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Spurensuche in Syrien

26. Oktober 2009

Um Verbündete zu gewinnen, finanzierte die DDR Stipendien für Studenten aus Entwicklungsländern. Hunderte Syrer studierten auf diese Weise in Ostdeutschland, viele heirateten und kehrten mit deutschen Frauen zurück.

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Die Altstadt von Damaskus, Foto: ap
Damaskus: Viele Syrer gingen in die DDR und kehrten später zurückBild: AP

Wer in Damaskus nach Spuren der beiden früheren deutschen Staaten sucht, läuft schnell im Kreis. Im schicken Wohnviertel Malki im Zentrum der syrischen Hauptstadt steht die heutige Botschaft der Bundesrepublik, ein mehrstöckiger weißer Bau, der zu Zeiten des Kalten Krieges die Handelsvertretung der DDR beherbergte. Keine 500 Meter weiter liegen das Goethe-Institut und das Deutsche Archäologische Institut, die beiden teilen sich das Gebäude der ehemaligen DDR-Botschaft. Deutsch-deutsche Geschichte auf wenigen hundert Metern.

Bärbel Ackl erinnert sich noch gut an die Zeiten, als das DDR-Kulturinstitut und das westdeutsche Goethe-Institut miteinander um syrische Deutschstudenten konkurrierten. Am meisten hätten damals die Syrer profitiert, denn die Kurspreise seien entsprechend günstig gewesen, erzählt die 72-jährige Deutschlehrerin, die zunächst 15 Jahre am ostdeutschen Kulturzentrum und dann ab 1986 am Goethe-Institut unterrichtete.

Verwöhnte DDR-Stipendiaten

Die DDR-Bürgerin war 1969 zusammen mit ihrem syrischen Mann und zwei Töchtern nach Syrien gekommen. Kennengelernt hatten sich Bärbel und Antonius Ackl an der Universität Rostock, wo er Schiffsmaschinenbau und sie Landwirtschaft studierte. Der Syrer gehörte 1956 zu den ersten 15 Delegierten seines Landes, deren Hochschulstudium die DDR finanzierte. An die Studien- und Promotionsjahre in Ostdeutschland erinnert sich Ackl gerne. Als damals einziger Ausländer seiner Seminargruppe sei er voll integriert gewesen, erzählt Ackl, mit den Kommilitonen hält er bis heute Kontakt.

Die syrischen Stipendiaten seien damals von der DDR sehr gut behandelt worden, sagt Ackl. Denn in den 1950er und 1960er Jahren war die DDR auf der Suche nach ausländischen Verbündeten und Syrien war das erste Land der arabischen Welt, in dem die DDR 1956 ein Generalkonsulat eröffnete. Dennoch sei ihm an der Uni nichts geschenkt worden, betont Ackl, der bis heute als Professor für Maschinenbau an der Universität von Damaskus lehrt. "Wenn damals ein Kollege in einer mündlichen Prüfung eine Frage nicht beantworten konnte, sagten die Professoren zu mir: 'Sie müssen das wissen, denn sie haben später niemanden, der ihnen hilft.'"

Syrische Boxdelegation in Berlin 1963, Foto: Ulrich Kohls/ Bundesarchiv
Deutsch-syrische Begegnungen: Die syrische Boxmannschaft 1963 zu Besuch in Ost-Berlin. Auf dem Programm stand u.a. der Besuch in einem Sportartikelgeschäft Unter den Linden. Hier interessiert sich ein syrischer Boxer für den in der DDR hergestellten Kopfschutz. Bundesarchiv: Bild 183-B1004-0014-002Bild: Bundesarchiv / Ulrich Kohls

Diplomatische Anerkennung

1969, im gleichen Jahr, in dem Antonius Ackl nach Syrien zurückkehrte, brach Mazhar Chobat in die DDR auf. Als einer der Besten seines Abitur-Jahrgangs wurde er nach Ostdeutschland entsendet, um Finanzökonomie zu studieren. Zwei Jahre zuvor war Chobat mit seinen Eltern und fünf Geschwistern vor den israelischen Truppen aus dem Golan geflohen. Der Sechs-Tage-Krieg 1967 zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn brachte der DDR in der Region den außenpolitischen Durchbruch: Nachdem sich Ostberlin im Krieg auf die arabische Seite gestellt hatte, erkannten 1969 neben Syrien auch Irak, Ägypten, Jemen, Sudan und die Vereinigte Arabische Republik die DDR diplomatisch an.

Berliner Studenten demonstrieren zur Lage in Syrien, als syrischer Vertreter spricht Mahmalgi Fadel, Assistent an der Karl-Marx-Universität Leipzig, Foto: Rudolf Hesse/ Bundesarchiv
1957: Massenmeeting Berliner Studenten zur Lage in Syrien Bundesarchiv: Bild 183-50545-0002Bild: Bundesarchiv / Rudolf Hesse

Mazhar Chobat studierte zunächst in Karlshorst, dann an der Humboldt-Universität von Berlin. Die DDR zahlte jedem Stipendiaten 295 DDR-Mark im Monat, genug, um nebenbei das kulturelle Leben Berlins zu genießen und durch das Land zu reisen, erinnert sich der heute 61-Jährige: "Wir waren jung, wir haben gefeiert, jeder hatte eine Freundin." Im Gegensatz zu Antonius Ackl kam Chobat jedoch nicht in den Sinn, seine deutsche Freundin zu heiraten. "Offiziell durften wir Stipendiaten nicht im Ausland heiraten", erzählt der Finanzökonom. Außerdem habe er persönlich auch immer lieber eine Syrerin heiraten wollen aus Sorge, eine Deutsche würde in Damaskus nicht glücklich werden.

