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Ein Jahr im #Neuland

Silke Wünsch28. Dezember 2013

Sexismusdebatte, ein C-Promi im Hochwasser, eine Kanzlerin, die das Internet als unbekanntes Terrain betrachtet, ein Fußball-Überflieger und eine Halskette: Twitter war auch 2013 wieder überall live dabei.

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Twitter Jahresrückblick 2013
Bild: DW/F.Görner

Irgendwo ist immer einer, der twittert. Twitter ist schneller als jede Nachrichtenagentur und erreicht viel mehr Empfänger. In Deutschland twittern knapp 900.000 Menschen regelmäßig. Zum Vergleich: Facebook hat allein in Deutschland 26 Millionen Nutzer. Doch die Twitternutzer sind umtriebiger, sie interessieren sich für alles. Auf Twitter wird kritisiert, kommentiert, informiert und weitergereicht.

Ende Januar 2013 passierte etwas, das der Internetexperte Sascha Lobo später als "deutschen Prototyp einer digitalen Großdemonstration" bezeichnete: Zwei Frauen sammelten unter dem Hashtag #Aufschrei Erlebnisse von anderen Frauen, die schon mal sexistische Übergriffe erlitten haben. Innerhalb von zwei Tagen gab es 60.000 Tweets zum Thema. Fernsehsendungen wurden umgeplant, in jeder Talkshow fand die Sexismusdebatte statt, Moderatoren erklärten mehr oder weniger umständlich das Wort Hashtag. Die Netzgemeinde jubelte: Endlich war ein Thema aus dem Netz in der Mitte der Gesellschaft gelandet. Tatsächlich hat die Twitteraktion im Mai 2013 den Grimme Online Award gewonnen.

Twitter #aufschrei Tag Schlagwort Stichwort Sexismus Debatte
Der Hashtag #aufschreiBild: dapd

Wetterkapriolen und ein dummes Mädchen

Der Sommer begann nass in Deutschland, sehr nass - im Süden und Osten waren ganze Landstriche überflutet. Während der Flutkatastrophe war Twitter ein wichtiges Informationsmedium. Unter den Hashtags #Hochwasser und #Flut wurden Informationen wie Fotos oder Pegelstände verbreitet. Und schließlich unterstützte das Netzwerk auch Helfer und Hilfesuchende. Auch selbsternannte Promis nutzten das Hochwasser, um sich ins Gespräch zu bringen. Das TV-Sternchen Georgina Fleur posierte im Miniröckchen auf Sandsäcken, postete das Bild auf Facebook mit dem Spruch "Hochwasser in Heidelberg…. iiiiih…" und bekam dafür viel Schelte. Kreative Witzbolde richteten ein Tumblr-Blog ein und sammelten dort Fotocollagen, auf denen Georgina in ihrer Pose vor allen Katastrophen der Weltgeschichte zu sehen ist.

Das Wetter sorgte mehrmals in diesem Jahr für die beliebtesten Twitter-Trends in Deutschland. Das Sturmtief "Christian" im Oktober brachte sogar Windräder zu Fall - fotografiert und getwittert am 28. Oktober. Der Nachfolger "Xaver" zog Anfang Dezember durch Norddeutschland - Twitter quoll über, zunächst mit Sturmwarnungen, dann mit Häme: "Merkt ihr schon was? Hoffentlich fliegen wir nicht weg!" Die Medien waren vor Ort, richteten Newsticker ein - doch der Sturm brachte außer heftigem Wind keine großen Katastrophen über das Land. Dafür überflutete ein Video die sozialen Netzwerke: Eine Korrespondentin steht mit einem riesigen Mikrofonwindschutz vor der windgepeitschten Küste - im Hintergrund tauchen zwei junge Männer auf, die mit nacktem Oberkörper den Gangnam Style tanzen.

Screenshot Sturmtief "Xaver"
Szene aus dem Sturm-Video, das die sozialen Netzwerke "überflutete"Bild: ARD

Vom Sturm zum Shitstorm

Promis werden schnell zu Shitstorm-Opfern, manche haben es vielleicht verdient, wie Georgina mit ihrem unglücklichen Flut-Posing. Aber auch andere erfuhren unerbittliche Härte im Netz. Als Mario Götze, einer der besten Stürmer vom Fußballverein Borussia Dortmund zum FC Bayern wechselte, gab es bitterböse Kommentare im Netz: "Was bedeuten schon 11 Freunde und 88 Millionen Fans, wenn man 0 Charakter hat?" Es kursierten hämische Fotocollagen, wie die, auf der Götze den Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß im Gefängnis besucht. Auch der hat mit seiner mutmaßlichen Steuerhinterziehung für Furore im Netz gesorgt.

