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Ein Leben für die Klassik

Suzanne Cords15. April 2014

Seine Vorfahren stammen aus dem Land der Dichter und Denker, und auch der Musikwissenschaftler William Kinderman fühlt sich Deutschland sehr verbunden. Ohne Beethovens Werk würde der Welt etwas fehlen, ist er überzeugt.

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William Kinderman sitzt am Klavier Foto: dw/ Suzanne Cords
Bild: DW/S. Cords

Wenn William Kinderman Original-Handschriften und Notenblätter untersucht, erfasst ihn jedes Mal Ehrfurcht. "Es ist fast so, als ob ich dabei gewesen sei, als Beethoven die Noten zu Papier brachte." Der Professor aus Illinois lebt für die Musik. Dreh- und Angelpunkt seiner Forschung ist der künstlerische Schaffensprozess des großen Komponisten Ludwig van Beethoven. So hat sich der mittlerweile 61-Jährige bereits in seiner Dissertation mit der Entstehung von Beethovens Diabelli-Variationen beschäftigt. "Ohne ein Stipendium des DAAD und später der Humboldt-Stiftung wäre es mir so nicht möglich gewesen, die Originalquellen in Bonn und Berlin zu untersuchen", sagt er.

Heute gilt William Kinderman weltweit als einer der renommiertesten Beethoven-Forscher. Zuhause in den USA unterrichtet er an der University of Illinois in Urbana-Champaign und arbeitet als Redaktionsleiter des "Beethoven Sketchbook Project", das sich mit den rund 8000 handschriftlichen Notizseiten des Maestros beschäftigt. Gleichzeitig widmet sich Kinderman mit Leidenschaft seinem Klavierspiel und gibt Konzerte rund um den Globus – am liebsten natürlich mit Werken von Beethoven. So eine zweigleisige Karriere ist in Universitätskreisen eher ungewöhnlich, was der Professor schade findet. "Natürlich braucht Musikwissenschaft Theorie, aber sie braucht auch Ästhetik und Praxis. Leider hat das heutzutage oft wenig miteinander zu tun."

Kampf mit dem Pianino

Während seiner Kindheit in Philadelphia sah es zunächst gar nicht danach aus, dass William einmal eine Musiklaufbahn einschlagen würde. "Außer meinem großen Bruder war meine Familie überhaupt nicht musikalisch orientiert", erzählt er. "Als er starb, fand ich in seinem Zimmer eine Partitur von Beethoven, genauer gesagt handelte es sich um die Sonate Pathetique Op. 13." Der damals 9-jährige William kämpfte sich auf dem Pianino im Haus durch die unbekannte Welt der Noten. "Das war mein erster Kontakt zu Beethoven, und es war der Beginn einer großen Leidenschaft."

Wiulliam Kinderman über seinen Besuch im Beethovenhaus

Musik statt Chemie

Trotzdem widmete sich Kinderman im Studium zunächst den Naturwissenschaften und stürzte sich vor allem auf die Chemie. "Erst später habe ich mich dann mit Musik, Klavier und Philosophie beschäftigt", erzählt er. Dafür aber umso gründlicher. Kinderman studierte an der Universität of California in Berkeley und in Connecticut an der Yale University in New Haven sowie in den 70er Jahren an der Universität und der Musikhochschule in Wien. Dort hat er auch gelernt, Deutsch zu sprechen - und das ganz hervorragend. Vielleicht liege ihm das ja in den Genen, lacht er, schließlich seien seine Großeltern väterlicherseits vor 100 Jahren aus Norddeutschland nach Amerika ausgewandert, und ihn zöge es jetzt wieder in die Heimat seiner Vorfahren zurück. "Dieser Hang ist übrigens ansteckend. Sowohl meine Kinder aus erster als auch aus zweiter Ehe haben mit mir viel Zeit in Deutschland verbracht und lieben dieses Land."

Auf den Spuren Beethovens

Zum ersten Mal kam Kinderman 1979 auf den Spuren Beethovens mit einem DAAD-Stipendium nach Bonn und tauchte dort in das Archiv im Geburtshaus seines Idols ein. "Es war faszinierend und ein großartiges Gefühl", erinnert er sich. Nach der Wende lehrte der mittlerweile gestandene Professor in Berlin an der Hochschule der Künste und schließlich in den letzten Jahren als DAAD-Gastdozent und als Preisträger der Humboldt-Stiftung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. "Das kulturelle Erbe, also die Geschichte der Musik, verbindet mich aufs Engste mit Deutschland. Neben Beethovens Werk habe ich auch Bach, Mozart Mahler oder Wagner erforscht."

Kinderman spielt Beethoven

Fachsimpeln unter Humboldtianern

Regelmäßig kommt der Professor zu Humboldt-Tagungen in das beschauliche Städtchen Bonn. Und dann überrascht er seine fachfremden Kollegen mit ganz neuen Einblicken in die Musikwissenschaft. Einem Auditorium voller Physiker führte er so zum Beispiel die Parallelen zwischen Beethovens Musik und der Forschung des Dänen Niels Bohr, der die Struktur des Atoms untersucht hat, vor Augen: "Bohr hat entdeckt, dass das Licht nicht nur aus kleinen Partikeln, sondern auch aus Spannung besteht, und das finde ich besonders beim späten Beethoven auch prägend. Der künstlerische Inhalt besteht nicht nur aus den Noten, sondern auch aus der Spannung mit vielen Trillern."

Und damit sein Publikum von Naturwissenschaftlern diese Erklärung auch versteht, hat er das in Formeln zu Papier gebracht. Da zeigt es sich, dass sein früheres Chemie-Studium auch der Musik dient. Es sei immer wieder spannend, mit andern Humboldtianern zu fachsimpeln, meint er.

Musiknotizen von William Kinderman Foto: dw/ Suzanne Cords
Kindermansche Notizen: Parallelen zwischen der Musik und der PhysikBild: DW/S. Cords

Lobende Worte

Für seine Auslandsaufenthalte findet William Kinderman nur lobende Worte. "Ich bin sehr dankbar für die schönen Erfahrungen, die ich hier sammeln durfte und kann Studierenden aus aller Welt nur wärmstens empfehlen, sich ebenfalls um ein Stipendium zu bewerben. Das erweitert den Horizont."

So oft war der US-Amerikaner mittlerweile in Deutschland, dass er sich schon als ausgewiesener Kenner des Landes sieht. Wenn er eines Tages in Rente geht, könnte er sich sogar vorstellen, auf Dauer hier zu leben. "Ich habe sehr viele Freunde, und ich schätze vor allem den derben Humor der Rheinländer. So ähnlich muss auch der Mensch Beethoven gewesen sein", meint er. Wenn dann noch die Spezialitäten der Region, nämlich Sauerbraten vom Pferd und ein Glas Kölsch, auf den Tisch kommen, ist William Kindermans Glück perfekt.