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Ein Künstler in Auschwitz

Sarah Judith Hofmann 26. Januar 2015

Kunst, die in Konzentrationslagern entstand, wird häufig in erster Linie als Zeitzeugendokument betrachtet. Eine Ausstellung im Bundestag will das ändern. Und richtet zugleich den Blick in die Zukunft.

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Kunst in der Katastrophe Sigalit Landau
Bild: DW/S. Hofmann

Yehuda Bacon ist ein Herr von 85 Jahren. Häufig wird er als "Zeitzeuge" oder als "Holocaust-Überlebender" vorgestellt. Und es ist richtig. Bacon hat drei Konzentrationslager überlebt: Theresienstadt, Auschwitz und Mauthausen. Doch Jürgen Kaumkötter möchte ihn anders vorstellen. "Er ist in erster Linie Künstler", sagt der Osnabrücker Kunsthistoriker, "Künstler, der in Auschwitz war. Auf die Reihenfolge kommt es an."

Das ist Kaumkötters Anliegen, das möchte er mit dem Buch, das er geschrieben hat und mit der gleichnamigen Ausstellung "Der Tod hat nicht das letzte Wort" zeigen: Dass in Ghettos, in Verstecken, in Konzentrationslagern große Kunst entstand, die gleichzeitig ein Zeugnis der Verbrechen ist, die im Namen Hitlers von 1933 bis 1945 begangen wurden. 15 Jahre hat er geforscht, jetzt, zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz bekommt das Thema die nötige Aufmerksamkeit. Am 27. Januar wird die Ausstellung im Deutschen Bundestag unter Anwesenheit aller Bundestagsfraktionen und Künstlern wie Yehuda Bacon eröffnet.

Kunst in der Katastrophe Peter Kien
Die Berliner Ausstellung ist auch eine Hommage an den Künstler Peter KienBild: DW/S. Hofmann

"Es ist wahrscheinlich der letzte Gedenktag, an dem sich Überlebende aktiv beteiligen können", sagt Kaumkötter. "Deswegen erzählt die Ausstellung die Geschichte, wie sich nachfolgende Generationen, wie wir heute mit dem Erbe der Überlebenden umgehen und wie wir es annehmen können."

Die Genealogie der Künstler: Kien - Bacon - Landau

Es gibt eine Art Genealogie, die sich durch die Ausstellung zieht. Sie beginnt bei dem Künstler Peter Kien, der 1919 in Varnsdorf geboren wurde, auf halber Strecke zwischen Prag und Berlin. Mit 22 Jahren wurde er, weil er Jude war, nach Theresienstadt deportiert. Er war einer der ersten überhaupt, die in dieses von Adolf Eichmann als "Vorzeigelager" konzipierte KZ gebracht wurden. Andere Künstler und namhafte Personen sollten ihm folgen. Mit dem Kulturleben in Theresienstadt sollte das Internationale Rote Kreuz über die wahren Zustände der NS-Lager getäuscht werden. Kien hatte zuvor an der Prager Akademie der bildenden Künste studiert und baute in Theresienstadt eine Zeichenstube auf. Hier schuf er unter ständiger Todesbedrohung ein beeindruckendes zeichnerisches Werk, darunter viele Porträts von Mithäftlingen – und Selbstporträts.

Kunst in der Katastrophe Yehuda Bacon
Yehuda Bacon: Künstler, der in Auschwitz warBild: DW/S. Hofmann

Außerdem brachte er Kindern im Lager das Zeichnen bei. Einer von ihnen war der damals 13-jährige Yehuda Bacon. "Ich wusste damals nichts von Kunst. In Theresienstadt bekam ich dann eine erste Vorahnung", sagt Bacon. "Ich wusste, es macht mir Freude. Ich dachte, Kunst ist, wenn ich es genau male und es ist dem Modell ähnlich." Bacon lacht. "So eine kindische Vorstellung." Peter Kien war es, der Bacon überhaupt erst auf die Idee brachte, dass ein Künstler in ihm stecken könnte.

Auschwitz und die Öfen der Krematorien

Beide - Kien und Bacon - wurden schließlich von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert. Kien wurde 1944 ermordet. Bacon überlebte.

Als Jugendlicher wurde er in Auschwitz-Birkenau für Botendienste eingesetzt – und sah auch jene Orte, die kaum einer lebend wieder verließ. Ein Kapo - ein KZ-Aufseher - erlaubte es den Kindern, sich im kalten Winter an den Öfen der Krematorien zu wärmen, auch in die Gaskammern sollten sie sich setzen, um sich zwischendurch auszuruhen. Bacon kannte die Details der "Todesfabrik" von Auschwitz-Birkenau. Und er begann sie zu zeichnen. Noch im Lager. "Ich konnte in Auschwitz zeichnen, aber es war gefährlich", erzählt der 85-Jährige heute. "Bleistift war verboten, Papier war verboten, aber wenn man Verbindungen zum Schreiber hatte, der notieren musste, wie viele neue Juden ankamen, dann konnte man diese Dinge bekommen. Für uns Kinder galt inmitten dieser Hölle zeitweise: ihr seid ja ohnehin nur für kurze Zeit hier, also macht, was ihr wollt."

