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Mursi festigt Macht

Matthias Sailer10. September 2012

Schritt für Schritt erweitert Präsident Mohammed Mursi seine Kontrolle über den ägyptischen Staatsapparat. Kritiker werfen ihm Machthunger vor. Doch die Muslimbrüder weisen dies entschieden zurück.

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Polizisten stehen auf der Straße (Foto: Matthias Sailer)
Bild: DW/M.Sailer

60 Jahre lang bestimmte die Armee die Politik Ägyptens. Ein Präsident, der nicht aus dem Militär stammte, war unvorstellbar. Als es mit Mohammed Mursi dann noch ein Muslimbruder wurde, trauten viele Ägypter Ihren Augen kaum. Über Jahrzehnte hinweg hatten die Militärherrscher die Mitglieder dieser islamistischen Organisation unterdrückt. Es überraschte daher auch nicht, dass der Militärrat, der das Land seit dem Sturz Mubaraks regierte, die Machtfülle des neugewählten Präsidenten massiv einschränkte. Mitte August schließlich schlug Mursi zurück. Zusammen mit jüngeren Mitgliedern des Militärrats versetzte er den bisherigen Vorsitzenden dieses Gremiums und viele andere Generäle in den Ruhestand. Der Einfluss des Militärs auf die Politik hat sich seither erheblich verringert.

Und Mursi nutzt seine neu gewonnene Handlungsfreiheit, um seine Macht weiter zu stabilisieren. Systematisch besetzt er inzwischen Schlüsselpositionen im Staatsapparat mit seinen Leuten. Obwohl einige, vor allem liberale Ägypter, Angst vor einem autoritären Muslimbruderstaat haben, wollen ihm die meisten eine Chance geben. So sieht es auch Doaa Mohamed, eine 24-jährige Aktivistin, die für eine im Bildungsbereich tätige Nichtregierungsorganisation  arbeitet: "Wenn wir Mubarak verjagen konnten, können wir das gleiche auch mit Mursi machen. Ich denke, er weiß, dass das ägyptische Volk keine Angst mehr hat wie früher. Deshalb glaube ich nicht, dass er so etwas vorhat. So dumm ist er nicht."

Eine junge Frau mit Kopftuch lächelt in die Kamera (Foto: Matthias Sailer)
Doaa Mohamed glaubt an die Wachsamkeit der ÄgypterBild: DW/M.Sailer

Angriff auf die Pressefreiheit?

Andere sind da jedoch weitaus skeptischer. Sie werfen ihm zum Beispiel vor, er würde die Pressefreiheit attackieren: nur wenige Tage nach dem Austausch der alten Militärführung ordnete die Justiz die Abschaltung des besonders anti-islamistischen Fernsehkanals Al-Farain an. Gleichzeitig wurde der Chefredakteur der Tageszeitung Al-Dustour wegen Beleidigung des Präsidenten inhaftiert.

Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich ein ausgewogeneres Bild. Kurz nach der Verhaftung des Redakteurs erließ Präsident Mursi ein Gesetz, das die Inhaftierung von beschuldigten Journalisten vor einem Gerichtsprozess verbietet. Der Redakteur wurde daraufhin umgehend freigelassen. Mursis Vizepräsident hat zudem ein neues Mediengesetz angekündigt. Es sieht eine neue unabhängige Medienaufsicht vor, die den bisher umfassenden Einfluss des Staatsapparates zurückdrängen soll. Die Zeitung Al-Dustour und auch der Sender Al-Farain sind außerdem keine Unbekannten. Seit Monaten führten sie systematische Lügen- und Beleidigungskampagnen vor allem gegen die Muslimbruderschaft. Hany Al-Deeb, Leiter der Muslimbruderschaft im Ausland, warnt daher vor absoluter Freiheit in der Berichterstattung: "Was bedeutet Pressefreiheit? Wenn morgen jemand David Cameron angreift und sagt "Deine Frau ist eine Prostituierte!" -wird er dafür zur Verantwortung gezogen oder etwa nicht? Aber es ist etwas anderes, Kritik zu üben. Man kann kritisieren, das ist in Ordnung."

Muslimbrüder weisen Kritik zurück

Auch das Beraterteam des Präsidenten und die Chefredaktionen der Staatsmedien besetzte Mursi überwiegend mit ihm gewogenem Personal. Hany El-Deeb weist Kritik daran jedoch scharf zurück: "Nennen Sie mir ein Land auf dieser Welt, in dem eine Partei die Mehrheit im Parlament gewonnen hat und wo der Präsident der Vorsitzende seiner Partei ist, in dem diesen gesagt wird "Eure Leute dürfen nicht die Regierung und das Präsidententeam bilden!" Das ist nirgendwo so."

Mursi macht es seinen Kritikern nicht einfach. So sind unter den zehn neu ernannten Provinzgouverneuren zum Beispiel nur vier Mitglieder der Muslimbruderschaft. Drei Gouverneure stammen aus Militär und Polizei. Machthunger kann man den Muslimbrüdern hier also nur schwer vorwerfen. Besonders klug ist auch die Ernennung eines Militärs als Gouverneur für die instabile Sinai-Provinz: sollte es dort wieder zu Anschlägen militanter Islamisten kommen, sind Mursi und die Muslimbruderschaft zunächst aus der Schusslinie.

Das Innenministerium als größte Herausforderung

Auf den größten Widerstand stoßen die Muslimbrüder und ihr politischer Arm, die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, jedoch innerhalb des Staatsapparates. Insbesondere die berüchtigten Sicherheitsdienste Mubaraks wehren sich gegen Reformversuche. Abdel Moati Ibrahim Zaki, Leiter der Parteizentrale der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei des Distrikts Giza, sieht das Innenministerium denn auch als eine der größten Herausforderungen: "Wir müssen das Innenministerium neu ausrichten. Das ist eine enorme Aufgabe. Die hohen Beamten werden wir Schritt für Schritt entfernen. Wir kennen ihre Namen, aber wir können sie nicht alle auf einmal ersetzen, sonst bricht alles zusammen."

Porträt von Abdel Moati Zaki Ibrahim (Foto: Matthias Sailer)
Abdel Moati Zaki Ibrahim will das Innenministerium neu ausrichtenBild: DW/M.Sailer

Bisher verläuft Mursis Machtausbau recht erfolgreich. Das liegt vor allem daran, dass er es geschafft hat, weder die Bevölkerung noch das Militär durch seine Vorgehensweise allzu sehr zu verärgern. Der beste Gradmesser dafür ist die Straße: Demonstrationen gegen Mursi bleiben klein und erreichen selten mehr als einige hundert Teilnehmer.