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"Kobane wird nicht fallen"

Michael Knigge / db22. Oktober 2014

Nach dem Kurswechsel in Washington und Ankara gegenüber den Kurden im Kampf gegen den IS wird die syrische Stadt nicht an die Dschihadisten fallen, meint James Jeffrey, ehemaliger Botschafter der USA in der Türkei.

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Kampf um Kobane Foto: REUTERS/Kai Pfaffenbach
Bild: Reuters/Kai Pfaffenbach

DW: Wie beurteilen Sie die Entscheidung der USA, die Kurden in Syrien zu bewaffnen - trotz der ablehnenden Haltung der Türkei?

James F. Jeffrey: Ich habe mir gerade die Abfolge der Statements und Telefonate vom 18. und 19. Oktober angeschaut: Die Türken, vor allem Präsident Recep Tayyip Erdogan, beharrten zunächst auf ihrem harten Kurs. Sie setzten die syrische Kurdenpartei PYD auf eine Stufe mit der PKK und im Grunde genommen auch mit dem "Islamischen Staat" (IS). Gleichzeitig waren die USA unter Druck, sich stärker einzubringen - sowohl von Seiten der Kurden als auch im Hinblick auf die militärische Situation. Also rief Barack Obama Erdogan an und Außenminister John Kerry seinen türkischen Amtskollegen. Im Prinzip führte das zu einem Sinneswandel der türkischen Regierung. Es ist nicht eindeutig, ob die Türken grünes Licht gegeben haben, das kann ich auch nicht bestätigen. Doch nach dem Gespräch begannen die USA, Waffen für die Kurden abzuwerfen. Ob man dieses Vorgehen mit Ankara koordiniert hat, ob man sich um eine Einwilligung der Türkei bemüht hat, ist unklar - solche Unklarheiten gibt es immer wieder in Bezug auf die Türkei.

Jedenfalls hat Ankara nicht viel gesagt, und auch offiziell kein grünes Licht gegeben, aber immerhin Peschmerga-Kämpfern aus dem Nordirak eine Passage durch die Türkei nach Kobane gestattet. Im Grunde genommen versucht Erdogan, den wichtigen Verbündeten USA zu besänftigen - aber auch die internationale Gemeinschaft, die die Türkei erst letzte Woche bei der Abstimmung für den UN-Sicherheitsrat abstrafte. Gleichzeitig will er auch retten, was noch übrig geblieben ist von seiner Annäherung gegenüber den türkischen Kurden und der PKK. Das versucht er, indem er sich vorwärts bewegt, ohne dass seine politischen Gegner behaupten können, er würde in irgendeiner Weise die syrische Kurdenpartei PYD bewaffnen oder deren Bewaffnung zulassen.

Der US-Diplomat James Franklin Jeffrey (Foto: Wikipedia)
Der US-Diplomat James Franklin JeffreyBild: gemeinfrei

Wollte die Türkei also nur die internationale Gemeinschaft besänftigen? Geht es gar nicht um einen echten Kurswechsel in ihrer Politik?

Die internationale Gemeinschaft sollte beschwichtigt werden. Aber es gibt auch einen wichtigen Wandel in Erdogans Politik: Er zeigt eine gewisse Flexibilität und reagiert in einem Maße auf die internationale Gemeinschaft, die man bei ihm schon lange nicht mehr gesehen hat. Durch diese Haltung rettet er viel, das beweist eine gewisse Rationalität von seiner Seite. Ein grundlegender Sinneswandel ist es trotzdem nicht.

Man sollte nicht vergessen, dass sich auch die Haltung der Amerikaner geändert hat. Vor mehr als einer Woche erklärte John Kerry noch, Kobane sei kein strategisches Ziel der USA. Im Grunde genommen haben wir einen Punkt erreicht, an dem die Menschen gewillt sind, aufzustehen und gegen den IS zu kämpfen. Also haben wir beschlossen, sie zu unterstützen. Wenn die USA einmal beschließen, etwas zu tun, machen andere normalerweise mit. In Kobane haben wir Führungsqualität bewiesen. Das erleben wir momentan selten von Seiten Washingtons, aber es gibt eine strategische Lektion: Wenn man führt, werden andere folgen.

Was bedeuten diese Entwicklungen für Kobane?

Kobane wird nicht fallen. Wir können es jetzt nicht fallen lassen, und es sieht auch nicht danach aus.

Und was bedeutet das für die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei?

Die USA haben gesagt, dass es um eine taktische Entscheidung geht, nicht um eine grundsätzlich neue Politik gegenüber den Kurden im Allgemeinen und insbesondere der PYD und PKK. An dieser taktischen Entscheidung werden wir festhalten, so wie auch Erdogan daran festhalten wird, dass er den amerikanischen Waffenabwurf nicht autorisiert habe und dass die PYD nicht besser als die PKK und sogar der IS sei. Er wird seine Meinung nicht ändern. Das Wichtigste ist aber, dass sich die Fakten vor Ort stark verändert haben: Die Peschmerga werden kommen, und der IS wird besiegt werden.

Einigen Berichten zufolge versuche auch der IS, neue Kämpfer für den auch für die Terroristen symbolisch wichtigen Konflikt um Kobane zu bekommen. Dennoch glauben Sie, die USA, die Türkei und andere Bündnispartner werden den IS in Kobane besiegen?

Mit genügend Munition, Unterstützung der Peschmerga-Kämpfer und in Koordination mit der US-Luftwaffe kann der IS auch 20.000 Kämpfer losschicken: Wir würden sie alle töten.

James F. Jeffrey war von 2008 bis 2010 US-Botschafter in der Türkei und anschließend bis 2012 im Irak.