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Eine alte Schule als Flüchtlingsheim

Carla Bleiker17. August 2014

Flüchtlinge aus dem Irak, Eritrea und anderen Ländern haben Zuflucht in einer alten Schule in Essen gefunden. Das Leben auf engem Raum akzeptieren sie, weil sie auf eine bessere Zukunft hoffen.

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Leiter Riddar Martini und Sozialbetreuerin Azemina Mehmedovic lesen mit den Kindern im Flüchtlingsheim Essen-Kupferdreh (Foto: DW/C. Bleiker)
Bild: DW/C. Bleiker

Auf den ersten Blick könnte man die Räume für eine Wohngemeinschaft halten: Es gibt einen Plan, wer wann die Böden wischt, und ein großes Zimmer mit Sofas, in dem zwei Männer Billard spielen. Aber das große, graue Gebäude im Essener Vorort Kupferdreh-Dilldorf beherbergt keine WG, sondern Asylbewerber. "Die Bewohner momentan kommen aus Eritrea, Sudan, Algerien, Irak, Syrien, Afghanistan, Somalia, Bosnien, Serbien, Albanien, Kosovo - wir sind eine sehr, sehr bunte Truppe", sagt Ridda Martini, der Leiter des Flüchtlingsheims, der DW. "Wir sind bei der Maximalbelegung von 80 Personen."

In der ehemaligen Schule in Essen leben seit September 2013 Flüchtlinge, die auf die Bearbeitung ihres Asylantrages warten. Sie sind vor Gewalt und Verfolgung in ihren Heimatländern geflohen. Einer der beiden Billardspieler beispielsweise ist Jeside aus dem Irak, wo die Minderheit gerade von den militanten Kämpfern des "Islamischen Staats" verfolgt wird.

Wenig Komfort - aber dafür sicher

Der Platz ist knapp: Je zwei Familien teilen sich einen Klassenraum. Alleinstehende Asylbewerber sind in Räumen mit rund 14 anderen Menschen untergebracht. Das Flüchtlingsheim liegt direkt an der Kreuzung zwischen einer Landstraße und der Autobahn 44. Die grauen Gänge strahlen nicht gerade Gemütlichkeit aus, obwohl sich jemand Mühe gegeben und Fotos von europäischen Metropolen wie London, Paris und Kopenhagen an die Wände gehängt hat.

Außenansicht des Flüchtlingsheims Essen-Kupferdreh (Foto: DW/C. Bleiker)
Von außen eher trostlos: Das Flüchtlingsheim in Essen-KupferdrehBild: DW/C. Bleiker

Und trotzdem: Die Flüchtlinge sagen, sie seien froh, in der Unterkunft zu sein. Der Komfort mag nicht besonders groß sein, dafür sind sie hier in Sicherheit und haben die Chance auf ein besseres Leben. Immer mehr Menschen suchen wie sie in Deutschland Schutz: Von Januar bis Juli 2014 beantragten laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 97.093 Menschen Asyl in Deutschland. Das sind 62 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2013. Die meisten der Asylbewerber kommen aus Syrien, gefolgt von Serbien und Eritrea.

Leben auf engstem Raum

Ahmed kam aus dem Kosovo ins Flüchtlingsheim. Der 31-jährige Roma floh vor sechs Monaten mit seiner Frau und seinen drei Kindern nach Essen. Er hat zwei Söhne, 13 und 5, und eine 10-jährige Tochter. "Ich wollte Zuflucht finden, einen Ort, an dem ich mich mit meiner Familie sicher fühlen kann", sagt er. "Im Kosovo werden alle Roma schlecht behandelt."

Sami (Name von der Redaktion geändert) aus Eritrea macht das Leben auf engem Raum ebenfalls wenig aus. "Zuerst war es hier schwierig für mich", gibt der 29-Jährige zu, der vor acht Monaten allein nach Essen kam. "Aber jetzt geht es mir gut." Er lebe in einem Raum mit 13 oder 14 anderen Flüchtlingen zusammen. "Ich mag das Sozialleben, also ist das kein Problem für mich." Sami sagt, er spiele gern Fußball oder Billard mit den anderen Bewohnern, oder sie schauten zusammen fern.

