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Ein Pfarrer gegen den rumänischen Kommunismus

Keno Verseck 16. Dezember 2014

Der ungarischstämmige Pastor László Tökés wurde im In- und Ausland zum Symbol des Aufstandes gegen die Diktatur von Nicolae Ceausescu in Rumänien. Die Revolution begann vor 25 Jahren in Temeswar.

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László Tőkés, Priester und Politiker (Foto: Wikipedia)
Bild: cc-by-3.0/Szabi237

Die westrumänische Stadt Temeswar (Timisoara) am Nachmittag des 16. Dezember 1989: Vor dem Haus des ungarisch-reformierten Pfarrers László Tökés haben sich hunderte Menschen versammelt und protestieren. Tökés soll in ein weit entferntes Dorf strafversetzt werden, die Geheimpolizei Securitate will ihn und seine Frau Edit mit Gewalt aus der Wohnung holen. Als bewaffnete Bereitschaftspolizisten und Wasserwerfer anrücken, schlägt die Stimmung unter den Protestierenden um. Nun geht es nicht mehr nur um den Pfarrer. "Nieder mit Ceausescu und der Diktatur!", rufen die Demonstranten.

Der Aufstand gegen das Regime des national-kommunistischen Diktators Nicolae Ceausescu hat begonnen. Nur sechs Tage später wird seine Herrschaft enden. Doch das ahnt zu diesem Zeitpunkt noch niemand in Rumänien - auch László Tökés nicht. "Ich war auf das Schlimmste vorbereitet", erinnert er sich im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Ich konnte nicht glauben, dass das Ceausescu-Regime stürzen würde. Schon gar nicht ahnte ich, dass ich das auslösen würde."

László Tökés, geboren 1952, stammt aus einer Theologenfamilie und ist schon als Student offen antikommunistisch eingestellt. Als junger Pfarrer hat er eine Zeit lang Berufsverbot. 1988 beginnt er, von der Kanzel herab gegen die geplante Dorfzerstörung zu predigen - Ceausescu will 7000 Dörfer niederwalzen und an ihrer Stelle 500 sogenannte agro-industrielle Zentren errichten lassen.

Rumänien Geschichte Revolution Bukarest 1989
Demonstranten in Bukarest feiern den Umsturz (Dezember 1989)Bild: ullstein bild - Reuters

Von der Securitate drangsaliert

Wegen seiner Proteste wird Tökés von der Securitate immer wieder drangsaliert. Sein Bischof, ein Securitate-Spitzel, will ihn Anfang 1989 strafversetzen lassen. Doch Tökés verbarrikadiert sich ab April 1989 im Pfarrhaus in Temeswar. An ein baldiges Ende der Diktatur glaubt er jedoch nicht. "Ich handelte aus religiösen und moralischen Gründen", sagt Tökés. "Damals war Rumänien in einem Zustand, in dem ein Pfarrer sich hätte selbst bespucken müssen, wenn er nicht seinen Mund aufgemacht hätte."

So wenig wie Tökés ein Ende der Ceausescu-Diktatur voraussieht, so sicher wähnt sich der Diktator selbst. Im November 1989, als es längst umwälzende Veränderungen in allen anderen osteuropäischen Satellitenstaaten der Sowjetunion gegeben hat, lässt sich Ceausescu auf einem Jubelparteitag als "Führer" bestätigen. Am 17. Dezember 1989 erteilt er den Schießbefehl gegen die Aufständischen in Temeswar. Dutzende Menschen sterben, hunderte werden verletzt. Doch am 20. Dezember 1989 verlieren Armee und Polizei die Kontrolle - und die Aufständischen erklären Temeswar zur "ersten freien Stadt Rumäniens".

Als Ceausescu an diesem Tag in einer Fernsehansprache von "faschistischen Provokationen" in Temeswar spricht, ist das auch im Rest des Landes das Signal zum Aufstand. Nicht einmal 48 Stunden später, am Mittag des 22. Dezember 1989, fliehen der Diktator Ceausescu und seine Frau Elena aus Bukarest und werden nur Stunden später gefangen genommen.

Tökes bricht schnell mit den neuen Machthabern

László Tökés und seine Frau sind bereits am 17. Dezember gewaltsam in das Dorf Mineu in Nordrumänien gebracht worden. Dort erfahren sie vom Ende der Diktatur. Der Pfarrer wird im In- und Ausland zum Symbol des Aufstandes gegen die Diktatur, ist bald auch Mitglied im provisorischen Führungsrat Rumäniens. Doch schnell bricht Tökés mit den neuen Machthabern. Sie sind in der Mehrheit ehemalige Funktionäre der Diktatur, allen voran der provisorische Staatschef Ion Iliescu. Er war einst ein Zögling von Ceausescu gewesen, dann in Ungnade gefallen, hatte jedoch nie offen mit dem System gebrochen.

Was für Tökés noch schwerer wiegt: Ceausescus Rumänien-zentristische Ideologen aus Partei und Geheimdienst haben sich reorganisiert und führen schmutzige nationalistische Kampagnen. Im März 1990 gelingt es ihnen, in der siebenbürgischen Stadt Neumarkt (Targu Mures), Teile der rumänischen Bevölkerung gegen die dortige ungarische Minderheit aufzuhetzen. Fast kommt es zu einem Bürgerkrieg. Als Tökés seine Stimme gegen den rumänischen Nationalismus und für mehr Minderheitenrechte erhebt, wird er, das Symbol der Revolution, von den Machthabern um Ion Iliescu öffentlich zu einem Feind Rumäniens, zu einem Separatisten sowie Agenten ungarischer Geheimdienste und des KGB erklärt.

"Die Revolution wurde gestohlen"

Der Pfarrer wird im postkommunistischen Rumänien schnell zu einem der sogenannten "radikalen Ungarn" und gerät auch mit den gemäßigteren Politikern der ungarischen Minderheit aneinander. Tatsächlich klagt er oft in polarisierender Weise und zu Unrecht über die vermeintlich dramatisch schlechte Situation von Minderheiten in Rumänien. So etwa haben die Ungarn in Rumänien ein muttersprachliches Bildungswesen vom Kindergarten bis zur Universität, von dem Minderheiten in den meisten anderen Ländern der EU nur träumen können.

Krise in Rumänien 1990
Umgestürzte Lenin-Statue in Rumänien (1990)Bild: picture alliance/dpa

Andererseits sind in Rumänien rationale Diskussionen über eine Regionalisierung oder über eine Autonomie für Minderheiten, wie sie Tökés gerne führen würde, bis heute kaum möglich - sie werden als Separatismus abgestempelt. Auch nationalistische Kampagnen gegen die ungarische Minderheit finden nach wie vor statt. Zugleich hat bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen eine Mehrheit der Rumänen einen Kandidaten gewählt, der zur deutschen Minderheit der Siebenbürger Sachsen gehört - ein wahrhaft historisches Ereignis in der rumänischen Geschichte.

Auch László Tökés hat Klaus Iohannis im Präsidentschaftswahlkampf unterstützt. Er ist allerdings skeptisch, ob Rumäniens neuer Präsident das Land wirklich von Grund auf ändern kann. "Der Wandel in Rumänien ist nach 1989 nie wirklich vollzogen worden", sagt Tökés im Rückblick. "Oder, wie es der rumänische Volksmund ausdrückt: Die Revolution wurde gestohlen."