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Brasiliens Präsidentin im "Reich Gottes"

Greta Hamann / Fernando Caulyt1. August 2014

Ein evangelikaler Megatempel hat in São Paulo seine Pforten geöffnet. Zur Einweihung kam selbst Brasiliens Präsidentin. Mitten im Wahlkampf zeigt das die umfassende Macht der umstrittenen Religionsgemeinschaft.

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Der Salomontempel bei der Eröffnungsfeier umringt von Gläubigen (Foto: dpa/landov)
Umringt von Gläubigen: Sie übernahmen während der Eröffnungszeremonie den SicherheitsdienstBild: picture-alliance/landov

Drei Stunden machten sie es sich auf den aus Spanien importierten Stühlen - 800 Euro das Stück - gemütlich. Genau so lang dauerte die Eröffnungszeremonie des monumentalen Tempels "Templo do Salomão" in São Paulo - des nun größten Gotteshauses Brasiliens. Die Präsidentin Dilma Rousseff höchst persönlich und zahlreiche andere politische und wirtschaftliche Größen des Landes waren gekommen und saßen neben dem Gründer der "Igreja Universal de Reino de Deus" (Universalkirche des Reich Gottes) Edir Macedo.

Der Salomontempel setzt ein Zeichen. So wie das monumentale Gotteshaus in den vergangenen vier Jahren im Zentrum São Paulos in die Höhe schoss, so wächst auch der Einfluss der Evangelikalen in Brasilien in den vergangenen drei Jahrzehnten – und nimmt weiter zu: Nach Erhebungen des brasilianischen Statistikinstituts "IBGE" ist ihr Anteil an der brasilianischen Bevölkerung von rund 15 Prozent im Jahr 2000 auf circa 22 Prozent im Jahr 2010 angewachsen. Mittlerweile gehören nur noch rund 65 Prozent der Menschen des größten Landes auf dem "katholischen Kontinent" der katholischen Kirche an und folgen dem Papst im fernen Rom. Die Zahl der Anhänger der Evangelikalen wächst dagegen kontinuierlich.

Einweihung des Salomons Tempel in Sao Pulo am 31.7.2014 (Foto: Victor Moriyama/Getty Images)
Präsidentin Rousseff neben Kirchengründer Edir Macedo (2. von rechts) in der ersten ReiheBild: Getty Images

Der Tempel ragt in den Himmel wie ein 18-stöckiges Hochhaus. Die Steine, die seine Wände verkleiden, wurden aus Hebron in Israel eingeflogen. Die sieben Millionen Euro teure Lichtanlage soll die Abendstimmung in Jerusalem imitieren. Zwei überdimensionale Bildschirme wurden aus Belgien importiert. Sie hängen links und rechts des Altars und sorgen dafür, dass auch Besucher auf den hinteren Plätzen des 74.000 Quadratmeter großen und 10.000 Menschen fassenden Gebäudes etwas von der Messe mitbekommen. Das komplette Bauwerk kostete umgerechnet 224 Millionen Euro.

Dilma Rousseff kämpft um jede Stimme

Der Glanz des monumentalen Gebäudes soll in Zeiten des schwierigen brasilianischen Wahlkampfes auch auf die Präsidentin ausstrahlen. So begibt sie sich auf Stimmenfang in das "Reich Gottes". Im Oktober wählt Brasilien. Dann entscheidet sich, ob Rousseff weitere vier Jahre Präsidentin bleibt oder ihr größter Konkurrent Aécio Neves sie ablöst.

Leonildo Silveira Campos lehrt Religionswissenschaften an der Methodistischen Universität von São Paulo (UMESP). Er erklärt das Kalkül der Amtsinhaberin: "Die IURD kontrolliert direkt oder indirekt um die fünf Millionen Stimmen", so Silveira Campos. "Das ist eine so große Gruppe, die darf Rousseff gerade jetzt, wo sie an Zustimmung verliert, nicht außer acht lassen."

