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Wütende Proteste in Kairo

Matthias Sailer15. September 2012

Die Mehrheit der Ägypter ist gegen Gewalt als Antwort auf den islamfeindlichen Film über den Propheten Mohammed. Doch die Wut ist groß. Einige Radikale demonstrierten am Freitag nahe der US-Botschaft in Kairo.

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Ein ausgebranntes Auto in der Nähe der US-Botschaft in Kairo (Foto: DW)
Bild: Matthias Sailer

Nur kleinere Menschenansammlungen füllen Kairos Tahrirplatz. Dort, wo oftmals Hunderttausende gegen Mubarak demonstriert hatten, sind es heute nur etwa 2000. Doch die Ruhe täuscht. Im Hintergrund hört man ein-, zweimal das Donnern von Tränengasgeschossen. Es kommt aus der Straße, die in Richtung US-Botschaft führt. Etwas davon entfernt haben sich einige hundert versammelt und lauschen den Worten eines Predigers. Es sind überwiegend Salafisten, die einer wörtlichen Lesart des Korans folgen.

Man könnte die Ansammlung für ein normales Freitagsgebet halten, wären da nicht die vielen anklagenden Transparente und Plakate. Auf einem steht geschrieben: "Prophet, wir opfern unser Blut für Dich!" Überall wehen grüne und schwarze Fahnen mit dem islamischen Glaubensbekenntnis, ähnlich denen von Al-Kaida. Die Anwesenden sind verärgert wegen des in den USA produzierten Films, der ihren Propheten als Kinder schändenden und blutrünstigen Verbrecher darstellt. "Hör hin Obama, wir alle sind Osama!", brüllen sie aus voller Brust, um zu zeigen, dass Sie für ihren Propheten sogar bereit sind zu sterben. Der 30-jährige Tamer Salah macht seine Forderungen an den ägyptischen Präsidenten Mursi klar: "Zuerst muss die US-Botschaft geschlossen und der Botschafter ausgewiesen werden. Anschließend wollen wir eine offizielle Entschuldigung des US-Außenministeriums. Drittens, der Produzent des Films ist ein Ägypter und ein Schwein. Er muss gemäß dem Auslieferungsabkommen mit den USA nach Ägypten gebracht werden, wo er einen gerechten und fairen Prozess haben soll."

Porträt von Tamer Salah, Demonstrant in Kairo (Foto: DW)
Tamer Salah fordert die Schließung der US-BotschaftBild: Matthias Sailer

"Menschen zu töten, lehne ich ab"

Plötzlich bricht Unruhe aus und der Prediger fordert diejenigen auf, die nur hier sind, um Fotos zu machen, jetzt nach Hause zu gehen. Der Rest soll zur Omar Makram Moschee gehen, die am Eingang zu der Straße liegt, die zur US-Botschaft führt. Schnell setzt sich der Pulk in Bewegung. An der Mosche wischen sich einige die Augen. Tränengaspartikel der nächtlichen Straßenschlachten zwischen Bereitschaftspolizei und Demonstranten liegen noch überall herum. Alle paar Meter weiter brennen Feuer und der Boden ist übersät mit Steinen, die noch wenige Stunden zuvor als Wurfgeschosse benutzt wurden. Etwa hundert Meter vor der Frontlinie steht ein in Rauchschwaden eingehülltes ausgebranntes Auto.

Ein Demonstrant ist auf den Metallrahmen gestiegen und ruft mit winkenden Armen, dass diejenigen, die den Propheten lieben, nicht zur Botschaft ziehen sollen. Auch andere sind gegen die Gewalt, schimpfen aber darüber, dass derartige religiöse Beleidigungen im Westen straffrei bleiben, weil es rechtlich erlaubt ist. Zu ihnen gehört der 35-jährige Radi Hafez. "In den USA gibt es nicht einmal ein Gesetz dagegen. Es sollte ein Gesetz geben, um solchen Leuten den Prozess zu machen", fordert Hafez. "Aggressive Gewalt, Sachbeschädigung oder Menschen zu töten, lehne ich ab."

Eine Menschenmenge demonstriert in der Nähe der US-Botschaft in Kairo (Foto: DW)
Etwa 2000 Menschen gingen in Kairo auf die StraßeBild: Matthias Sailer

"Wenn die USA nicht reagieren, wird die Reaktion noch schlimmer sein"

Doch er ist damit zumindest unter den Demonstranten in der Minderheit. Nahe der Botschaft hat die Armee eine Betonmauer errichtet, um die Protestierenden von der Botschaft fernzuhalten. Ein Hagel aus Steinen bewegt sich in beide Richtungen und immer wieder sieht man vor allem ärmere und nicht-islamistische Jugendliche mit Platzwunden oder Atembeschwerden. Auch der 42-jährige Sayid hat Verständnis für die gewalttätigen Reaktionen: "Mursi sollte die Filmschauspieler und den Produzenten verklagen. Jeder Handlung folgt eine Reaktion. Und wenn die USA nicht entsprechend reagieren, wird die Reaktion noch schlimmer sein als jetzt", sagt Sayid. "Man kann uns keinen Vorwurf machen, nur weil wir versuchen, die Würde des Propheten wiederherzustellen."

Präsident Mursi in der Zwickmühle

Präsident Mursi befindet sich in einer schwierigen Situation: Auch wenn er die USA nicht vor den Kopf stoßen möchte, muss er als konservativer, ehemaliger Muslimbruder die schwer verletzten religiösen Gefühle seiner Wähler berücksichtigen. Auch muss er aufpassen, nicht rechts von den salafistischen oder gar einigen Al-Kaida verherrlichenden Gruppierungen überholt zu werden. Er muss auf jeden Fall verhindern, dass man ihn als nicht genügend religiös oder gar als US-Sympathisanten wahrnimmt. Denn selbst unter den moderateren Muslimen wirken religiöse Beleidigungen wie durch besagten Film verheerend. Hafez gehört zu dieser Gruppe. "So etwas sollte weder meinem noch einem anderen Propheten angetan werden", so Hafez. "Ich höre, dass das Video schon auf YouTube ist. Wir demonstrieren nicht nur für den Propheten Mohammed. Wenn es um Jesus oder Moses selbst gehen würde, würden wir auch gegen solche Filme demonstrieren."

Demonstrant Radi Hafez in Kairo (Foto: DW)
Radi Hafez demonstriert gegen das Mohammed-VideoBild: Matthias Sailer

Streit im islamistischen Lager

Am schwersten wird es für Mursi werden, die Radikalen davon abzuhalten, weiter Stimmung zu machen. Mitten auf dem Tahrirplatz tragen einige von ihnen ein überdimensionales Poster, auf dem Osama Bin Laden zu sehen ist und geschrieben steht: "Allah, sei gut zu Osama Bin Laden und erwarte eine schmerzhafte Reaktion von uns!" Als sie dem Präsidenten vorwerfen, trotz der Beleidigung des Propheten nicht seine Auslandsreise abgebrochen zu haben, bricht ein Disput mit umstehenden Mursi-Anhängern aus. Auch wenn die große Mehrheit der Ägypter den Demonstrationen bisher fernblieb - eines hat das Video erreicht: Das islamistische Lager ist tief zerstritten.

Demonstranten mit Osama Bin Laden Plakat in Kairo
Einige Demonstranten tragen Osama-Bin-Laden-PlakateBild: Matthias Sailer