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Mursis neue Außenpolitik

Matthias Sailer21. September 2012

Ägyptens Präsident Mursi besucht erstmals seit seinem Amtsantritt die USA. Anders als seine Amtsvorgänger muss er in seiner Außenpolitik den Willen des Volkes berücksichtigen. Gerade für den Westen heißt das umdenken.

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Ägyptens neuer Präsident Mohammed Mursi vor einer Menschenmenge in Kairo (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Über Jahrzehnte hinweg waren Ägyptens Diktatoren nützliche Verhandlungspartner für den Westen. In ihren außenpolitischen Entscheidungen mussten sie den Willen des Volkes nur begrenzt berücksichtigen. Ein großer Teil der Außenpolitik des 2011 gestürzten Präsidenten Hosni Mubaraks zielte darauf ab, eine kleine Gruppe Verbündeter zu bereichern.

Das Volk habe davon kaum profitiert, sagt Osama Nour El-Din, Leiter des wissenschaftlichen Dienstes der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei der Muslimbrüder. "Unter Mubarak waren wir blind den USA gefolgt. Aber das ist jetzt anders", meint El-Din. Jetzt diene die ägyptische Außenpolitik beiden Seiten. "Wir wollen, dass die Ägypter die Effekte der ägyptischen Außenpolitik spüren."

Mohammed Mursi (Foto: Reuters)
Mursi muss neue Wege beschreitenBild: Reuters

Die Mehrheit sieht die USA kritisch

Diese Zäsur wird deutliche Veränderungen im zukünftigen Umgang Ägyptens mit den USA, Israel und auch Europa mit sich bringen. Eine Kostprobe waren die jüngsten Demonstrationen vor der US-Botschaft in Kairo. Der Auslöser war zwar ein islamfeindliches Video. Doch die Proteste hätten weniger Unterstützer gefunden, wenn die Ägypter den USA positiv gesinnt wären. Laut einer aktuellen Umfrage des renommierten Pew-Forschungsinstituts mögen 79 Prozent der Ägypter die USA nicht - wegen der unzähligen Toten im Irak und Afghanistan, wegen der bedingungslosen Unterstützung Israels, wegen der engen Zusammenarbeit mit Mubarak und auch wegen Guantanamo.

Anders als Mubarak kann Mursi diese Meinungen jedoch nicht mehr einfach ignorieren, denn er muss Wahlen gewinnen. Doch trotz anti-amerikanischer Stimmung im Land: Mursi muss einen Spagat machen. Denn die desaströse ägyptische Finanz- und Wirtschaftssituation erlaubt es ihm  nicht, die USA gänzlich zu verärgern. Seit den Protesten hat sich das Verhältnis zwischen beiden Ländern bereits deutlich abgekühlt. So bezeichnete Präsident Obama Ägypten vor kurzem nicht mehr als Verbündeten, sondern stufte die Beziehungen nur noch als "neutral" ein.

Osama Nour El-Din, Hauptquartier der Freiheit- und Gerechtigkeitspartei in Kairo (Foto: Matthias Sailer)
Osama Nour El-Din: "Unter Mubarak waren wir blind den USA gefolgt"Bild: Matthias Sailer

Neue Ausrichtung im Nahen Osten

Auch Israel muss sich mit der neuen Politik Ägyptens arrangieren. Fast alle hochrangigen ägyptischen Politiker betonen, dass der Friedensvertrag weiter respektiert wird. Doch es wird auch hier Anpassungen geben müssen. Vor allem die Begrenzung der Truppenzahl auf dem Sinai muss überprüft werden. Immer wieder kommt es dort zu Anschlägen, die andernfalls kaum verhindert werden können. Bereits Mitte August wurde die Truppenzahl deshalb dort erhöht, obwohl dies gegen den Vertrag verstößt. Doch der Friedensvertrag in seiner jetzigen Form schade Israel mehr als Ägypten, "weil er fast den ganzen Sinai schutzlos lässt", sagt Osama Nour El-Din. "Er ist ein Rückzugsgebiet für Terrorgruppen. Sie können dort machen was sie wollen."

Veränderungen sind auch mit Blick auf die Palästinenser zu erwarten. Die bisherige Siedlungspolitik Israels oder die Blockade Gazas ist der ägyptischen Bevölkerung nur schwer vermittelbar. Die dauerhafte Öffnung des Grenzübergangs in den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen würde das Leben der dortigen Palästinenser erheblich erleichtern. Ägypten hatte diesen Grenzübergang in der Vergangenheit häufig geschlossen, was dazu führte, dass ein großer Teil des Warenhandels durch unterirdische Tunnel abgewickelt wurde. Durch diese Tunnel wurden auch Waffen an die Hamas geschmuggelt. "Die Öffnung des Grenzübergangs in Rafah bringt Israel mehr Vorteile als Gaza, da es den Schmuggel durch die Tunnel beenden würde", sagt Osama Nour El-Din. Eine dauerhafte Öffnung sei daher sehr wichtig.

Zentrales Hauptquartier der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei in Kairo (Foto: Matthias Sailer)
Die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei ist der politische Arm der MuslimbruderschaftBild: Matthias Sailer

Alle ins Boot holen

Ein anderer Schauplatz für Ägyptens neue unabhängige Außenpolitik ist das Verhältnis zum Iran. Seit langem haben die USA den Iran wegen dessen Nuklearprogramm auch auf israelischen Druck hin isoliert. Seinen ersten Auslandsbesuch machte Mursi aber ausgerechnet nach Teheran. Dort kritisierte er zwar Irans Unterstützung des syrischen Regimes, versuchte aber gleichzeitig, den Iran für eine Lösung des syrischen Bürgerkrieges zu gewinnen. In den USA herrscht Skepsis über diese Aufwertung.

Doch Osama Nour El-Din ist anderer Meinung: "Die Syrer selbst glauben nicht, dass man den Krieg ohne den Iran beenden kann." Und selbst die USA seien glücklich über Mursis Besuch im Iran, "weil sie sich nicht selbst mit der Lösung des Konflikts herumschlagen wollen." In der Iran-Frage ist auch Abdel Moati Zaki Ibrahim, Leiter der Parteizentrale der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei des Distrikts Giza, überzeugt, dass man Teheran nicht außen vor lassen könne. "Das wäre unklug. Der Iran ist ein mächtiger Staat." Ägypten verfolge daher dieselbe Strategie wie die Türkei: Kooperation mit allen Staaten auf Basis nationaler Interessen.

Mursi wendet sich demnach nicht direkt vom Westen ab, aber er vergrößert die Zahl seiner Verbündeten - dazu gehören eben auch der Iran oder die Wirtschaftsgroßmacht China. Die USA werden sich, ob sie wollen oder nicht, an dieses neue Umfeld gewöhnen müssen.

Abdel Moati Zaki Ibrahim von der Freiheit- und Gerechtigkeitspartei für den Distrikt Giza (Foto: Matthias Sailer)
Abdel Moati Zaki Ibrahim sieht den Iran als wichtigen PartnerBild: Matthias Sailer