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Einblicke ins rechtsextreme Milieu

Marcel Fürstenau, zurzeit München23. September 2014

Der Neo-Nazi und ehemalige Verfassungsschutz-Spitzel Tino Brandt berichtet über sein Doppelleben. In Brandts Umfeld radikalisierte sich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU). Die Geschichte bleibt schleierhaft.

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Tino Brandt auf einer Aufnahme aus dem Jahre 2001.
Bild: picture-alliance/dpa

Seine beste Zeit hat Tino Brandt lange hinter sich. Mitte der 1990er Jahre war er ein gefragter Mann in der aufstrebenden rechten Szene Thüringens. Damals gehörten die mutmaßlichen Mörder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zu seinem Bekanntenkreis. Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sollen von 2000 bis 2007 aus rassistischen Motiven zehn Menschen mit überwiegend ausländischen Wurzeln ermordet haben. Vor dem Münchener Oberlandesgericht (OLG) muss sich dafür als Hauptangeklagte nur Zschäpe verantworten. Ihre Kumpels haben sich bei der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 das Leben genommen.

Vom Zeugen Brandt versprechen sich alle Prozessbeteiligten Erkenntnisse über das Milieu, in dem sich das mutmaßliche Mörder-Trio bis zu seinem Untertauchen Ende der 1990er Jahre bewegt hat. Sie erhoffen sich aber auch Anhaltspunkte für die Zeit danach, als der NSU mutmaßlich seine Opfer aussuchte und gnadenlos erschoss. Ein Jahr nach dem ersten Mord, im September 2000 verübt am Nürnberger Blumenhändler Enver Simsek, fliegt Brandt als Spitzel des Thüringer Verfassungsschutzes auf. In der rechten Szene gilt er seitdem als Verräter. Darüber berichtete der 39-Jährige schon Mitte Juli bei seiner ersten Befragung im NSU-Prozess.

Zschäpe-Verteidiger glaubt an Entlastendes für seine Mandantin

Dieses Mal haben die Pflichtverteidiger Zschäpes und die Anwälte der vier wegen Beihilfe zum Mord Angeklagten mutmaßlichen NSU-Helfer Gelegenheit den Zeugen ausführlicher zu befragen. Wolfgang Stahl, der gemeinsam mit Anja Sturm und Wolfgang Heer die Hauptangeklagte verteidigt, interessiert sich besonders für Brandts dubiose Verfassungsschutz-Karriere. Warum er überhaupt Vertrauensmann geworden sei, will Stahl wissen? Das habe sich 1994 "leider so entwickelt", lautet die aus Sicht des Zschäpe-Verteidigers unbefriedigende Antwort.

Wolfgang Stahl (l.), Anja Sturm und Wolfgang Heer (r.) verteidigen Beate Zschäpe (hinten).
Wolfgang Stahl (l.), Anja Sturm und Wolfgang Heer (r.) verteidigen Beate Zschäpe (hinten).Bild: picture-alliance/dpa

Stahls Strategie ist erkennbar darauf ausgerichtet, Entlastendes für seine Mandantin aus dem Zeugen herauszulocken. Da könnte es hilfreich sein, wenn sich auch im NSU-Prozess das Bild vom Verfassungsschutz als Aufbauhelfer der rechten Szene Thüringens belegen ließe. Dieser Eindruck hat sich schon in den NSU-Untersuchungsausschüssen des Bundestages und des Landes Thüringen verfestigt. Brandts Einlassungen im NSU-Prozess klingen wie eine Bestätigung.

Fotos vom Rudolf Heß-Gedenkmarsch

Der Verfassungsschutz habe ihn dazu verpflichtet, sich über seine V-Mann-Rolle gegenüber der rechtens Szene, der Polizei oder der Justiz nicht zu offenbaren. Mit dem Geld, das der Neo-Nazi für seine Spitzel-Dienste erhielt, hat er eigenen Angaben zufolge die politische Arbeit in der rechten Szene unterstützt. Als Beispiele nennt Brandt den Vertrieb von propagandistischen Aufklebern und die Übernahme finanzieller Außenstände säumiger Mitglieder der rechtsextremen NPD.

