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Viel Spaß!

13. November 2009

Ich weiß, dieser Beitrag wird weniger bewirken als der Tropfen auf dem heißen Stein. Er wird unauffälliger sein als ein Sandkorn am Strand, ein Blatt im Wald. Aber ich schreibe ihn trotzdem.

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Schriftsteller Burkhard Spinnen. Foto privat
Burkhard SpinnenBild: privat

Denn ich will mir nicht vorhalten lassen, ich hätte nie meine Stimme erhoben und gefordert, man möge ihn abschaffen: den Spaß. Ich will nicht hören, ich hätte nichts gegen ihn unternommen, gegen den Spaß, keinen Widerstand geleistet, sei nur ein willfähriges und duldendes Mitglied gewesen in unserer Spaßgesellschaft. Alles würde ich auf mir sitzen lassen, aber das nicht! Deshalb dieser Beitrag, und deshalb hier und jetzt, laut und deutlich, meine Forderung: Nieder mit dem Spaß! Weg mit dem Spaß! Spaß, nein Danke!

Ein Spaßverderber?

Nun fragen Sie vielleicht: Was hat er denn? Geht’s ihm nicht gut, kleine Herbstdepression vielleicht? Oder ein Anfall von universeller Spaßverderberei? Müsste der Mann sich mal in Behandlung begeben? Nein, vielen Dank, mir geht es gut. Ich mag mich, das heißt: Ich kann mich ganz gut ertragen und meistens ertrage ich die anderen Leute auch. Aber ich kann und will es nicht länger ertragen, dass man mir und dem Rest der Menschheit überall und zu jeder passenden wie insbesondere unpassenden Gelegenheit "viel Spaß!" wünscht. "Spaß" den Kindern im Matheunterricht, "Spaß" den Zuschauern einer Tragödie im Theater und den Zuhörern eines Symphoniekonzertes, "Spaß" den Käufern im Supermarkt, "Spaß" den Fahrern auf überfüllten Autobahnen, "Spaß" den Teilnehmern an der Fronleichnamsprozession und "Spaß" den Werktätigen bei ihrem täglichen Broterwerb.

Gut gemeint

Ich weiß, die Auforderung, "viel Spaß" zu haben, dürfte in den allermeisten Fällen gut gemeint sein. Aber nicht nur brachiale Gewalt, auch Gedankenlosigkeit kann töten. Und es ist der Ausdruck einer verheerenden Gedankenlosigkeit, wenn ausgerechnet unter "Spaß" neuerdings alles, aber auch alles subsumiert wird, was dem Menschen irgendwie angenehm ist oder, wie man früher einmal sagte, seiner Erbauung dient. "Viel Spaß" wünscht man Leuten, die eigentlich ihren Intellekt schärfen oder innere Einkehr halten oder eine besondere Erkenntnis gewinnen sollen. Und "Viel Spaß" wünscht man sogar Leuten, die schon glücklich darüber wären, wenn ihnen das, was sie tun müssen, nicht zur Katastrophe gerät.
Oft heißt es ja mit kritischem Unterton, wir lebten in einer Spaßgesellschaft. Ich wünschte, es wäre so. Es stimmt aber gar nicht. Vergleichen mit dem Leid ist der Spaß ein seltenes Phänomen. Allerdings leben wir in einer Gesellschaft des permanenten gedankenlosen Spaßwünschens, durch das allmählich alle anderen guten Wünsche ebenso in Vergessenheit geraten werden wie all das, was man, außer Spaß, vom Leben erwarten oder wenigstens erhoffen darf. Ich erlaube mir daher, inständig zu hoffen, dass dieser Beitrag Ihnen alles Mögliche gebracht hat – nur keinen Spaß.

Beim Fototermin steht am Donnerstag (24.07.2008) in Essen das Ensemble des Musicals "Ich will Spaß!"
...aber immer und überall?Bild: picture-alliance/ dpa

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Zuletzt ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).

Redaktion: Gabriela Schaaf