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'Ein trauriger Tag'

Das Interview führte Anne Herrberg.11. September 2009

Vor 36 Jahren puschte das chilenische Militär unter General Pinochet gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Allende. Helmut Frenz kämpft seitdem - in Chile und im Ausland - für die Aufarbeitung der Militärdiktatur.

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Helmut Frenz (Foto: AP)
"Nie wieder Folter": Helmut Frenz 2003 vor dem Präsidentenpalast in ChileBild: AP

"Dies werden meine letzten Worte sein", sagte der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende am frühen Morgen des 11. September 1973 im Radio, "doch ich bin mir sicher, dass unser Opfer nicht umsonst gewesen ist, sondern als moralische Lektion überdauert, die den Verrat und die Feindseligkeit strafen wird". Kurz danach bombardierte das Militär den Präsidentenpalast Moneda. Allende wurde tot in seinem Büro aufgefunden. Die Politik seines sozialistischen Regierungsbündnisses Unidad Popular - Umverteilung, Verstaatlichung, Sozialprogramme und Preiskontrolle - rief viele Widersacher auf den Plan, allen voran die USA, die in den 1970er/1980er Jahren mit allen Mitteln versuchten, ein zweites Kuba in Lateinamerika zu verhindern.

DW-WORLD.DE: Herr Frenz, Sie waren damals als Bischof der evangelisch-lutheranischen Kirche in Santiago de Chile, wie haben Sie den 11. September 1973 erlebt?

Männer mit Allendes Leiche (Foto: AP)
Chiles 11. September: Die Leiche von Salvador Allende wird nach dem Militärputsch aus dem Präsidentenpalast getragenBild: AP

Helmut Frenz: Es war für mich ein sehr trauriger Tag. Ich muss hinzufügen, dass ich damals als Bischof im Kreise der sehr konservativen Deutsch-Chilenen gelebt habe, eine Gruppe von Menschen, die auf den Putsch gesetzt hat und ihn begrüßt hat. Gleichzeitig habe ich aber auch bei der Flüchtlingshilfe gearbeitet. Es war ja damals so, dass Chile damals eine Art Insel der Freiheit war, die umgeben war von Militärdiktaturen - in Argentinien, in Uruguay, Brasilien, Paraguay, Bolivien. Und so zog Chile sehr viele Flüchtlinge an. Ich war damals sehr gespalten. Ich hatte mir damals noch nicht ausmalen können, was für eine blutige Diktatur dem nachfolgen würde.

28 Jahre später, am 11. September 2001, rasten zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Center. Würden Sie urteilen wie ihr Landsmann, der Soziologe Tito Trico, der sagte: Chile wurde damit seiner Erinnerung beraubt?

Genau so ist es, ich habe heute am 11. September 2009 schon seit frühmorgens die Nachrichten gehört, wenn der 11. September erwähnt wird, dann ausschließlich im Zusammenhang mit den Zwillingstürmen in New York, die damals von Terroristen zerstört worden sind. An Chile erinnert niemand mehr, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Nicht in den Medien.

Was löst das bei Ihnen aus?

Empörung! Die Nordamerikaner dominieren vollkommen die Szenerie. Damals 1973, als die Militärs unter General Pinochet die demokratisch gewählten Regierung Allende putschten, übrigens ja mit Unterstützung der USA, damals war die Welt wirklich enttäuscht, die Welt war wirklich erschrocken. Allende hatte es damals ja geschafft, eine große internationale Solidarität zu erreichen, so dass Chile eine Art Mekka war für alle, die auf ein neues Modell einer Gesellschaftsordnung in Freiheit und Menschlichkeit gesetzt hatten. Das alles ist wie weggewischt heute. Und dort, wo die Nordamerikaner auf den Plan treten, da dominieren sie das Feld bis hinein in die öffentliche Meinung. Und das finde ich empörend.

Sie haben sich - unter anderem in der "Kommitée zur Zusammenarbeit für den Frieden" - für die Opfer der Militärdiktatur in Chile eingesetzt und sich auch später, unter anderem als deutscher Generalsekretär von Amnesty International, immer, auch auf internationaler Ebene, für eine Verurteilung der Menschenrechtsverbrechen gekämpft. Die Rückkehr zur Demokratie 1989 hat in Chile die Türe auch für eine politische Aufarbeitung möglich gemacht. Im Bereich der Anerkennung der Rechte der Opfer hat sich in den letzten Jahren auch viel getan. Doch was die Verbrechen der Militärs nach dem Putsch angeht, da herrsche in Chile ein "Netzwerk des Schweigens", sagten Sie einmal. Vor zwei Wochen nun hat die chilenische Justiz über 120 ehemalige Geheimdienstler, Polizisten und Militärs verhaften lassen - ist das nicht endlich ein Durchbruch?

