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Ein Besuch im Industriepark Kaesong

Esther Felden5. Mai 2014

Eignet sich der Industriepark Kaesong als Investitionsstandort für westliche Unternehmen? Eine europäische Delegation hatte Gelegenheit, sich vor Ort ein Bild zu machen. Ein Teilnehmer schildert der DW seine Eindrücke.

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Luftaufnahme des Kaesong-Industrieparks (Foto: Lee Seung-Hwan/Getty Images)
Bild: Getty Images

"Hätten wir es nicht besser gewusst, wir hätten gedacht, wir wären in einer Anlage in Südkorea", berichtet Gianpaolo. Der Italiener ist Geschäftsführer einer Firma, den Namen möchte er gegenüber der Presse nicht nennen. Gemeinsam mit rund 40 weiteren Unternehmern aus verschiedenen europäischen Ländern hatte er sich in der vergangenen Woche für einige Stunden in Nordkorea aufgehalten. Die Gruppenreise war von der Koreanisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer organisiert worden.

70 Kilometer nördlich von Seoul, 170 Kilometer südlich von Pjöngjang

Nur zehn Kilometer hinter der innerkoreanischen Grenze liegt der Industriepark Kaesong, eine Sonderwirtschaftszone mitten im Niemandsland. "Gerade wenn man aus einer großen Stadt wie Seoul kommt, hat man das Gefühl, in der Zeit zurückzureisen", erzählt Gianpaolo. "Rund um Kaesong gibt es nur plattes Land, keinerlei Gebäude oder Städte. Man hört auch keinen Verkehr, nur den Wind." Es seien auch kaum Menschen auf den Straßen zu sehen gewesen. Der Industriepark selbst allerdings sticht deutlich heraus aus der Umgebung, mit modernen Werkstätten, Fabrik- und Produktionshallen. Auf dem Gelände lassen derzeit 123 südkoreanische Unternehmen ihre Produkte preisgünstig fertigen - von mehr als 53.000 Arbeitskräften aus Nordkorea. Hier entstehen zum Beispiel Autoteile oder Elektrogeräte, aber auch Kleidungsstücke und Werkstoffe wie Gummi oder Plastik.

Insgesamt sei er sehr beeindruckt gewesen, sagt Gianpaolo gegenüber der Deutschen Welle. "Die auf dem Gelände ansässigen Firmen waren erkennbar gut organisiert und technisch auf dem neuesten Stand." Schon vor der Reise waren die Erwartungen durchaus hoch: "Wir haben damit gerechnet, Unternehmen mit Produktionskapazitäten und einer Infrastruktur vergleichbar mit der in einem Industrieland vorzufinden. Und das Ganze zu attraktiven Konditionen. Diese Erwartung wurde erfüllt." Und auch darüber hinaus gebe es in Kaesong alles, was man fürs alltägliche Leben brauche, vom Krankenhaus über Restaurants und Geschäfte bis hin zu Sportstätten.

ine Straße mit Wohnhäusern in Kaesong, im Hintergrund Bergsilhouetten (Foto: picture-alliance/AP Photo)
Leben im Niemandsland: Außerhalb der Stadt ist nur menschenleeres GrenzgebietBild: picture-alliance/AP Photo

Devisenquelle für den Norden

Seit fast zehn Jahren gibt es die zollfreie Sonderwirtschaftszone bereits. Eröffnet wurde der Industriepark Ende 2004 - zur Zeit der sogenannten "Sonnenscheinpolitik" unter dem damaligen südkoreanischen Präsidenten und Friedensnobelpreiträger Kim Dae Jung. Doch an dem politischen Prestige-Projekt wird auch immer wieder Kritik laut. Denn der in US-Dollar ausgezahlte Monatslohn der Arbeiter liegt zwar deutlich über dem Durchschnitt. Aber tatsächlich landet ein großer Teil davon in den staatlichen Kassen. Denn das Geld geht zunächst an die nordkoreanischen Behörden, die dann wiederum die Arbeiter auszahlen - den üblichen Lohnsatz, in Landeswährung. Durch diese Vorgehensweise werde indirekt das Regime finanziert, so ein wiederkehrender Vorwurf.

