaum etwas ist praktischer als Kleidung aus Materialien, die nicht nur wärmen, sondern auch vor Nässe schützen, atmungsaktiv sind und leicht! Die Frage ist nur, ob wir Deutschen quasi praktischer veranlagt sind als andere Nationen und gerade deshalb bei der Funktionsbekleidung verstärkt zugreifen?

Pragmatisch, praktisch - gekauft

Das pragmatische Naturell der Deutschen ist leider noch nicht umfassend empirisch überprüft worden. Empirisch belegt ist dagegen allerdings, dass viele Deutsche gerne wandern und sich unter freiem Himmel kletternd oder radelnd bewegen. Die Outdoor-Sport-Branche boomt seit Jahren, bestätigen Studien der Universitäten Trier und Bayreuth. Den Untersuchungen zufolge steht alleine das traditionelle Wandern auf Platz vier der am meisten ausgeübten Sportarten in Deutschland - nach Radfahren, Schwimmen und Jogging. Von all den Trendsportarten ganz zu schweigen, die sich jedes Jahr neu erfinden und bei denen man Funktionsbekleidung ziemlich gut gebrauchen kann.

Zehn Milliarden Euro Umsatz hat die europäische Outdoor-Branche zwischen 2009 und 2011 in 22 europäischen Ländern gemacht. Mehr als die Hälfte davon mit Funktionsbekleidung. Und ein Viertel des gesamten Umsatzes macht die Branche in Deutschland, bestätigt die Marktforschung der European Outdoor-Group, eines Interessenverbands der europäischen Draußen-Unterwegs-Industrie. Und dieser Umsatz wächst beständig.

Eine Studie in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Wanderverband aus dem Jahr 2010 stellt fest, dass auch 74 Prozent der Nichtwanderer eine wetterfeste Jacke besitzen. Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein erklärt sich das so: "Ich glaube, es gehört zu einem gesunden Lebensstil dazu, sich in der Natur zu bewegen und dieses gute Image färbt auf die Kleidung ab."

Außen sportlich - innen Sofa

Das Image also. Innerhalb von Sekunden vom Sofahocker zum sportlich Aktiven - in einer alternden Gesellschaft. Das ist zumindest rein äußerlich dank einer wetterfesten Klamotte möglich. Das "Schmücken" mit einem sportlichem Image könnte tatsächlich ein Motiv dafür sein, dass sich Funktionsbekleidung in Deutschland gut verkauft, sagt auch Stefan Brunner von der Gesellschaft für Konsumforschung.

Adalbert von der Osten hält von solchen emotionalen Argumenten dagegen gar nichts. Der Geschäftsführer des Bundesverband Sportartikelindustrie hält sich an Zahlen. Deutschland sei nunmal das bevölkerungsreichste Land Europas - mit einem dichten Netz von Outdoor-Fachhandel und -Vertrieb. "Die Vielfalt im Handel, das gibt es in kaum einem anderen Land in Europa." Wenn dieses Angebot dann entsprechend intensiv beworben werde und die Preise stimmten, dann werde das auch gekauft, so von der Osten. Außerdem könne man aufgrund der Witterung wetterfeste Kleidung in Deutschland besonders gut gebrauchen.

Uniform statt modischer Chic

Tatsache. Allerdings kann man auch bei schwedischer Witterung eine Funktionsjacke gut gebrauchen. Oder in Russland. In diesen Ländern hat die europäische Outdoor-Branche zwischen 2009 und 2011 allerdings nur vier bis sechs Prozent ihres Umsatzes gemacht. Gut, in Schweden leben erheblich weniger Menschen als in Deutschland und in Russland ist das Vertriebsnetz vielleicht nicht so dicht, aber könnte es nicht auch daran liegen, dass die Deutschen ein weniger ausgeprägtes Stil-Bewusstsein haben als andere Nationen? Oder wie Gerd Müller-Thomkins vom Deutschen Mode-Institut sagt: "Jeder Italiener käme sich in einem durchgehenden Funktionsoutfit lächerlich vor."

Diese These geht allerdings davon aus, dass eine Outdoorjacke nicht stilvoll ist. Was zu beweisen wäre. Tatsächlich war Funktionsbekleidung lange Jahre äußerlich uniform - ohne modische Variation, so Müller-Thomkins. Trendentwicklung sei bei Outdoorkleidung kein Thema gewesen, sie war unabhängig von der Mode. "Aber Funktion ist für die Bekleidungsindustrie ein Boomfaktor geworden. Jetzt kommt der Reiz, sich durch Materialien und Farben abzusetzen. Dadurch kommt ein Variantenreichtum in das Kastendenken der Funktionsbekleidungsträger." Und außerdem sei "praktisch" ja nicht gleich "schlecht" - schlecht im Sinne von stillos.

Es wird wohl, wie so oft, eine Mischung aus vielem sein. Eine Mischung aus wechselhaften Wetterbedingungen, einem breiten Angebot, einem positiven Image und einem pragmatischen Naturell, die die Deutschen gerne zu Funktionsbekleidung greifen lässt. Gerd Müller-Thomkins vom Deutschen Mode-Institut hat übrigens auch eine Outdoorjacke. "Vorausschauend in Anthrazit gekauft, ein Klassiker."

Junge Frau im Schnee beim Schnürsenkel binden © dostar10
Outdoor-Kleidung ist auch Mode - jedes Jahr eine neue KollektionBild: dostar10/Fotolia
Eine Ausstellungsfigur des Outdoor-Equipment-Herstellers "Jack Wolfskin" kniet auf der Internationalen Fachmesse fuer Sportartikel und Sportmode, "ispo"am Stand des Unternehmens. Foto: Lukas Barth/dapd
Viel Werbung, viel Auswahl im Handel und natürlich große MessenBild: dapd
Kaufhaus Jack Wolfskin Store Innenansicht Linz Oesterreich
2,5 Milliarden Umsatz in Deutschland: Blick in einen Jack Wolfskin StoreBild: picture alliance / Eibner-Pressefoto