1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Beschneidung legalisieren

Michael Gessat / Günther Birkenstock26. September 2012

Ist die Beschneidung von kleinen Jungen Körperverletzung? Ein Gerichtsurteil hatte vor Monaten eine hitzige Debatte über diese Frage ausgelöst. Eine gesetzliche Regelung soll im Oktober Klarheit schaffen.

https://p.dw.com/p/16EpN
Beschneidungsbesteck Foto: picture-alliance dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Die Bundesregierung will medizinisch fachgerechte Beschneidungen von jüdischen und muslimischen Jungen erlauben. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger legte Ländern und Verbänden nun Eckpunkte für eine gesetzliche Regelung vor.

Hintergrund für die Gesetzespläne ist ein Urteil des Landgerichts Köln. Die Richter hatten im Mai die Entfernung der Vorhaut bei Neugeborenen und Kleinkindern als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit gewertet. Das Urteil, das für andere Gerichte nicht bindend ist, hatte internationale Aufmerksamkeit erregt und erhebliche Unruhe unter Juden und Muslimen ausgelöst. Daraufhin hatte der Bundestag die Regierung aufgefordert, dazu eine gesetzliche Regelung auszuarbeiten.

Ein türkischer Junge sitzt festlich gekleidet auf einer Kommode und feiert seine Beschneidung Foto: AP
Festliches Ereignis - ein türkischer Junge feiert seine BeschneidungBild: AP

Eingriff muss nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen

Nach dem Willen von Leutheusser-Schnarrenberger soll die Beschneidung straffrei bleiben. Im Kindschaftsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs soll ein Paragraph angehängt werden, der klarstellt, dass Eltern unter bestimmten Voraussetzungen in die Beschneidung ihres Sohnes einwilligen können. Der Eingriff muss dabei nach den Regeln der "ärztlichen Kunst" vorgenommen werden. Das beinhaltet "bei Bedarf" auch eine Schmerzbehandlung. Ein Sprecher des Justizministeriums sagte, das Ressort habe mehrere Anforderungen berücksichtigt: Die Beschneidung müsse fachgerecht und möglichst schonend ablaufen. Dem Eingriff müsse eine umfassende Aufklärung vorausgehen. Eltern müssten den Kindeswillen bei der Frage miteinbeziehen. Und: Eine Ausnahme gelte, wenn das Kindeswohl gefährdet sei, etwa durch gesundheitliche Risiken bei Blutern.

Den Plänen zufolge soll in der Regel ein Arzt die Beschneidung vornehmen. Innerhalb der ersten sechs Lebensmonate eines Kindes könnten dies aber auch Personen durchführen, die von ihrer Religionsgemeinschaft dafür vorgesehen sind und die Beschneidung genauso gut beherrschen wie ein Arzt.

Zentralrat der Juden reagiert positiv - Ärzte warnen

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, zeigte sich zufrieden. Der Entwurf gehe auf viele Wünsche der Juden in Deutschland ein: "Das Bundesjustizministerium verdient dafür Respekt und Anerkennung, dass es einen solch klugen Vorschlag vorgelegt hat." Es sei ein gutes Diskussionspapier, das jedoch in Einzelfragen des Feinschliffs bedürfe. Die Debatte müsse nun endlich sachlich geführt werden.

Ärzte und Menschenrechtsorganisationen warnten indessen vor den Folgen der Beschneidung und forderten Aufklärung über die Folgen des religiösen Brauchs.

Entwurf ist untauglich und skandalös

Der Strafrechtler Reinhard Merkel von der Uni Hamburg, hält nichts von den vorgelegten Eckpunkten. Dass der Entwurf nicht auf eine religiöse Motivation der Eltern für die Beschneidung abziele, sei einerseits plausibel: "Man wollte den Eindruck vermeiden, es werde hier ein religiöses Sonderrecht geschaffen. - Aber natürlich wissen Kenner, dass das in der Sache ein religiöses Sonderrecht ist, denn wenn irgendeine weltanschauliche Gruppe gefordert hätte, kleine Jungs aus ästhetischen Gründen zu beschneiden, dann wäre das auf gar keinen Fall genehmigt worden." Das Problem sei jetzt, dass jedes Motiv, egal wie extravagant oder abwegig, den Eltern gestatte, ihre Kinder beschneiden zu lassen. Es gebe genügend Leute, so Merkel weiter, die fänden, dass eine Beschneidung ästhetischer sei. Jetzt könnten sie mit gesetzlichem Segen den Kindern ihren Willen aufzwingen: "Es lassen sich aber noch extravagantere Motive ausdenken, zum Beispiel der junge Chirurg, der sagt: 'Ach das darf man jetzt. Ich will das trainieren und beschneide übungshalber meinen Sohn.'" Vielleicht komme das nicht vor, aber das Gesetz erlaube es, argumentiert Merkel.

Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg Foto: Uni Hamburg
Jurist Reinhard Merkel hält das vorgestellte Eckpunktepapier für skandalösBild: Universität Hamburg

Schutz der Kinder ist in der Verfassung verankert

Die Kritik von Reinhard Merkel geht aber noch weiter. Skandalös findet er die seiner Meinung nach entstehende Verwässerung der Pflicht, für eine hinreichende Anästhesie zu sorgen: "Das meint das Ministerium abgedeckt zu haben mit einem Hinweis auf die ärztliche Kunst. Dazu gehöre auch eine hinreichende Betäubung. Gleichzeitig wird gesagt, bei Jungs unter sechs Monaten dürfen das auch Nicht-Ärzte machen. Dürfen dann auch die jüdischen Mohels (Beschneidungs-Fachmänner) für eine Anästhesie sorgen, von der sie keine Ahnung haben?"

Zu 90 Prozent werde im Augenblick die Praxis angewendet, indem der Junge einen rotweingetränkten Fetzen in den Mund gesteckt bekommt. Ebenso skandalös sei die Verwässerung des Veto-Rechts: "Natürliches Veto heißt, wenn das Kind sich wehrt und sträubt. Man wollte offensichtlich vermeiden, dieses natürliche Veto in den Entwurf zu schreiben, weil bei acht Tage alten Kindern, wie sie im Judentum beschnitten werden, schon das Losschreien die Artikulation eines natürlichen Vetos wäre." Das verwässere den Schutz der Kinder, der dem Gesetzgeber von Verfassung wegen aufgegeben sei.

Gang durch die Instanzen

Bijan Fateh-Moghadam von der Universität Münster sieht die Sache ganz anders. Für ihn ist die Knabenbeschneidung "ein relativ leichter Eingriff mit geringfügigen Risiken und andererseits anerkannten medizinischen Vorteilen". Die Zustimmung der Eltern sei also kein Missbrauch des elterlichen Sorgerechts.

Der Rechtswissenschaftler Bijan Fateh-Moghadam in Münster Foto: picture-alliance/dpa
Rechtswissenschaftler Bijan Fateh-MoghadamBild: picture-alliance/dpa

Der Bonner Strafrechtler Professor Martin Böse glaubt, dass die juristische Diskussion noch lange nicht beendet ist. Für endgültige Klärung könnten deswegen nur der Bundesgerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht sorgen. Von der Idee, die religiöse Beschneidung von Knaben mit einem speziellen Gesetz zu erlauben, hält Böse wenig. Im Moment plane man gerade bei der Beschneidung von Mädchen das Gegenteil, nämlich ein ausdrückliches Verbot: "Und wenn man jetzt eine Vorschrift schafft, die derartige religiöse Bräuche privilegiert und von den Strafvorschriften ausnimmt, wäre das ja eine Regelung, deren Folgen letztlich gar nicht absehbar wären." Die Beschneidung der Klitoris bei Mädchen ist in Deutschland strafbar und wird als schwere Körperverletzung gewertet.

Für Bijan Fateh-Moghadam ist ein spezielles Beschneidungs-Gesetz zwar denkbar, aber weder sinnvoll, noch erforderlich: "Vorzuziehen wäre es, wenn die Rechtslage durch höchstrichterliche Rechtsprechung, möglicherweise durch das Bundesverfassungsgericht geklärt würde. Dann könnte man auf ein solches sehr schwierig zu formulierendes Spezialgesetz verzichten." Beide Experten sind sich einig - möglicherweise landet die Sache auch noch vor dem Europäischen Gerichtshof. Der Streit um die Beschneidung könnte also noch Jahre dauern.