Zu Beginn seiner Befragung legt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl dem Zeugen Brandt mehrere Fotos von Veranstaltungen der rechten Szene vor. Darunter sind Aufnahmen von einem sogenannten Rudolf Heß-Gedenkmarsch. Heß war der Stellvertreter Adolf Hitlers und nahm sich als letzter inhaftierter Kriegsverbrecher 1987 das Leben. "Hier erkenne ich mich, Uwe Mundlos und Beate", sagt Brandt. Das Bild stamme aus dem Jahr 1996 oder 1997. Ganz genau könne er das nicht mehr sagen.

Gut vertraut mit der rechten Ideologie

Auf Nachfragen der Zschäpe-Verteidiger beschreibt Brandt die 39-Jährige als eine Person, die mit der rechten Ideologie zwar gut vertraut gewesen sei, sich aber nicht in den Vordergrund gedrängt habe. Bei politischen Veranstaltungen habe sie "nie vor der Menge gestanden und Reden gehalten", sagt Brandt. Ein "Mauerblümchen" sei sie aber auch nicht gewesen. Im Unterschied zu ihren Kumpels Böhnhardt und Mundlos habe sich Zschäpe immer "zivil" und "hübsch" gekleidet, fügt Brandt noch hinzu. Dem Klischee der Skinhead-Braut mit blonden Haaren habe sie nicht entsprochen.

Das sogenannte NSU-Trio: Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt (v.l.n.r.)
Das sogenannte NSU-Trio: Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt (v.l.n.r.)Bild: dapd

Brandts Darstellung der Hauptangeklagten passt zu dem Bild, das sich die Öffentlichkeit durch den NSU-Prozess bislang machen konnte: eine selbstbewusste Frau, die sich von den Männern in ihrem rechten Umfeld keinesfalls als gefügiges "Mädel" behandeln ließ. Wirklich entlastend dürfte diese Charakterisierung für Zschäpe kaum sein. Eher passt sie zu der Einschätzung, zu der die Anklage gelangt ist. Sie hält Zschäpe für diejenige, die den mordend durchs Land ziehenden Böhnhardt und Mundlos mit ihrer bürgerlichen Fassade in der gemeinsamen Wohnung in Zwickau den Rücken frei gehalten haben. Dort lebten sie die längste Zeit unter falschen Namen, ohne bei Nachbarn oder Behörden Verdacht zu erwecken.

"Wir wollten ja Abgeordnete werden"

Tino Brandt will nach dem Untertauchen des Trios keinen Kontakt mehr zu seinen alten Wegbegleitern gehabt haben. Das Verhältnis zu dem im NSU-Prozess wegen Beihilfe Angeklagten Ralf Wohlleben sei nach seiner Enttarnung als Verfassungsschutz-Spitzel "total gestört" gewesen. Ob er mit dem früheren NPD-Funktionär jemals die Anwendung von Gewalt thematisiert habe, will Wohllebens Anwalt Olaf Klemke schließlich wissen. Nicht, dass er wüsste, antwortet Brandt. Man habe sich damals, in den 1990er Jahren, für den "politischen Weg" entschieden und sei in die NPD eingetreten. "Wir wollten ja Abgeordnete werden."

So richtig zufrieden kann am Ende des Tages niemand mit den Antworten des Zeugen Brandt sein. Als der Vorsitzende Richter Götzl nachhakt, mit wem er noch so Kontakt gehabt habe, verweist Brandt auf sein schlechtes Namensgedächtnis. "Darüber hat sich damals schon der Verfassungsschutz beschwert", witzelt der zwielichtige Zeuge. Seine Befragung wird fortgesetzt.