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Der Buddha in uns

Nikolas Fischer7. Oktober 2012

Man muss keine farbenfrohe Kutte tragen, um Buddhist zu sein. Eine Familie aus Frechen bei Köln praktiziert seit Jahren Nichiren-Buddhismus. Das wirkt im ersten Moment befremdlich, aber dann völlig normal.

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Eine Buddha-Statue mit ausgestreckter Hand (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Luca, Joshua und Luisa sitzen mit ihrer Mutter im Wohnzimmer und "chanten" – so nennen Buddhisten ihren Betgesang. Beim wiederholten Rezitieren des Mantras, tief und monoton, verbreitet sich eine andächtige Stimmung im Raum, ganz ohne buddhistische Tempel und Mönche in orangefarbenen Kutten. Die Kinder sitzen auf gewöhnlichen Stühlen vor einer Art Altar, der auf den ersten Blick wie ein ganz normaler Holzschrank aussieht. Öffnet man seine Türen, findet man dahinter allerdings keine Kaffeetassen, sondern eine Schriftrolle.

Beten zum Universum

Buddhistisches Mantra

Diese Schriftrolle, Gohonzon genannt, ist das zentrale Objekt der Verehrung im Nichiren-Buddhismus: ein kunstvolles kalligrafisches Mandala, das die zentralen Aussagen des Lotos-Sutra zusammenfasst, einer der wichtigsten buddhistischen Lehrschriften. "Die Schriftzeichen sind in Sanskrit, die können wir eigentlich gar nicht lesen", sagt Luisa. "Aber wir sagen vor allem immer wieder einen Satz, und den können wir auswendig: Nam-Myoho-Renge-Kyo. Das steht im Zentrum des Gohonzon und heißt übersetzt: Ich widme mich dem mystischen Gesetz von Ursache und Wirkung mit meiner Stimme. Wir beten damit zum Universum."

Der Buddhismus hat weltweit zwischen 250 und 500 Millionen Anhänger. Damit ist er nach Christentum, Islam und Hinduismus die viertgrößte Religion der Erde. Verbreitet ist er vor allem im Süden, Südosten und Osten Asiens. Der Buddhismus gliedert sich in drei große Strömungen: Theravada in Thailand und Myanmar, Vajrayana in Tibet und in der Mongolei und zu guter Letzt die Richtung Mahayana in China, Japan und Vietnam, zu der auch der Nichiren-Buddhismus gehört. Etwa ein Viertel aller Buddhisten lebt in China.

Frieden und Erleuchtung

Seit etwa 150 Jahren wird der Buddhismus auch in Deutschland praktiziert – mittlerweile von etwa einer Viertelmillion Gläubigen. Der Philosoph Arthur Schopenhauer war es, der sich mit indischer Philosophie beschäftigte, und so als einer der ersten Deutschen intensiv mit dem Buddhismus in Kontakt kam.

Buch mit buddhistischen Sinnsprüchen (Foto: DW)
Buddhistische Sinnsprüche für JoshuaBild: DW/N.Fischer

Der Buddhismus ist eine friedliche Religion, weiß auch Luisa aus Köln. Sie erzählt, wie aus dem Prinzen Siddhartha Gautama der erste Buddha wurde. "Er war ein Prinz, der keine Lust mehr auf seinen Palast hatte. Deshalb ging er auf Reisen. Er wurde Mönch und hat sich viele Jahre lang gefragt, warum die Menschen leiden müssen. Irgendwann erlangte er schließlich die Erleuchtung. Buddha heißt: "Der Erleuchtete". Den Gott im Himmel, den gibt es für uns nicht. Wir sagen, dass jeder Mensch einen Buddha in sich trägt und auch die Erleuchtung erlangen kann. Und deswegen chanten wir auch, wir arbeiten quasi auf unsere Erleuchtung hin. Das ist für uns das vollkommene Glück."

Leben im Hier und Jetzt

Nichiren war ein buddhistischer Reformer, der von 1222 bis 1282 in Japan lebte. Die von ihm begründete Richtung zeichnet sich vor allem durch ihren starken Gegenwartsbezug aus. "Es geht darum, jetzt und hier ein glückliches Leben zu führen", sagt Luisas Mutter, Kathrin Meister. "Das erreicht man, wenn man versteht, dass das Leben ewig ist. In jedem einzelnen Moment ist alles beinhaltet: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft."

Buch mit buddhistischen Sinnsprüchen (Foto: DW)
Buddhistischen Sinnsprüche für den AlltagBild: DW/N.Fischer

Mit 23 Jahren schloss sich Kathrin Meister der Sōka Gakkai an. Übersetzt heißt das: "Die Werte schaffende Gesellschaft". Mittlerweile ist sie mit einem Buddhisten verheiratet. Die Religionsgemeinschaft der Sōka Gakkai gibt es seit 1930 und hat nach eigenen Angaben 12 Millionen Mitglieder weltweit, in Deutschland rund 5.600.

In den 1990er Jahren wurde der Sōka Gakkai vorgeworfen, Religion und Politik zu vermischen sowie aggressiv zu werben. Mittlerweile sehen die meisten Experten diese Probleme aber als gelöst. Werner Höbsch ist Leiter des Referates für Interreligiösen Dialog und Weltanschauungsfragen im Erzbistum Köln. Er neigt dazu, Entwarnung zu geben: Seine Erfahrungen mit Mitgliedern der Sōka Gakkai seien "anregend und positiv" gewesen.

Buddhismus im Alltag

Mit ihren Freunden reden Luisa und Joshua nur selten über ihre Religion. Eine Freundin, erzählt Luisa, habe sich mal sehr dafür interessiert und wollte alles Mögliche wissen. Buddhistin geworden sei sie aber nicht. Joshua berichtet, sein Klassenkamerad habe zwar neugierige Fragen gestellt, unter anderem was das denn für ein Altar im Wohnzimmer sei, aber mehr sei da dann auch nicht gewesen. Bei den Versammlungen der Sōka Gakkai treffen die Kinder regelmäßig Gleichgesinnte in ihrem Alter.

Luisa aus Köln beim Chanten - dem buddhistischen Beten (Foto: DW)
Luisa beim Chanten - dem buddhistischen BetenBild: DW/N.Fischer

Sie empfinden ihre Religion als völlig normal, auch wenn viele ihrer deutschen Freunde christlich oder atheistisch geprägt sind. Die Kinder gehen ganz unbefangen mit ihrem Glauben um und sehen sogar praktische Vorteile. Joshua erzählt, wie ihm die Mantras im Schulalltag helfen: "Früher war ich bei Mathearbeiten immer so aufgeregt und hab plötzlich alles vergessen. Und dann hab ich während der Arbeit still für mich Nam-Myoho-Renge-Kyo gechantet, und es wurde besser."