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Äthiopien vor der Parlamentswahl

21. Mai 2010

32 Millionen Menschen sind am Sonntag zur Parlamentswahl aufgerufen. Sie ist ein Test für die selbsterklärte "Entwicklungsdemokratie". Äthiopiens Jugend interessiert sich mehr für Fußball als für Politik.

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Abschlussveranstaltung des Wahlkampfes der Regierungspartei (Foto: Ludger Schadomsky)
Abschlussveranstaltung des Wahlkampfes der RegierungsparteiBild: DW

Die überdimensionale gelbe Uhr am Rande von Addis Abebas zentralem Meskel-Platz sieht etwas verloren aus. Vielleicht hätten die Parteistrategen die Imitation, die einen Bienenkorb mit einer stattlichen Bienenkönigin darstellt, lieber neben der Videoleinwand errichten sollen, auf der die Hauptstädter sonst Fußballspiele verfolgen. Die Biene ist das Parteiemblem der "Revolutionären Demokratischen Front der Äthiopischen Völker" oder EPRDF, der seit 1991 regierenden Koalition von Ministerpräsident Meles Zenawi.

Repressive Gesetzgebung

Wahluhr der Regierungspartei (Foto: Ludger Schadomsky)
Wahluhr der regierenden EPRDF auf dem Meskel Square in Addis AbebaBild: DW

Die Biene gilt als unermüdliches Arbeitstier, das zudem im Kollektiv schuftet, und genau das ist die Botschaft der Vier-Parteien-Koalition an das Wahlvolk. "Seht her, wir arbeiten Tag und Nacht für die Entwicklung Äthiopiens." Dass ein Bienenvölkchen streng hierarchisch organisiert ist und die Königin das alleinige Sagen hat, ist in der Botschaft wohl impliziert. Nicht jeder findet das originell, "sie hätten uns lieber eine funktionierende Uhr hinstellen sollen", so ein Kommentator. So aber zeigt das Uhrwerk 10 Minuten nach 10 Uhr, und das ist das eigentlich überraschende. Denn jeder, einschließlich der Regierungspartei, weiß, dass es für Äthiopien mindestens 5 Minuten vor 12 Uhr ist: Seit den 200 Toten von 2005 und der anschließenden Inhaftierung dutzender Oppositioneller und Journalisten hat das Land am Horn von Afrika eine Menge Kredit verspielt – im übertragenen wie im Wortsinn.

Während Premier Meles Zenawi als Afrikas Klimaunterhändler auf der internationalen Bühne brillierte, wurden daheim repressive Gesetzgebungen durchgepeitscht. NGOs, Journalisten und Zivilgesellschaft ans Gängelband genommen. Am Ende sahen sich sogar die verbündeten USA gezwungen, harsche Kritik zu üben. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch urteilte in ihrem Länderbericht im März: "Die Regierungspartei und der Staat sind eins geworden, und die Regierung nutzt ihre ganze Macht, um die Opposition auszulöschen und die Leute so einzuschüchtern, dass sie zum Schweigen gebracht werden."

Machtdemonstration der Regierungspartei

Endspurt vor der Wahl - Fahrradrallye der Regierungspartei (Foto: Ludger Schadomsky)
Endspurt vor der Wahl - Fahrradrallye der RegierungsparteiBild: DW

Mit der Verhaftung einiger Oppositions-Parlamentarier in dieser Woche und dem Verbot an die in Addis akkreditierten Diplomaten, den Wahlgang am Sonntag zu beobachten, hat die Regierungspartei zusätzlichen Kredit verspielt. Die Frage ist nur: Warum? Denn niemand, nicht einmal die Opposition, zweifelt daran, dass die EPRDF als großer Gewinner aus der Wahl hervorgehen wird. Man hat vorgebaut. 2005, als selbst der allgegenwärtige Geheimdienst die Stimmenflucht zur Opposition nicht antizipiert hatte, soll sich nicht wiederholen. Am Mittwoch (19.05.2010), dem vorletzten Wahlkampftag, versammelten sich vor dem Parlamentsgebäude noch einmal Hunderte Anhänger der EPRDF zu einer Wahlkundgebung. Der Ort war natürlich symbolisch gewählt, denn dort will die EPRDF am Sonntag die absolute Mehrheit der 547 Sitze erringen. Die Kundgebung mit Bussen und LKW, einer Fahrradstaffel Jugendlicher und den gelben EPRDF-Devotionalien im Überfluss demonstrierte die ganze Machtfülle der Regierungspartei, deren Wahlkampftopf durch eine Million Euro privater Spenden aufgefüllt wurde.

