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Streit mit Beigeschmack

Greta Hamann28. Februar 2014

Wann dürfen in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern zwei Pässe haben? Darum streitet sich die große Koalition. Doch im Grunde geht es um Deutschlands Einstellung zu einer multinationalen Gesellschaft.

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(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Deutsche mit Verfallsdatum" - so nannte sie kürzlich die deutsche Tageszeitung "Die Welt": 'Junge Menschen, die ausländische Eltern haben und in Deutschland geboren sind. Mit der Geburt bekommen sie zwei Pässe - den deutschen und den aus dem Herkunftsland der Eltern. Nach aktuellem Recht müssen sie sich aber bis zu ihrem 23. Geburtstag entscheiden, welchen der beiden Pässe sie behalten möchten. Viele verpassten diese Frist in den vergangenen Jahren und verloren somit automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft.

Diese Situation wollte die neue Regierung eigentlich abschaffen: Die sogenannte Optionspflicht sollte nicht mehr gelten - so steht es im Koalitionsvertrag, den die an der deutschen Regierung beteiligten Parteien CDU/CSU und SPD unterschrieben haben. Nun ist aber um ein entscheidendes Detail ein Streit entbrannt. Die Regel soll nur für diejenigen gelten, die sowohl in Deutschland geboren als auch aufgewachsen sind.

Das Problem: Wie will man das definieren? Die CDU/CSU hat bereits dafür einige Vorschläge gemacht: Ein Schulabschluss und eine längere Aufenthaltsdauer in Deutschland könnten Kriterien sein. "Man braucht Formulierungen, die einfach sind, die klar sind und die vor allen Dingen das Signal aussenden: Du bist hier willkommen," - so formulierte es der CDU-Fraktionschef Armin Laschet In einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Stellvertretender CDU-Vorsitzende Armin Laschet am Podium (Foto: Revierfoto)
"Nur Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, dürfen zwei Pässe behalten", sagt CDU-Mann LaschetBild: picture-alliance/dpa

Kritik von allen Seiten

Migrantenvertreter und Experten glauben jedoch nicht, dass die im Koalitionsvertrag vorgesehene Regelung solch ein Signal aussendet - im Gegenteil: "Das ist eine absurde Situation", sagt Ulrich Kober von der Bertelsmann-Stiftung im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Wir gehen zwei Schritte vor und einen wieder zurück. Gleichzeitig schaffen wir ein neues Bürokratiemonster." Auch der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, der sich selbst als unabhängig bezeichnet, glaubt, dass eine solche Regelung "weder praxistauglich noch gerecht" ist: "Die selektive Abschaffung der Optionspflicht ist nicht durchführbar", schreibt die Vorsitzende Christine Langenfeld in einer Presseerklärung und fordert, die Optionspflicht komplett abzuschaffen.

Die CDU/CSU will trotz der Kritik, die teilweise auch aus den Reihen des Koalitionspartners SPD kommt, an der Regelung festhalten. Man wolle sich an den Koalitionsvertrag halten, so die Vertreter der konservativen Parteien. Der Vorsitzende der Jungen Union in Bayern Hans Reichhardt drückt es noch drastischer aus: "Die deutsche Staatsbürgerschaft ist keine billige Ramschware, die man anpreisen muss wie sauer Bier."

Keine Willkommenskultur

"Diese Debatte geht vollkommen an der Realität vorbei", meint Andreas Wojcik. Auch er ist Mitglied der CDU. Trotzdem hält er die vorherrschende Meinung vieler seiner Parteifreunde für sehr problematisch: "Ein Land, das seine Bürger vor so eine Entscheidung stellt, kann nicht von einer Willkommenskultur sprechen", sagt Wojcik der DW. "Immer wieder wird gefordert, dass Migranten sich in Deutschland integrieren. Doch auf der anderen Seite kommt die Regierung diesen Menschen nicht entgegen."

Andreas Wojcik, CDU (Foto: privat)
Andreas Wojcik (CDU) glaubt, dass sich seine Partei verändern mussBild: privat

Der CDU-Politiker erklärt sich die Haltung seiner Parteifreunde mit einer tief sitzenden Angst vor gesellschaftlichen Veränderungen: "Ich glaube, viele Deutsche denken, dass ihre eigene Kultur damit verloren geht, sie haben Angst vor Überfremdung." Doch wie definiert sich ein Deutscher im Jahr 2014? "Genau hier liegt das Problem", so Wojcik, der selbst vor zwanzig Jahren von Polen nach Deutschland zog und beide Pässe besitzt. "Die Debatte wird von Personen geführt, die keine Ahnung von der echten Lebenssituation vieler Deutscher haben."

Deutsche Gesellschaft weiter als die Politik

"Wir leben in einer globalisierten Welt. Ein neues vielfältiges Deutschland wächst nach. Mehrstaatlichkeit und Interkulturalität sind heute ganz normal", sagt Ulrich Kober von der Bertelsmannstiftung. Auch er plädiert für eine einfache Lösung und das Recht, zwei Pässe besitzen zu dürfen.

Frauen mit Kopftuch in Schwarz-Rot-Gold in Köln.
Wie sieht die deutsche Gesellschaft heute aus? Die Diskussion muss noch geführt werdenBild: picture-alliance/dpa

Jeder fünfte Deutsche hat einen Migrationshintergrund. Die CDU/CSU spricht jedoch von Loyalitätskonflikten: Man könne sich nur einer Nation voll zugehörig fühlen, deswegen sei ein Doppelpass keine Lösung.

Mit diesem Thema beschäftigt sich der Deutsch-Argentinier Roman Lietz seit Langem: "Natürlich kann man sich gleichzeitig zwei Dingen zugehörig fühlen, man kann das nicht nur schwarz-weiß sehen", sagt Lietz. Als Beispiel führt der in Berlin wohnende Kommunikationswissenschaftler die zahlreichen Zugezogenen in der deutschen Hauptstadt an: "Obwohl sie vielleicht ursprünglich aus Bayern stammen, fühlen sie sich sowohl Berlin als auch ihrer Heimat verbunden." Hybrididentität nennt man dieses Phänomen in der Wissenschaft.

Falsches Signal an Migranten

Auch die Menschen, die Hiltrud Stöcker-Zafari als Vorsitzende des Verbands binationaler Familien und Partnerschaften vertritt, kennen das Gefühl, sich mehreren Kulturen und Nationen zugehörig zu fühlen: "Viele Menschen in unserem Verein haben zwei Pässe. Das ist überhaupt kein Problem. Die Diskussion ist absolut nicht zeitgemäß", sagt Stöcker-Zafari.

Die Diskussion sende ein falsches Signal aus: "Manchmal kommen verzweifelte Eltern zu mir, die glauben, dass ihr Kind seinen Pass abgeben muss." Obwohl manche gar nicht unter die Regelung fallen, weil beispielsweise ein Elternteil Deutsch ist, fühlen auch diese sich von der Regelung bedroht", erzählt Stöcker-Zafari. "Man muss sich einfach bewusst machen, was so eine Debatte anrichtet."