Pinochets Leiche (Foto: AP)
Putschgeneral Pinochet starb 2006 mit 91 JahrenBild: AP

Ich habe da meine Zweifel, man muss wissen, dass Chile bis auf den heutigen Tag mit der Staatsverfassung lebt, die Pinochet dem Land gegeben hat - es wurden kleine Reformen durchgeführt. Aber die Verfassung ist nach wie vor die einer Diktatur. Diese beinhaltet eine Autoamnestie, die die Militärs im Jahre 1978 erlassen haben. Diese amnestiert alle Verbrechen, die im Namen des Staates von Militärs, von uniformierten oder zivilen Geheimdienstlern begangen worden sind. Diese können so nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden.

Auch in Chile gelten internationalen Verträge, wonach beispielsweise das Verbrechen des "Verschwinden-Lassens" von Personen nicht verjähren kann. Und in den letzten Jahren kam es zu einigen Aufsehen erregenden Prozessen, die in langjährigen Haftstrafen mündeten. Sie zweifeln trotzdem daran, dass die aktuellen Verhaftungen die erhofften Konsequenzen nach sich ziehen?

Ich kenne die Einzelheiten der aktuellen Anklagen nicht. Es gibt bei der Strafverfolgung jetzt in den unteren Instanzen junge Richter, die auch den Mut haben Verurteilungen auszusprechen. Doch es gehen dann die Angeklagten oder auch in erster Instanz Verurteilten mit Hilfe guter und teurer Anwälte in die Berufung und sehr, sehr häufig werden die Urteile dann in der zweiten oder sogar in der letzten Instanz aufgehoben. Mit Hinweis auf Verjährungsfristen, mit Hinweis auf die Amnestie und internationalem Recht zum Trotz. Auch wenn es nach internationalem Recht keine Verjährungsfristen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit gibt, so wird dieses Recht in Chile nicht immer angewandt. Für mich sind ganz starke Zweifel angebracht, ob es wirklich zu Verurteilungen in größerem Ausmaß kommen wird. Und man darf dabei ja auch nicht vergessen, dass wir in Chile jetzt schon in der Wahlkampfphase sind. Anfang Dezember wird ein neues Staatsoberhaupt gewählt und das alles riecht für mich sehr danach, als ob die Rechten die Fälle ausnutzen werden, um in ihrem Interesse im Wahlkampf Stimmung zu machen.

Die Rechte gewinnt laut Umfragen in Chile derzeit wieder an Aufwind. Wie schätzen Sie diese Tendenzen ein, wie steht die junge Generation dazu?

Straßenschlacht (Foto: AP)
Nach Pinochets Tod kam es in Chile zu Straßenschlachten zwischen Oppositionellen und PolizeiBild: AP

Die Jugend scheint mir politisch weitgehend uninteressiert. Meines Erachtens ist das eine Folge des politischen Stillstandes. Sie versprechen sich von politischen Veränderungen gar nichts. Denn es ist ein, ich nenne es, "Wischiwaschi" in der Politik, die Parteien sind in zwei große Blöcke eingeteilt, den so genannten rechten Block, die Alianza und den eher linken Block, die Concertación. Die Politiker, die die Stimmung machen, die Politiker, die auch entscheidend in das politische Räderwerk eingreifen, sind sich aber untereinander fast einig. Es wird sich nur unerheblich etwas ändern, sollte ein Kandidat des rechten Blockes zum Präsidenten gewählt werden im Vergleich zur heutigen Präsidentin der - in Anführungsstrichen - linken Concertación. Entscheidendes kann und wird sich erst ändern, wenn Chile das Joch der Pinochet-Verfassung abschütteln kann. Wenn das nicht geschieht, wird es in der Justiz und auch in der Gesellschaft keinen Fortschritt geben.

Helmut Frenz lebte und arbeitete während des Putsches als Bischof der evangelisch-lutheranischen Kirche in Santiago de Chile. Er setzte sich in den Folgejahren für Flüchtlinge und Opfer der Militärdiktatur ein und überreichte Pinochet eine Dokumentation, in der die systematischen Folterungen der Geheimpolizei nachgewiesen wurden. Später wurde er Generalsekretär von amnesty international. Bis vor kurzem war er in Chile, wo er sich für die Entschädigung und Anerkennung der vielen überlebenden Opfer der Militärdiktatur stark machte. Heute lebt der 76-Jährige in Hamburg.