Nachbarschaftshilfe statt Ablehnung

Leiter Martini ist stolz auf das Gemeinschaftsgefühl in seinem Flüchtlingsheim. Ahmed ist ein lebendes Beispiel für den Zusammenhalt der Bewohner untereinander. Seine Familie teilt ihr Zimmer mit einem weiblichen Flüchtling. Er fühle sich ein wenig verantwortlich und kümmere sich um sie, erzählt der schmächtige Mann im Muhammad-Ali-T-Shirt. Schließlich sei sie als Frau allein in einem fremden Land.

Leiter Riddar Martini im Hof des Flüchtlingsheims Essen-Kupferdreh (Foto: DW/C. Bleiker)
Martini freut sich, dass die Nachbarn seine Einrichtung so gut angenommen habenBild: DW/C. Bleiker

Die Bewohner essen ihre Mahlzeiten zusammen. Zum Frühstück und Abendessen gibt es Brot, Aufschnitt, Joghurt, Obst und Gemüse, mittags eine warme Mahlzeit. Religiöse und gesundheitliche Einschränkungen werden berücksichtigt. Es gibt kein Schweinefleisch und keinen Alkohol, dafür aber vegetarische Alternativen und Essen für Diabetiker. "Und wenn jemand absolut keinen Fisch mag, dann kriegt er auch was anderes", sagt Martini lachend.

Nur eine Übergangslösung

Die Klassenzimmer, in denen die Flüchtlinge leben, haben keine eigenen Küchen, denn die alte Schule ist nur eine Übergangslösung für die Stadt Essen. Der Vertrag für das Flüchtlingsheim in Kupferdreh-Dilldorf läuft noch bis Ende 2014. Wenn bis dahin genug andere Unterkünfte wie Wohnungen oder permanente Heime entstanden sind, soll es geschlossen werden. Als im Dezember 2012 bekannt wurde, dass in der alten Schule ein Flüchtlingsheim entstehen sollte, war der Aufruhr unter den Bewohnern des Viertels groß. Die Nachbarn organisierten sogar eine Mahnwache mit Kerzen gegen die geplante Einrichtung.

Das Flüchtlingsheim kam trotzdem - und ist heute gut in der Nachbarschaft angekommen, erzählt Martini. Viele Nachbarn spenden Kleidung oder arbeiten ehrenamtlich mit den Flüchtlingen. Einige Rentner, die in dem Gebäude noch zur Schule gegangen sind, kehren jetzt wöchentlich dorthin zurück, um Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten. "Die Nachbarschaft funktioniert sehr gut", sagt eine Anwohnerin. "Die Flüchtlinge werden sehr gut betreut, zum Beispiel auch von der katholischen Gemeinde." Direkt neben dem Flüchtlingsheim ragt der Turm der Kirche Sankt Mariä Geburt in den Himmel.

Familienzusammenhalt zwischen den Bewohnern

Bei so vielen Menschen auf engem Raum komme es schon manchmal zu Streitigkeiten, sagt Martini. Gewalttätige Konflikte wie beispielsweise die Messerattacke vor einem Kölner Flüchtlingsheim Anfang August gebe es in der Essener Unterkunft aber nicht. Vielleicht ist ein Grund dafür die hohe Anzahl von Kindern in der Unterbringung - 37 sind es, das ist fast die Hälfte aller Bewohner. Während der Sommerferien gucken sie Fernsehen im Gemeinschaftsraum, schauen sich Bücher mit Sozialbetreuerin Azemina Mehmedovic an oder spielen im großen Hof des Flüchtlingsheims. Egal wo man ist, Kinder sind nie weit.

Sozialbetreuerin Azemina Mehmedovic mit einigen der Kinder im Flüchtlingsheim Essen-Kupferdreh (Foto: DW/C. Bleiker)
Mehmedovic nutzt die Bilderbücher auch, um spielerisch deutsche Begriffe mit den Kindern zu übenBild: DW/C. Bleiker

"Wir verstehen uns als eine große Familie", sagt Martini. "Und über die Kinder lernen sich die Menschen kennen, das ist auch für die Singles wichtig. Da gibt es ja auch Ältere, die dann 'adoptiert' werden als Großeltern." Auch der Einrichtungsleiter ist Teil dieser Großfamilie geworden. Als es anfängt zu regnen, ruft Martini den im Regen herumspringenden Kindern zu, sie sollen sofort reinkommen, sonst würden sie sich noch erkälten. "Ich bin selbst Vater", erzählt er.