Die größte Promi-Schlammschlacht im Sozialen Netz aber fand zwischen Ex-Tennis-Star Boris Becker und dem Moderator Oliver Pocher statt. Es ging um eine gemeinsame Ex-Frau und irgendein persönliches Problem, das die beiden offen auf Twitter ausgetragen hatten. Ein Festschmaus für die Boulevardpresse, von der Netzgemeinde eher vernachlässigt.

Bundestagswahl und Kanzlergesten

Hashtag-Sieger 2013 war #btw (für Bundestagswahlen) mit 350.000 Tweets - ein Rekord, noch nie wurde in Deutschland zu einem Thema an nur einem Tag so viel gepostet. Auch im Vorfeld der Wahlen beherrschte die Politik oft die Twitter-Trends. Das erste Kanzlerduell zwischen Angela Merkel und ihrem Herausforderer Peer Steinbrück wurde innerhalb von 90 Minuten mehr als 170.000 Mal auf Twitter kommentiert. Nicht zuletzt wegen der Kette, die Merkel an diesem Abend trug. Die schwarz-rot-goldene "Schlandkette" bekam sogar einen eigenen Twitter-Account.

Angela Merkel mit Halskette beim Bundestagswahl-TV-Duell 2013 Foto: MAX KOHR/AFP/Getty Images
Angela Merkel mit der berühmten "Schlandkette"Bild: MAX KOHR/AFP/Getty Images

Rege diskutiert wurde über den ausgestreckten Mittelfinger, mit dem sich Peer Steinbrück auf dem Magazin der "Süddeutschen Zeitung" hat ablichten lassen. Das Internetvolk fand es umso witziger, diesen "Stinkefinger" mit der "Merkelraute" zu verbinden, denn die Kanzlerin führt, wenn sie überzeugen will, gerne ihre Daumen und Zeigefinger zusammen, so dass eine Raute entsteht, eine typische Geste der deutschen Regierungschefin. Auch hier entstanden wieder viele Collagen und Tumblr-Blogs, die in den Sozialen Netzwerken herumgereicht wurden.

Einen großen Lapsus leistete sich die Kanzlerin allerdings Anfang Juni. Während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama entglitt ihr ein folgenschwerer Satz: "Das Internet ist für uns alle Neuland." Die Netzgemeinde stand Kopf, es entstand eine heftige Diskussion darüber, ob Politiker, die dieses Medium als "Neuland" bezeichnen, überhaupt Regierungsverantwortung tragen dürfen. Zumal diese Worte im Zusammenhang mit den damals erst beginnenden Enthüllungen über die groß angelegte NSA-Spionage-Affäre fielen. Selbstverständlich gehört der Hashtag #NSA auch zu den Top-Trends auf Twitter - weltweit.

Golden Tweet

Der sogenannte "Golden Tweet" ist der, der am meisten auf Twitter retweetet wurde. 2013 war es eine Nachricht der US-amerikanischen Schauspielerin Lea Michele, die sich bei ihren Fans für die Unterstützung nach dem Tod ihres Freundes bedankte: 408.000 Retweets. Ähnlich große Aufmerksamkeit in der weltweiten Twittergemeinde erfuhr auch die Nachricht vom Tod des Hollywood-Stars Paul Walker. Auch in Deutschland verbreitete sich eine Todesnachricht in Windeseile: Der Autor Frank Schirrmacher meldete am 18. September den Tod des berühmten Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki.

Die meisten Retweets in Deutschland drehten sich um Fußball: Der FC Bayern München gab im Januar bekannt, dass Pep Guardiola die Nachfolge des ausscheidenden Trainers Jupp Heynckes antritt. Die Nachricht wurde 10.555 Mal retweetet. Auch die Meldung, dass Jürgen "Kloppo" Klopp seinen Vertag als Trainer der Dortmunder Borussen verlängert, ging live über Twitter. Auch dies hier ganz oben in der Hitliste der deutschen "Golden Tweets": Nach dem Champions-League-Sieg der Bayern gegen Dortmund postete ein überglücklicher Fan nur ein einziges Wort. Es wurde 9461 mal auf Twitter geteilt: "JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!"

Deutschland Bundestagswahl 2013 Peer Steinbrück auf Titel des SZ-Magazins
Bayern München gewann die Champions LeagueBild: picture alliance/augenklick