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Scheinehen in Brasilien

Solveig Flörke30. August 2012

Die Zahl der Scheinehen in Brasilien steigt. Vor allem Europäer zahlen für die Heirat. So können sie einfacher an eine Arbeitsgenehmigung in Brasilien kommen - oft für wenig Geld.

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Eheringe (Foto: Fotolia)
Bild: Fotolia/Paul Posthouwer

Noch bis vor wenigen Jahrzehnten galt Brasilien als Entwicklungsland. Mittlerweile bietet es sogar den Industrienationen in Europa Hilfe bei der Bewältigung der Schuldenkrise an. In der EU liegt die Arbeitslosenquote bei über 10 Prozent - in Spanien sogar bei knapp 25 Prozent. Deutlich besser sieht es in Brasilien mit einer Arbeitslosenquote von weniger als 6 Prozent aus.

Für viele Europäer ein Grund, ihr Glück in Südamerika zu versuchen. Doch auf normalem Wege eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung für Brasilien zu bekommen, ist äußerst mühsam. Zu dicht ist der Dschungel der brasilianischen Bürokratie. Immer mehr Ausländer wählen daher einen vergleichsweise einfachen Weg: Sie heiraten. Immer öfter bezahlen sie einen Brasilianer oder eine Brasilianerin dafür.

Mehr Visumsanträge wegen Heirat

"Die große Bürokratie in unserem Land verhindert zwar, dass man schnell an sein Ziel kommt, aber deswegen jemand Fremden zu heiraten, ist eine Dummheit. Das bringt nur Probleme", sagt Fabio Mortari, Mitglied der Handelskammer von São Paulo. Besser sei es, sich bereits vor Einreise nach Brasilien um eine Arbeit zu bemühen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan, denn in Brasilien gilt: Ohne Arbeit keine Aufenthaltsgenehmigung und ohne Aufenthaltsgenehmigung keine Arbeit. Viele lösen das Problem anderweitig und heiraten.

Die Visa-Anträge aufgrund von Heirat mit einem brasilianischen Staatsbürger sind während der europäischen Schuldenkrise von 2009 bis 2010 um 95 Prozent angestiegen. Laut brasilianischem Justizministerium gab es mehr als 6300 dieser Anträge. 2011 waren es knapp 3500, was dem Niveau von 2009 entspricht. Aufzeichnungen über Anträge vor 2009 liegen dem brasilianischen Justizministerium nach eigenen Angaben nicht vor. Den Auswanderungstrend nach Brasilien belegen aber auch Angaben des Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (IBGE). Demnach leben aktuell 268.000 Ausländer in Brasilien, die noch fünf Jahre zuvor im Ausland gelebt hatten. 2000 waren es nur 143.000, die noch fünf Jahre zuvor im Ausland ansässig waren.

Brasilianische Real-Scheine (Foto: dpa)
Geld für Ehe - Möglichkeiten bieten sich schon für 3000 brasilianische Reais (rund 1200 Euro)Bild: picture-alliance/dpa

5000 Euro für Ehe

Auch Ana, eine 29-jährige Brasilianerin, die seit elf Jahren in Portugal lebt, hat einen ungewöhnlichen Antrag bekommen. Ein entfernter Bekannter bot ihr 5000 Euro, damit sie ihn heiratet. Der 38-jährige Portugiese betreibt eine kleine Baufirma, erhält in Portugal aber kaum noch Aufträge. "Die Lebenshaltungskosten werden auch immer höher und alles, was er wollte, war nach Brasilien auszuwandern", sagt Ana im Gespräch mit der DW. "Um dort arbeiten und eine Baufirma betreiben zu können, braucht er aber alle nötigen Papiere. Die hätte er durch eine Heirat mit mir sehr viel einfacher bekommen."

Zunächst war die junge Brasilianerin geschockt vom Angebot ihres Bekannten. "Dann habe ich überlegt, allerdings hätte ich nur zugestimmt, wenn die Summe wirklich so hoch gewesen wäre, dass sie mein Leben verändert hätte." 5000 Euro selbst für eine zeitlich begrenzte Ehe - das war ihr zu wenig. Ende des Jahres wird sie alleine nach Brasilien zurückkehren, und in São Paulo hat sie auch schon eine Arbeitsstelle.

Innerhalb einer Generation haben sich die Verhältnisse komplett verändert. Noch Ende der 90er Jahre sind Anas Eltern aufgrund der damals besseren Arbeitsmöglichkeiten von Brasilien nach Portugal ausgewandert. Viele Südamerikaner haben damals bis zu 10.000 Euro gezahlt, um einen Europäer heiraten zu können. Jetzt ist es umgekehrt.

Im Bau befindliches Stadion (Foto: AP)
Stadionbau in Brasília: Einige Europäer setzen ihre Hoffnung in die brasilianische WirtschaftBild: AP

Reinigungskraft zur Frau genommen

Die spanische Zeitung "El País" berichtete über einen weiteren Fall. Der spanische Publizist Luís, der zuletzt in Berlin wohnte, hatte Europa verlassen, um in São Paulo zu leben. Nach nur drei Monaten - länger geht ein Touristenvisum nicht - hatte sich der 36-Jährige verlobt. Seine Auserwählte: eine gleichaltrige Brasilianerin, die als Reinigungskraft arbeitet. Ihr zahlte er umgerechnet 1200 Euro für ihr Einverständnis. Nach weiteren zwei Monaten waren die beiden verheiratet. Wenn im Jahr nach der Hochzeit keine Zweifel an der Eheschließung aufkommen, dann kann Luís die brasilianische Staatsbürgerschaft beantragen.

Zweifelhafte Fälle überprüft die brasilianische Bundespolizei Polícia Federal. Ein Beamter steht in regelmäßigen Abständen vor der Tür - auch bei Leuten, die aus Liebe heiraten. Die Krankenschwester Renata Cerqueira Santos kennt die Besuche nur zu gut. Wie die Tageszeitung "Folha de São Paulo" berichtete, bekommen auch sie und ihr bolivianischer Mann die Auswirkungen der steigenden Zahl an Scheinehen zu spüren. Der Polizeibeamte möchte wissen, wie die Beziehung laufe, wie das Verhältnis des Ehemannes zu seiner Schwiegermutter sei, wie man sich kennengelernt habe und ob man viel streite.

Trotz der Kontrollen ist der Umgang mit dem Thema Scheinehen auffallend ungezwungen. In diversen Internetforen bieten Ausländer und Brasilianer ihre Bereitschaft zu heiraten öffentlich an - oft gegen Bezahlung.