Schwache Opposition

Wahlbanner des Oppositionsbündnisses "Medrek" (Foto: Ludger Schadomsky)
Wahlbanner des Oppositionsbündnisses "Medrek"Bild: DW

Doch die unangefochtene Position der EPRDF beruht nicht zuletzt auf der Schwäche der äthiopischen Opposition, die 2010 ein verheerendes Bild abgibt und sich in Faustkämpfen und blutleeren Wahlversprechen ergeht. Auch die durchaus chancenreiche Acht-Parteien-Oppositionskoalition "Medrek" ("Forum für Demokratie und Dialog") ist wenig mehr als ein Zweckbündnis mit einem einzigen gemeinsamen Nenner: Dem Sturz der EPRDF. Der frühere Präsident Äthiopiens, Dr. Negaso Gidada, ist heute stellvertretender Vorsitzender von Medrek. "Seit 2005 sind wir ins Gefängnis geworfen und schikaniert worden, konnten in vielen Landesteilen keine Büros eröffnen", klagt der in Deutschland promovierte Gidada, ein einstiger Weggefährte von Premier Meles Zenawi. "Aus unserer Sicht können diese Wahlen nicht fair sein".

Dies zu entscheiden wird nicht zuletzt an der EU-Wahlbeobachtermission EU-EOM liegen. Als die Mission 2005 unter der Portugiesin Ana Gomes einen vernichtenden Abschlussbericht vorlegte, froren Äthiopiens Geber die Budgethilfe für den einstigen "Donor Darling" ein. Entsprechend frostig ist das Verhältnis zwischen Addis und Brüssel seitdem. Nun werden wieder 190 EU-Entsandte den Wahlgang in einigen der 43.500 Lokale beobachten. "Natürlich liegt der Schatten der Wahl von 2005 über uns", sagt der Leiter der Delegation, der Niederländer Thijs Berman. "Zum einen: Die Äthiopier wollen keine Gewalt mehr. Zum anderen: Ich sehe mich einer Regierung gegenüber, die extrem misstrauisch ist, was unsere Mission betrifft."

Weil das US-amerikanische Carter-Centre nach heftiger Kritik an der Wahl von 2005 eine neuerliche Beobachtung ausgeschlagen hat und von der Afrikanischen Union (AU) an deren Stammsitz Addis Abeba kaum ein negatives Urteil zu erwarten ist, werden nach Schluss der Wahllokale am Sonntag alle Augen auf Berman gerichtet sein. Da trifft es sich gut, dass der Niederländer im vergangenen Jahr die Beobachtermission in Afghanistan anführte und zudem einen Universitätsabschluss in Psychologie hat. Denn den wird er brauchen, um den Wahlverlauf in einem Land, das vor weniger als einem halben Jahrhundert noch in mittelalterlicher Feudalherrschaft lebte und niemals in seiner jüngeren Geschichte einen friedlichen Machtwechsel erlebt hat, einordnen zu können.

Fußball oder Politik?

Fußballbegeisterte Kinder vor einem Wahklplakat der regierenden EPRDF in Addis Abeba (Foto: Ludger Schadomsky)
Fußballbegeisterte Kinder vor einem Wahklplakat der regierenden EPRDF in Addis AbebaBild: DW

Die Generation, die mit dem Machterwerb der EPRDF 1991 zur Welt gekommen ist, geht in diesem Jahr zum ersten Mal zur Urne - wenn sie denn geht. In der Woche vor der Wahl interessierten sich die meisten Jungwähler mehr für das Champions-League-Finale Bayern gegen Mailand am Samstag (22.05.2010) als für die Wahl am darauffolgenden Tag. Angesichts des Desinteresses der "Generation iPod" klagte ein Leserbriefschreiber über deren "politische Apathie". Zur Antwort schrieb ein Jungwähler, er sei schon bereit zu wählen – die Partei nämlich, die kostenlose Live-Übertragung aller Premier League-Spiele verspräche. "Wir haben ja gesehen, was vor fünf Jahren passiert ist", sagt der 24jährige Salomon. Auch er ist Fußballfan und trägt ein Trikot der kamerunischen Nationalmannschaft – das äthiopische Team ist längst nicht mehr der Rede wert. "Seitdem halte ich mich von der Politik fern".

Autor: Ludger Schadomsky
Redaktion: Katrin Ogunsade