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Verschleppte Verantwortung

Andreas Zumach 26. August 2012

Vor sieben Jahren wurde ein Arbeiterführer in Kolumbien ermordet. Menschenrechtler stellten Strafantrag: Nestlé trage eine Mitschuld. Doch die Schweizer Justiz verschleppt die Anklage.

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Das Logo des Konzerns Nestle (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Vor mehr als drei Monaten haben das European Center für Constitutional and Human Rights (ECCHR) und die kolumbianische Lebensmittel-Gewerkschaft SINALTRAINAL bei der Schweizer Staatsanwaltschaft in Zug Strafanzeige gegen die Nestlé AG und fünf führende Direktoren des Konzerns eingereicht. Ihnen wird vorgeworfen, für die Ermordung Luciano Romeros im Jahr 2005 wegen Unterlassens von Schutzmaßnahmen mitverantwortlich zu sein. Doch bislang sind keine Ermittlungen zum Tathergang eingeleitet worden.

Die Anzeige ist offenbar für die Staatsanwaltschaft ein heißes Eisen. Mit einer Anklage würde sie einen Präzedenzfall schaffen: Es wäre das erste Mal, dass ein Schweizer Unternehmen für im Ausland begangenes Unrecht in der Schweiz haftbar gemacht würde. Außerdem: Mit weltweit 328.000 Mitarbeitern in mehr als 150 Ländern, einem Umsatz mehr als 70 Milliarden Euro im vergangenen Jahr und einem Reingewinn von acht Milliarden Euro ist Nestlé nicht nur der größte Nahrungsmittelkonzern und eines der in höchstem Maße multinational aufgestellten Unternehmen der Welt, sondern auch der größte Steuerzahler in der Schweiz.

Bedrohte Gewerkschafter

In Kolumbien ist Nestlé seit 1944 tätig und entwickelt sich zu einem der großen Milchaufkäufer. Am Standort Valledupar ist die Fabrik "Cicolac", eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des Nestlé-Konzerns, Hauptabnehmer für die Milch und einer der wichtigsten Wirtschaftsakteure der Region. Hier arbeitete Luciano Romero in den 1990er Jahren. Er ist einer von 191 Beschäftigten, als Nestlé ein Joint Venture mit einem anderen Unternehmen plant. Er engagiert sich gegen diese Pläne. "Romero wurde zu einem der wichtigsten Gewerkschafter der Region und wegen seines Engagements immer wieder von lokalen Paramilitärs mit dem Tod bedroht", berichtet die Juristin Claudia Müller-Hoff, die beim Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte in Berlin (ECCHR) für den Fall zuständig ist. Aufhalten kann er das Vorhaben von Nestlé jedoch nicht: "In diesem Restrukturierungsprozess", berichtet Michel Egger von "Alliance Sud", die gemeinsame entwicklungspolitische Organisation von sechs großen Schweizer Hilfswerken, "haben sie allen Beschäftigten gekündigt und neue Leute mit neuen Verträgen eingestellt. Mit schlechteren Verträgen."

Demonstranten in Kolumbien mit einem Banner auf dem steht, sie haben die genug von Präsident Uribe
Kolumbianer protestieren gegen angebliche Verbindungen zwischen ihrem Präsidenten und ParamilitärsBild: MOVICE

Ermittlungen auch in Kolumbien

Wegen der massiven Drohungen musste der Gewerkschafter im Rahmen eines Schutzprogramms zeitweise ins spanische Exil fliehen. Nach dem Ende des Programms geht Romero 2005 nach Kolumbien zurück und reicht Klage gegen seine Entlassung ein. "Gleichzeitig hat er sich auch vorbereitet auf eine Zeugenaussage vor einer öffentlichen Veranstaltung in der Schweiz über die Arbeitsbedingungen in Nestles kolumbianischem Tochterunternehmen", berichtet die Menschenrechtsaktivistin Müller-Hoff. Dazu kommt es jedoch nicht mehr. Kurz vor der Veranstaltung wird Romero von Mitgliedern einer paramilitärischen Todesschwadron entführt und grausam zu Tode gefoltert.

Porträt der Menschenrechtsaktivistin Claudia Müller-Hoff (Foto: ECCHR Berlin)
Claudia Müller-Hoff vom ECCHR: Konzern trägt MitschuldBild: Nihad Nino Pusija

Die Paramilitärs werden gefasst und von einem kolumbianischen Gericht verurteilt. Sie könnten unmöglich aus eigenem Antrieb gehandelt haben, stellt der Richter in seinem Urteil fest. Und er trägt der Staatsanwaltschaft auf, "gegen führende Manager von Nestlé-Cicolac zu ermitteln, um ihre wahrscheinliche Beteiligung und/oder Planung und Finanzierung des Mordes am Gewerkschaftsführer Luciano Enrique Romero Molina aufzuklären". Doch diese Ermittlungen hat die kolumbianische Staatsanwaltschaft bis heute verschleppt.