Halbherziger Sozialismus in Syrien

Als Delegierte verpflichteten sich die jungen Syrer, nach Abschluss ihres Studiums eine gewisse Zeit für den syrischen Staat zu arbeiten. Im Falle von Mazhar Chobat wurde daraus ein Leben im Staatsdienst, er arbeitete 36 Jahre im Finanzministerium, zuletzt als Direktor der Abteilung für den Staatshaushalt. Die meisten DDR-Stipendiaten hätten nach ihrer Rückkehr gute Stellungen in Syrien bekommen, sagt Chobat.

In vielem sei die DDR Vorbild für Syrien gewesen, betont der Finanzwissenschaftler. Deshalb habe es zwischen den beiden Systemen große Ähnlichkeiten gegeben, zum Beispiel was die Organisation des staatlichen Sektors, die Gründung von Genossenschaften, die Fünf-Jahres-Pläne und die Versorgung der Bevölkerung mit subventionierten Nahrungsmitteln betrifft. Inzwischen bekennt sich Syrien zwar zur sozialen Marktwirtschaft, aber am Einparteienregime der arabisch-sozialistischen Baath-Partei hat sich in Damaskus auch nach dem Mauerfall in Deutschland und dem Zusammenbruch des Ostblocks nichts geändert.

Das Ehepaar Ackl verweist dagegen auf den in Syrien traditionell starken privaten Sektor und findet, Syrien sei nie ein vollständig sozialistisches Land gewesen. Im Gegensatz zu den Bürgern der DDR konnten die Syrer auch stets reisen, geplante Auslandsaufenthalte scheitern bei den Syrern bis heute vor allem am Geld und an den Visumbestimmungen des Reiselandes. Bärbel Ackl sah in der strengen Ausreisepolitik der DDR damals das Hauptproblem ihres Heimatlandes. Sie selbst hätte Syrien gerne einmal besucht, bevor sie mit ihrem Mann Antonius 1969 dorthin auswanderte. Aber da ihr Vater sich 1957 in die Bundesrepublik abgesetzt hatte, durfte sie als Tochter eines Republikflüchtlings das Land nicht verlassen.

Illusionen über den Westen
Syrische und Dresdner Jugendliche demonstrieren 1979 gegen die USA, Abed Turschuman mit Journalisten im Gespräch, Foto: Erich Pohl/ Bundesarchiv
Besuch aus Syrien Bundesarchiv: Bild 183-50656-0002Bild: Bundesarchiv / Erich Pohl

Später dann, als die Familie von Syrien aus beide deutsche Staaten regelmäßig besuchte, sah Bärbel Ackl sowohl in der BRD als auch in der DDR Vor- und Nachteile. "Hätten meine Landsleute mal alle einen Sommer bei den Verwandten im Westen verbracht, wären die meisten ganz zufrieden zurückgekehrt", meint die 72-Jährige. So aber wuchs der Unmut, den die Ostdeutsche bei einem Berlinbesuch 1983 deutlich spürte, als sie mehrfach für eine Westlerin gehalten wurde. Eine Frau habe damals auf ihre Handtasche aus dem Lederbazar von Damaskus geschaut und zu ihr gesagt: "Sie von drüben wissen ja gar nicht, wie es ist", erinnert sich Ackl. Ihre Antwort fiel entsprechend deutlich aus: Dort, wo sie lebe, wünschten sich die Leute so ein System wie in der DDR mit Kindergärten, Gesundheitsversorgung und Vollbeschäftigung, habe sie der Landsmännin entgegnet. Natürlich habe es in der DDR Engpässe und zu wenig frisches Obst gegeben, sagt Ackl, aber das Kernproblem war ihrer Meinung nach, dass die Ostdeutschen nicht gewusst hätten, wie es im Westen wirklich aussah: "Sie fühlten sich eingesperrt, und das hätte man rechtzeitig vom System abstellen müssen", sagt sie.

Mauerfall im syrischen Staatsfernsehen

Auch Ex-Stipendiat Mazhar Chobat betont, ihm habe es in der DDR an nichts gefehlt: "Schokolade, Jeans und Bananen sind kein Problem für ein Volk", meint er. Hauptsache, die soziale Grundversorgung wie Krankenversicherung, Bildung, Wohnraum seien gesichert, sagt der Finanzökonom. Den Mauerfall und das Ende der Sowjetunion habe er mit gemischten Gefühlen verfolgt, erinnert sich Chobat. Einen eindeutigen Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus mag er darin aber angesichts der aktuellen Finanzmarktkrise nicht erkennen. Familie Ackl starrte 1989 ungläubig auf das Bild der tanzenden Menschen auf dem Brandenburger Tor, das in den Abendnachrichten des syrischen Staatsfernsehens lief. "Wie ist das möglich?", habe er sich damals immer wieder gefragt, so Antonius Ackl.

Heute ist der Ost-West-Konflikt auch in Syrien längst Vergangenheit. Mit einigen Kollegen gründete Antonius Ackl vor fünf Jahren die "Vereinigung syrischer Absolventen deutscher Hochschulen", die enge Beziehungen zu verschiedenen deutschen Universitäten pflegt. Ackls Angaben zufolge haben insgesamt 4000 Syrer in Ost- und Westdeutschland studiert, 22 Prozent aller Hochschullehrer der Universität Damaskus haben einen deutschen Abschluss. Ziel sei es, die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Syrien und Deutschland weiter zu intensivieren und jungen Syrern, die in Deutschland studieren wollen, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, so der Maschinenbauprofessor. "Wenn es um Wissenschaft geht, gibt es keine Grenzen", sagt Ackl.

Autorin: Kristin Helberg

Redaktion: Ina Rottscheidt