Kunst in der Katastrophe Yehuda Bacon
Porträts, die Yehuda Bacon 1945 nach seiner Befreiung zeichneteBild: DW/S. Hofmann

Nach der grausamen Logik der SS waren Kinder nicht kräftig genug zum Arbeiten, also sollten sie, sobald es die enge Taktung der Todesmaschinerie erlaubte, vergast werden. Noch kurz vor der Befreiung von Auschwitz wurde Bacon ins Konzentrationslager Mauthausen gebracht. Erst am 5. Mai wurde er befreit. Seine Zeichnungen waren alle verloren. "Aber sofort nach dem Typhus, sobald ich einen Bleistift halten konnte, zeichnete ich auswendig, aber genau. Die Gaskammer und das Krematorium und das alles. Meine Zeichnungen stimmen genau mit den Plänen überein, nach denen die SS Auschwitz baute." Dies stellten die Richter im Eichmann-Prozess und im Frankfurter Auschwitz-Prozess fest. Bei diesen beiden wichtigsten Prozessen gegen die Verbrechen von Auschwitz, sagte Yehuda Bacon aus.

Beweise oder Kunst?

Seine Zeichnungen wurden zu Beweisdokumenten. Doch Bacon malte auch anderes, Porträts zum Beispiel – wie einst Peter Kien. "Das ist keine Kunst", sagt Bacon über seine Porträts von 1945 und winkt ab. "Da bin ich mit dem Kopf noch im Lager." Der Kunsthistoriker Kaumkötter widerspricht: "Natürlich sind auch die Frühwerke von Yehuda Bacon Kunst, denn er ist ein Künstler. Die schönste Definition ist: Kunst ist das, was ein Künstler macht."

Yehuda Bacon möchte lieber andere Werke zeigen, spätere Arbeiten, in denen er eine eigene Symbolsprache gefunden hat. Es geht ihm um das Moment des "Überzeitlichen", den "Moment der Wahrheit", den er bei Künstlern wie Rembrandt so bewundert – und von dem er hofft, dass ihn ein Betrachter vielleicht in einem seiner Werke erleben möge. "Kunst ist weglassen", meint er, "und das ist sehr schwer."

Es sind Sätze, die er vielleicht auch seinen Studenten an der berühmten Bezalel Akademie in Jerusalem gesagt hat. Womit wir zurückkommen auf die genealogische Linie der Ausstellung. Lernte er selbst das Zeichnen von Peter Kien in Theresienstadt, bringt er Jahrzehnte später als Lehrer der Bezalel Akademie der jungen Sigalit Landau das Zeichnen bei. "Es ist eine Weitergabe von Wissen, von Verantwortung und Talent, von Menschlichkeit, die hier zu sehen ist," sagt Jürgen Kaumkötter.

Kunst in der Katastrophe Jürgen Kaumkötter
Kurator und Buchautor Jürgen Kaumkötter vor einem Bild, das in Auschwitz entstand - und das Kaumkötter bereits als Student kaufte, um es dann dem Museum Auschwitz zu schenkenBild: DW/S. Hofmann

Die zweite Generation: Funkelnde Kristalle

Die Werke von Sigalit Landau, 1969 in Jerusalem geboren, bilden zugleich das Ende und den Anfang der Ausstellung im Bundestag. Sie hat Auschwitz nicht erlebt, sie gehört der zweiten Generation an, ihre Eltern sind Holocaust-Überlebende. Auch in ihren Werken spielt die Referenz auf Auschwitz eine wichtige Rolle, aber eben ganz anders als bei den Zeitzeugen.

Ihr war es wichtig, für die Ausstellung in Berlin ein ganz neues Werk zu schaffen, eigens konzipiert für den Ort, an dem der Schrecken des Nationalsozialismus seinen Anfang nahm. Ausgehend von der Glasvitrine voller Schuhe, die heute in der Dauerausstellung der Gedenkstätte Auschwitz zu sehen sind – ein Symbol der Millionen Männer, Frauen und Kinder, die von den Nazis ermordet wurden – sammelte Sigalit Landau in Israel einhundert Schuhe. Sie schnürte sie als Berg zusammen und versenkte sie im Toten Meer. "Das tote Meer ist für sie ein bedeutungsvoller Ort", sagt der Kurator Kaumkötter, "es ist nicht nur der tiefste See der Erde, sondern auch ein Ort, an den Menschen gehen, um sich vom Salzwasser heilen zu lassen. Und so heilt Sigalit Landau die Schuhe. Sie schützt sie mit Salz."

Es ist ein wundersamer Berg voller Salzkristalle. Wenn die Sonne in den gläsernen Bau des Bundestags scheint, funkeln sie.

Kunst in der Katastrophe Sigalit Landau
Sigalit Landaus Berg voller Schuhe - kristallisiert mit dem heildenden Salz des Toten MeeresBild: DW/S. Hofmann

Zum Weiterlesen:
Jürgen Kaumkötter: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Kunst in der Katastrophe 1933-1945. Galiani Berlin. 39,99€