Einfluss in allen Bereichen: Religion, Medien, Politik, Wirtschaft

Der Gründer der "Universalkirche des Reich Gottes", Edir Macedo, weiß seine Macht zu nutzen. Der selbst ernannte Bischof hat seine Freikirche 1977 ins Leben gerufen. Er hatte als einfacher Beamter begonnen. Heute gehört er zu den einflussreichsten Menschen des Landes. Die US-Zeitschrift "Forbes" schätzte sein Vermögen auf rund 820 Millionen Euro.

Neben seiner multinationalen Kirche, die mittlerweile in mehr als 100 Ländern vertreten ist, besitzt er den zweitgrößten TV-Kanal Brasiliens "TV Record" und hält 49 Prozent der Aktien der Bank "Banco Renner". "Edir Macedo und seine Bischöfe haben es geschafft, eine Struktur zu schaffen, die sich immer wieder selbst ernährt - in den Medien, in der Politik, in der Wirtschaft. Deswegen ist es immer ein Fehler, wenn man meint, die Macht der Freikirchen beschränke sich nur auf den religiösen Bereich", sagt Ronaldo Almeida, Anthropologe an der staatlichen Universität von Campinas (Unicamp).

Kirchen haben großen politischen Einfluss

Auch im brasilianischen Abgeordnetenhaus ist der Einfluss der Evangelikalen groß: Zahlreiche Politiker bekennen sich offen zu einer der zahlreichen evangelikalen Kirchen, manche sind gar praktizierende Prediger. Die Republikanische Partei Brasiliens (PRB) gilt als der politische Arm der IURD. Die Fraktion der evangelikalen Abgeordneten im brasilianischen Kongress ist in den vergangenen Legislaturperioden stetig gestiegen. Von 30 im Jahr 1990 auf 73 Abgeordnete heute. Geht es um kritische Abstimmungen wie Abtreibung, weitet sich die Gruppe der Religiösen gar bis auf rund 190 Parlamentarier aus. Das sind knapp 40 Prozent des Parlaments.

Der Salomontempel aus der Vogelperspektive (Foto: imago)
Das Gelände des Salomontempels umfasst eine Fläche, die fünf Fußballfeldern entsprichtBild: imago

Kritiker bezeichnen die IURD als kriminelle Sekte. Sie werfen ihr vor, die Gläubigen auszunehmen. Ein Zehntel ihres Einkommens spenden diese jeden Monat an die Kirche. Im neuen Salomontempel wurde dafür extra eine fahrbare Matte - ähnlich einer Rolltreppe - eingebaut, die die Spenden vom Altar direkt in ein sicheres Hinterzimmer befördert. Andere sagen, die Prediger der Vereinigung betrieben Gehirnwäsche: Sie versprächen ihren Anhängern die Heilung von tödlichen Krankheiten oder hetzten gegen Homosexuelle. Bei der Eröffnungszeremonie gab man sich nun jedoch betont tolerant und weltoffen.

Angst vor "evangelikaler Hegemonie"

Der wachsende Einfluss der Evangelikalen birgt Gefahren, meint Religionswissenschaftler Silveira Campos: "Viele Brasilianer befürchten, dass sich die evangelikale Kirche und die konservativen Katholiken zusammen tun und beispielsweise Kampagnen gegen Abtreibung oder die Heirat von Gleichgeschlechtlichen vorantreiben. Es gibt die Angst, sie könnten eine konservative Wende einleiten." Eine "evangelikale Hegemonie" sei nicht gut für ein Brasilien, das eigentlich demokratisch, pluralistisch und weltlich aufgestellt sein wolle, so der Experte weiter.

Doch diese Kritik an der Kirche spielte beim Eröffnungsgottesdienst am Donnerstag keine Rolle. Stattdessen versammelten sich die geladenen Gäste nach der Messe im zehnten Stock des Gebäudes zu Drinks und Schnittchen. Journalisten blieben während der gesamten Zeremonie außen vor. Nur ein Triumph blieb Edir Macedo an diesem Abend verwehrt: Zu einer von ihm zunächst angekündigten Pressekonferenz mit der Präsidentin erschien diese dann doch nicht.