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Leben im Ausnahmezustand

Julius Kanubah/ Stefanie Duckstein21. August 2014

Liberia ist am schwersten von der Ebola-Epidemie betroffen. In acht von 15 Bundesstaaten herrscht der Ausnahmezustand, die Menschen sind misstrauisch und verängstigt. Die Versorgungslage wird immer dramatischer.

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Liberia Protest gegen Quarantäne
Bild: Getty Images

Jefferson Massa zieht die Regler der Musikanlage hoch. "Ebola ist hier. Ebola kann töten. Aber was ist dieses Ebola eigentlich?" hallt es aus den Studiolautsprechern der Radiostation Gbarnga. Jefferson Massa ist Radiojournalist in der Kleinstadt Gbarnga, etwa vier Autostunden von Liberias Hauptstadt Monrovia entfernt. "Wir klären mit ganz einfachen Botschaften auf", sagt Massa. "Vermeidet den direkten Kontakt mit Personen, die Anzeichen von Ebola zeigen. Achtet darauf, ob ihr andauerndes Fieber habt oder Euch übergeben müsst." Diese Botschaften strahlt Radio Gbarnga in verschiedenen lokalen Sprachen aus. "Denn das Standard-Englisch der Mediziner verstehen hier viele Leute nicht."

Jefferson und seine Kollegen haben Jingles und kurze Hörspiele produziert, die im Radioprogramm laufen. Täglich informieren sie ihre etwa 800.000 Hörer über die neuesten Meldungen zum Stand der Epidemie. Die Infos erhalten die Journalisten direkt vom Gesundheitsministerium. Gerade komme er von einem Treffen des Gesundheits-Einsatzkommandos auf Distrikt-Ebene zurück. Hier bekommen sie die jüngsten Statistiken und Entscheidungen übermittelt. Das Einsatzkommando habe die Bedeutung der Radios erkannt, sagt Massa. "Wir sind Teil der sozialen Mobilisierungskampagne. Wir als Radio können verdächtige Patienten mit den lokalen Gesundheitsteams in Verbindung bringen."

Clip: What is Ebola? - Radio Gbarnga

Jefferson Massa, Journalist von Radio Gbarnga/ Liberia Foto: Stefanie Duckstein/DW
Um Aufklärung bemüht: Journalist Jefferson MassaBild: DW/S. Duckstein

Erinnerungen an den Krieg

Liberia ist neben Sierra Leone und Guinea bisher am schwersten von der Pandemie betroffen. "Bis die Aufklärungskampagnen jeden erreicht haben, braucht das seine Zeit", sagt Asja Hanano, für Liberia zuständige Landesdirektorin der Welthungerhilfe. Das Misstrauen in der Bevölkerung sei sehr groß, meint Hanano. Misstrauen gegen die eigene Regierung, Misstrauen gegenüber westlichen Helfern. Auch weil die Menschen noch immer unter dem Trauma des 14 Jahre währenden Bürgerkrieges litten, erklärt Hanano. "Viele Menschen vertrauen niemandem mehr."

Krankenhäuser geschlossen

Die Situation sei sehr dramatisch, sagt Massa. Allein in Gbarnga habe es bisher 30 bestätigte Ebola-Todesfälle gegeben, über 100 Menschen sind vermutlich am Virus gestorben. "Und das schlimmste an der Sache ist: alle Krankenhäuser in der Region sind geschlossen." Das Personal habe berichtet, es habe nicht einmal Schutzkleidung, um Patienten, die zum Hospital kommen, zu versorgen oder Medikamente auszuteilen. Seit Ausbruch der Epidemie im Juli sind fünf Krankenschwestern gestorben. Daher sind die zwei Krankenhäuser in der Region jetzt zu.

Auch in der Monrovia wird die medizinische Versorgung immer destaströser. Krankenschwestern streiken, weil sie sich selbst nicht gut genug gegen die Epidemie schützen können. Viele Menschen bekommen deshalb ihre regelmäßigen Medikamente für andere Krankheiten nicht mehr. Ganze Stadtviertel stehen unter Quarantäne, nachts herrscht Ausgangssperre. Am Mittwoch (20.08.14) verschoss die Polizei in der Hauptstadt Monrovia nach Zeugenberichten Tränengas, um Bewohner eines Ebola-Sperrgebiets am Verlassen des Bezirks zu hindern.

Traditionen gehen verloren

Eine Epidemie dieses Ausmaßes habe auch psychosoziale Folgen, ist der Sozialarbeiter Zubah Yenego überzeugt. "Die Ebola-Epidemie hat viele Jugendliche extrem verängstigt. Keiner will den anderen mehr berühren. Die Leute haben einfach Angst." Soziale Interaktion und Rituale, die eine lange Tradition haben, würden behindert, sagt Yenegos Kollege Varney Karneh. So gebe es in Liberia eine Begrüßungsformel, bei der man sich die Hand gibt und anschließend mit den Fingern schnippt. "Doch mit dem Ebola-Ausbruch sind all diese Rituale verschwunden."

Sozialarbeiter Zubah Yenego, Monrovia Foto: Julius Kanubah/ DW
Sozialarbeiter Zubah YenegoBild: DW/J. Kanubah

Edwin Snorton kickt lustlos einen Fußball zu seinen Freunden. Der 17-Jährige war seit Tagen nicht in der Schule. Die ist wegen der Ebola-Epidemie vorerst geschlossen. "Ich vermisse die Schule, vor allem meine Freunde", sagt Edwin. "Nun sitze ich hier allein rum. Meine Eltern sind arbeiten, da fühle ich mich einfach schlecht." Sein Freund Victor Seah spielt den Ball zurück. "Die Ebola-Epidemie wirft unsere Gesellschaft sehr weit zurück. Vor allem für uns Jugendliche ist das ein Schlag ins Genick", ärgert sich Seah. Er fühle sich an den Bürgerkrieg erinnert, sagt Seah. "In den vergangenen Jahren des Friedens haben wir versucht, uns aufzurappeln und weiter zu entwickeln. Aber diese Krise wirft uns weit zurück."

Jugendliche spielen Fußball in Monrovia Foto: Julius Kanubah/ DW
Lustloses Spiel: Fußball in Tagen des AusnahmezustandesBild: DW/J. Kanubah