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Flüchtlinge auf ehemaligem KZ-Gelände

Carla Bleiker, Schwerte16. Januar 2015

Die Stadt Schwerte will Flüchtlinge auf dem Gelände eines ehemaligen Zwangsarbeiterlagers unterbringen. Der Bürgermeister verteidigt das, andere Politiker sind entsetzt. Aus Schwerte Carla Bleiker.

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Schwerte Flüchtlingsunterkunft. (Foto: Carla Bleiker/ DW)
Bild: DW/C. Bleiker

Mehr und mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland - und mehr und mehr Kommunen in Deutschland wissen nicht mehr so recht, wohin mit ihnen. In einigen Städten werden Asylbewerber in Turnhallen gequetscht, in anderen protestieren Anwohner - oder gewaltbereite Rechtsextremisten - gegen die Unterbringung.

In der westdeutschen 46.000-Einwohner-Stadt Schwerte in Nordrhein-Westfalen dachten Politiker und Stadtverwaltung, sie hätten eine gute Lösung gefunden. Mit dem Entsetzen und der Fassungslosigkeit, die ihnen entgegenschlug, als herauskam, dass Flüchtlinge auf dem Gelände eines ehemaligen Nazi-Arbeitslagers untergebracht werden sollen, hatten sie nicht gerechnet.

Auf einer Pressekonferenz am Freitag sagte Bürgermeister Heinrich Böckelühr, dass die Stadtverwaltung aus Überzeugung an der Entscheidung festhält. "Der Vorwurf, wir in Schwerte seien geschichtslos und unsensibel, hat Rat und Verwaltung getroffen. Das entbehrt insbesondere vor dem Hintergrund der gelebten Willkommenskultur hier jedweder Grundlage", sagte der Bürgermeister. "Die Unterbringung von Flüchtlingen in Sammelunterkünften, Wohncontainern oder Turnhallen ist nach unserem Verständnis einer gelingenden Integration kaum vertretbar."

PK Stadtrat Schwerte. (Foto: Carla Bleiker/ DW)
Bürgermeister Böckelühr im Rathaus - mehr Medieninteresse gab es in Schwerte wohl noch nieBild: DW/C. Bleiker

Negative Presse

Die umstrittene zukünftige Flüchtlingsunterkunft liegt auf dem Gelände des ehemaligen Lagers Schwerte-Ost, einer Außenstelle des Konzentrationslagers (KZ) Buchenwald. Hier errichteten die Nazis ein "Fremdarbeiterlager", in dem bis zu 701 Menschen schufteten. Bis Januar 1945 mussten sie unter grausamen Bedingungen für das größte Ausbesserungswerk der Reichsbahn Lokomotiven reparieren.

Die Barracken, in denen Gefangene und Wachleute lebten, sind lange abgerissen. Nach Beginn der negativen Berichterstattung gab die Stadt beim Westfälischen Denkmalamt eine Studie in Auftrag, um die genauen bauhistorischen Hintergründe des Geländes festzustellen. Die Ergebnisse zeigen, dass alle Gebäude, die sich heute auf dem Gelände des ehemaligen KZ befinden, erst in den späten 1950er Jahren erbaut wurden. Die Flüchtlinge werden also nicht in ehemaligen Gefangenenbaracken wohnen.

Die elf Männer aus Guinea, Marokko, Ägypten und Bangladesch werden in ein Haus ziehen, das vorher bereits einen Kindergarten und ein Künstleratelier beherbergt hat. Weitere zehn Männer sollen folgen, sobald alle Räumlichkeiten fertig renoviert sind.

Verstecktes Mahnmal

Das zukünftige Flüchtlingsheim sieht von außen ziemlich heruntergekommen aus. Es ist eine gute Viertelstunde Autofahrt vom Rathaus im Stadtzentrum entfernt und liegt in einem Gewerbegebiet, gegenüber von einer lauten Fabrik. Supermärkte, Wohnhäuser in direkter Nachbarschaft oder andere Möglichkeiten, wo Flüchtlinge "alteingesessene" Bewohner kennenlernen könnten, gibt es nicht - für Integrationszwecke ist das schlecht.

Um das Mahnmal für die Zwangsarbeiter, die im Außenlager des KZ Buchenwald gestorben sind, zu erreichen, muss man etwa 100 Meter an der Hauptstraße entlang gehen. Dann biegt man rechts auf einen kleinen Weg ein. Nach wenigen Schritten steht man dann vor einem kurzen Stück Eisenbahnschienen. Sie liegen auf den steinernen Körpern von fünf Männern. Einer von ihnen hat den Mund zu einem stummen Schmerzensschrei verzogen, der Kopf eines anderen ist nur noch ein knochiger Schädel.

Schwerte Flüchtlingsunterkunft Gelände Außenlager ehem. KZ Buchenwald
Das Mahnmal für die Zwangsarbeiter des Außenlagers des KZ Buchenwald errichtete die Stadt 1990Bild: DW/C. Bleiker

Kritik von der Landesregierung

Die Landesspitze Nordrhein-Westfalens findet die Entscheidung, Flüchtlinge in solcher Nachbarschaft unterzubringen, nicht verständlich. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft nannte sie "kein gutes Zeichen". Sie bat die Stadtverwaltung, ihre Entscheidung noch ein mal "zu bedenken und abzuwägen".

Bürgermeister Böckelühr ist von der Einmischung nicht begeistert: "Bei allem Respekt, wir brauchen keine Hinweise von der Ministerpräsidentin, sondern wenn dann konkrete Vorschläge: Wenn wir die Flüchtlinge nicht so unterbringen sollen, wie dann?"

Hannelore Kraft. (Foto: REUTERS/Thomas Peter)
Hannlore Kraft ist von der Unterbringung alles andere als begeistertBild: Reuters

Schwerte ist verschuldet und hat mit der Unterbringung einer wachsenden Anzahl von Flüchtlingen zu kämpfen. Zur Zeit befinden sich 173 Flüchtlinge in den drei bis zum Anschlag gefüllten Übergangsheimen. Allein zwischen Oktober 2014 und dem 15. Januar 2015 wies das Land Nordrhein-Westfalen Schwerte 64 Personen zu.

Ruinierter Ruf?

Die Frage, ob die Männer, die auf das ehemalige KZ-Gelände ziehen, über die Vergangenheit ihres neuen Zuhauses informiert werden, konnte niemand auf der Pressekonferenz am Freitag abschließend beantworten.

Der Schwerter Jens Kritzler findet das besorgniserregend. Der 33-Jährige sagt, dass diese wichtige Information den Flüchtlingen nicht vorenthalten werden dürfe: "Wenn sie sagen: 'Ist uns egal, Hauptsache, wir haben eine gute Bleibe', dann ist es okay."

Daniel Schumacher, ein Schwerter, der in Dortmund eine Diskothek betreibt, kritisiert, dass die Stadt das Gelände erst einer historischen Untersuchung unterzog, nachdem die Presse das Thema bereits aufgegriffen hatte. Auch die Pressekonferenz habe zu spät stattgefunden. "Die Stadt hat gar nicht agiert, sondern musste reagieren", sagte der 28-Jährige. "Sie hat einen politischen Faux-pas begangen."

Der Club-Betreiber sorgt sich um den Ruf seiner Heimatstadt. Nicht nur die Presse in Deutschland berichtete negativ über Schwerte, beschwert sich Schumacher - die Nachricht schaffte es bis nach Ozeanien. Der "New Zealand Herald" brachte die Schlagzeile über Flüchtlinge im "Nazi concentration camp" am Mittwoch.