Jährlich nimmt Pjöngjang durch die Kaesong-Löhne ungefähr 80 Millionen US-Dollar ein. Im vergangenen Frühjahr versiegte diese Deviseneinnahmequelle zeitweise. Denn in Folge des dritten nordkoreanischen Atomtests im Februar hatte sich die Situation auf der koreanischen Halbinsel so sehr zugespitzt, dass Kaesong über mehrere Monate geschlossen wurde. Im April zog Nordkorea seine Arbeiter aus dem Industriepark ab - das letzte gemeinsame Projekt zwischen den verfeindeten Nachbarn lag auf Eis. Insgesamt fünf Monate ruhte die Produktion, bevor sich beide Seiten auf eine Wiederaufnahme einigen konnten. Der wirtschaftliche Schaden für die südkoreanischen Unternehmen belief sich nach eigenen Angaben auf knapp 920 Millionen Dollar.

Um solchen Alleingängen des Nordens vorzubauen, setzt Südkorea auf eine Öffnung des Industrieparks für internationale Investoren. "Ein solcher Schritt würde Nordkorea eine erneute Schließung des Industrieparks erschweren“, erläuterte Lars-André Richter von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul gegenüber der Deutschen Welle. Auch der Norden habe seit längerem Interesse daran bekundet, den Industriepark als Standort für ausländische - auch westliche - Unternehmen zu öffnen.

Zwei südkoreanische LKW am Checkpoint Paju (Foto: Jung Yeon-Je/AFP/Getty Images)
Kein Weiterkommen am Checkpoint Paju: 2013 war Kaesong fast ein halbes Jahr abgeriegeltBild: Jung Yeon-Je/AFP/Getty Images

Neugierige Blicke und ein Lächeln

Seit mehr als einem halben Jahr herrscht mittlerweile wieder Alltag in den Produktionsstätten von Kaesong. Genau diesen Arbeitsalltag wollten sich die europäischen Gäste anschauen. Während sie in Begleitung des Reiseveranstalters das Gelände besichtigten, wurden sie gleichzeitig selbst begutachtet, erzählt Gianpaolo. "Wir hatten den Eindruck, dass die nordkoreanischen Arbeiter neugierig waren und gern wissen wollten, wer wir sind und was wir dort tun. Oft haben wir bemerkt, dass sie uns aus der Entfernung beobachtet haben."

Während des Essens in einem Restaurant habe die Gruppe sich mit dem nordkoreanischen Service-Personal unterhalten. "Das war genauso wie in einem südkoreanischen Restaurant. Wir hatten nicht das Gefühl, dass sie nicht mit uns sprechen durften. Von den Fabrikangestellten und den Beamten hat allerdings niemand mit uns geredet. Ich schätze, dass sie es entweder nicht durften oder vielleicht auch kein Englisch sprechen konnten." Eine Kleinigkeit während der Einreise nach Nordkorea ist außerdem in Gianpaolos Gedächtnis haften geblieben, die einzige sichtbare Gefühlsregung während des kurzen Besuchs. "Ein Grenzbeamter hat mich angelächelt, als er meine Papiere und mein Visum kontrollierte. Dann hat er mich darauf angesprochen, dass ich Italiener bin."

Standort mit Vor- und Nachteilen

Mehrere nordkoreanische Näherinnen mit weißen Hauben sitzen hintereinander an ihren Nähmaschinen und arbeiten (Foto: Chung Sung-Jun/Getty Images)
Auch Textilien werden in Kaesong von nordkoreanischen Näherinnen gefertigt - auf dem Etikett steht später aber nur "Made in Korea"Bild: Getty Images

Nach nur wenigen Stunden ging es für die Reisegruppe wieder zurück über die Grenze nach Süden. Ob es für Gianpaolos Unternehmen konkrete Geschäftsmöglichkeiten in Kaesong gibt, kann er noch nicht sagen. "Das muss noch im Detail geprüft werden." Grundsätzlich sei der Industriepark ein interessanter Standort für ausländische Firmen. Allerdings mit deutlichen Einschränkungen. "Zum Beispiel besteht nicht die Möglichkeit, an jedem Produktionsplatz Internetzugang zu haben. Außerdem ist es verboten, Mobiltelefone, Smartphones, Laptops oder Tablets mit nach Kaesong zu bringen. Gleiches gilt für USB-Sticks oder Festplatten. Wie soll man ohne all diese Dinge arbeiten?" Das könnte ausländische Firmen davon anhalten, in Kaesong zu produzieren, glaubt Gianpaolo.

Erschwerend komme die politische Lage zwischen Nord- und Südkorea hinzu. "Theoretisch befinden sich beide noch immer im Kriegszustand, sie haben nie einen Friedensvertrag unterzeichnet. Unter solchen Voraussetzungen kann man nicht planen und voraussehen, wie lange man hier investieren kann. Das ist ein Risiko." Ob internationale Firmen bereit sind, unter solchen Umständen viel Geld in einen neuen Standort Nordkorea zu investieren? Da ist Gianpaolo skeptisch.