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Janet Frame: Autorin im freien Fall

Aygül Cizmecioglu5. Oktober 2012

Tod, Krankheit und Wahnsinn - Janet Frame erlebte die Hölle und schrieb darüber. Ihre autobiografischen Romane wurden zu Bestsellern und machten sie zur erfolgreichsten Gegenwartsautorin Neuseelands.

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Bild Janet Frame
Bild: dpa

Im Leben der Janet Frame existierte die Grenze zwischen Traum und Realität nicht, ebenso wenig wie in ihrer Literatur. In ihrem Romandebüt "Wenn Eulen schreien" lässt sie ihr Alter Ego über eine stinkende Müllhalde schlendern, so, als sei sie ein Berg voller seltener Schätze. Und nur sie vermag  die Kostbarkeiten zu sehen. Es ist ein zarter, poetischer Ton, der sich durch Janet Frames Romane und Erzählungen zieht. Und der so gar nicht zu ihrem leidvollen Leben zu passen scheint.

Düstere Herkunft

Janet Frame wurde 1924 in eine arme Großfamilie hineingeboren. Eine Familie mit ständig wechselnden Wohnorten. Der Vater verdiente sich das wenige Geld als Tagelöhner und gab seinen Frust mit Schlägen an die vielen Kinder weiter. Zwei ihrer vier Geschwister ertranken, der ältere Bruder litt zeitlebens an Epilepsie. Sie selbst zog sich früh zurück in ein Gehäuse aus Scham und Unsicherheit. Davon erzählt Janet Frame in ihrer grandiosen Autobiografie "Ein Engel an meiner Tafel".

Buchcover Autobiografie Janet Frame
Das Buch zum Leben - die Autobiografie von Janet FrameBild: DW

"Nichts ist einfach, wenn man einen Kopf hat, der sich immer nur Bröckchen aus der gefährlichen zersplitterten Außenwelt in die geheime sichere Innenwelt holt; wenn das Denken bei Nacht hinaus schleicht wie ein in der Dunkelheit verborgenes Pelztier, um seine Beute zu erlegen und in seinen geheimen Bau in der geheimen Welt zurück zu schleppen "

Rein in den Wahnsinn

Aus Angst, der Außenwelt nicht zu genügen, lässt sich Janet Frame mit 21 Jahren selbst in die Psychiatrie einweisen. Doch der Schutzwall wird zum Alptraum. Sie wird acht Jahre lang mit Elektroschocks gequält, für verrückt erklärt und entkommt nur haarscharf einer Lobotomie, einer drastischen Hirnoperation. Dennoch hört Janet Frame nie auf zu schreiben, so, als könne sie sich mit Worten aus der Dunkelheit befreien. In ihrem Erstlingswerk "Wenn Eulen schreien" seziert sie luzide diese Erfahrungen in der Nervenheilanstalt, versucht, die Ohnmacht zu überwinden.

"Der lange Korridor draußen glänzt wie das Leder eines neuen Schuhes, der geht […] bis an das Zimmer, in dem die Frauen in Nachhemden auf den Neun-Uhr-Schrecken warten, Elektroschocks genannt. Sieh. Vergiss. Werde blind. Krümm dich, ohne zu wissen, weshalb."

Literatur als Rettung

Wer ist hier krank und wer gesund? In Janet Frames Büchern kommen die Gewissheiten ins Wanken. Die Perspektiven wechseln ständig, das Assoziative, Surreale bekommt Oberhand. Später rettete diese Literatur Janet Frame sprichwörtlich das Leben. Nachdem eine ihrer Kurzgeschichten mit einem renommierten neuseeländischen Literaturpreis ausgezeichnet wurde, endete die Tortur in der Psychiatrie.

Szene aus dem Film "Ein Engel an meiner Tafel" von Jane Campion
Der Film zum Leben - Szene aus "Ein Engel an meiner Tafel"Bild: picture-alliance/dpa

Die Frau mit dem wilden Lockenschopf avancierte zu einer der bekanntesten Schriftstellerinnen Neuseelands, wurde lange als Anwärterin für den Literaturnobelpreis gehandelt. Ihr wechselvolles Leben kam unter der Regie der neuseeländischen Regisseurin Jane Campion auf die Leinwand und erlangt so Weltruhm. 2004 starb Janet Frame im neuseeländischen Dunedin - dort, wo sie 79 Jahre zuvor geboren wurde. Sie habe sich ihr Leben lang wie im "freien Fall" gefühlt, schrieb Janet Frame kurz vor ihrem Tod. Ihr Schreiben hätte den Aufprall verlangsamt.