Konfliktland Kolumbien

Kolumbien ist "einer der weltweit gefährlichsten Staaten für gewerkschaftliche Aktivitäten“, stellte der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) in einem 2010 veröffentlichten Bericht fest. 60 Prozent aller weltweiten Morde an organisierten Arbeitern seien seit 2000 in Kolumbien verübt worden. Die meisten sind bis heute nicht aufgeklärt. Auch SINATRAINAL hat seit 1986 mehr als zwanzig ihrer Mitglieder durch Mord verloren. Dreizehn von ihnen arbeiteten, wie Romero, vorher in einer Nestlé-Fabrik.

Die Entwicklunghilfesorganisation "Alliance Sud" initiiert nach der Ermordung Romeros einen Dialog-Prozess mit dem Nestlé Konzern über die Konflikte, reist nach Kolumbien und spricht auch mit Beteiligten in Valledupar. Das Fazit fasst Michel Egger so zusammen: "Die Unternehmenskultur, das haben wir sehr kritisiert, ist sehr technokratisch und sehr profitorientiert." Mangelnde Konfliktsensibilität - auch im Umgang mit der für die Gewerkschaft traumatischen Vergangenheit - bescheinigt die Organisation dem Unternehmen in seinem Abschlußbericht.

Nach Überzeugung des ECCHR tragen der Nestlé-Konzern und seine Manager erhebliche Mitverantwortung für den Tod Romeros. "Denn" - so Juristin Müller-Hoff - "obwohl sie über die ständigen Drohungen gegen das Leben des CICOLAC-Mitarbeiters bestens informiert waren, haben sie es unterlassen, irgendwelche Schutzmaßnahmen zu ergreifen."

Nestlé weist bislang alle Vorwürfe einer Mitverantwortung kategorisch zurück. Die Vorwürfe zu den Vorgängen bis 2005 passen offenkundig nicht zu der Position, die der Konzern inzwischen öffentlich eingenommen hat. So wird in Nestlés Nachhaltigkeitsreport 2008 darauf hingewiesen: Jeder Mitarbeiter solle Gelegenheit haben, "sein Potenzial an einem sicheren und fairen Arbeitsplatz zu entwickeln, an dem er gehört, respektiert und geschätzt wird". Die Sicherheit der Mitarbeiter sei "nicht verhandelbar". Und in einer Firmenbroschüre aus dem Jahr 2006 heißt es, "gerade im Bürgerkriegsland Kolumbien haben wir nach Konsultationen sowohl mit den Behörden als auch mit den Gewerkschaften große Anstrengungen unternommen, unsere Gewerkschaftsführer, Arbeiter und Manager zu schützen".

Porträt des Nestle-Konzernleiters Peter Brabeck-Letmathe (Foto: dpa)
Peter Brabeck leitet den Nestlé-KonzernBild: picture-alliance/dpa

Verzögerung durch Zuständigkeitsfragen

Die Anzeige gegen Nestlé wird auch von der kirchlichen Hilfsorganisation Misereor in Deutschland unterstützt. "Vielfach sind es gerade die Eliten eines Landes, die profitieren, wenn Unternehmen die Menschenrechte nicht achten, oder Menschenrechtsverletzungen dulden", sagt der Lateinamerika Experte von Misereor, Hein Brötz, zum Fall Romero.

Grundlage für eine Anklage von Nestlé in der Schweiz ist Artikel 102 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs. Nach diesem Artikel, der 2003 in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde, kann ein Unternehmen strafrechtlich verurteilt werden, wenn ein Verbrechen innerhalb eines Unternehmens wegen mangelhafter Organisation keiner bestimmten natürlichen Person zugerechnet werden kann. Allerdings ist diese Regelung seither kaum angewendet gekommen. Geht es nach der Staatsanwaltschaft in Zug, soll das wohl auch so bleiben.

Wie viele andere Unternehmen hat auch Nestlé seinen Steuersitz in Zug, weil hier der geringste Steuersatz aller Schweizer Kantone gilt. Doch Nestlés Konzernzentrale ist in Vevey am Genfer See, im Kanton Waadt. An diese Justiz wollte die Zuger Staatsanwaltschaft das Verfahren im Juni gerne abschieben. Dagegen wurde Beschwerde eingelegt. Das ECCHR hofft dennoch, dass das Beschwerdegericht die Zuständigkeitsfrage nun beschleunigt entscheiden wird, damit die Staatsanwaltschaft ihre inhaltlichen Ermittlungen beginnen kann. Nur so könnten bald erste Ergebnisse vorliegen.