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Gehen oder bleiben: Kirchenaustritte

Thomas Klatt29. August 2012

Bei der katholischen Kirche treten mehr Mitglieder aus als neue ein. Es sterben auch mehr Katholiken, als neue getauft werden. Was spricht für und was gegen eine Mitgliedschaft? Zwei Gläubige, zwei Meinungen.

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Innenraum der Kirche St. Gertrud in Köln (Foto: cc/by/sa/Elya)
Bild: cc/by/sa/Elya

Philipp Roth hat es gereicht. Nach 23 Jahren. Raus aus der Kirche, hieß es für ihn. Zu Ostern hat der Student aus Mainz schließlich seinen Austritt aus der römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft erklärt.

"Das hat ganz viele Gründe", erklärt Philipp Roth. Einer der wichtigsten ist für ihn, dass er gar nicht an Gott glaubt: "Ich glaube nicht, dass ein göttliches Wesen irgendwie existiert. Dann kommt noch dazu, dass die katholische Kirche einen sehr negativen Effekt auf die Aids-Krise in Afrika hat, dass Homosexuelle diskriminiert werden, dass eine Diskriminierung von Frauen stattfindet, dass man pädophile Priester systematisch versteckt." Dies alles habe ihn schließlich zum Austritt bewegt.

Enttäuscht vom System Kirche

Die Skepsis gegenüber der Kirche sitzt bei Philipp Roth aber noch viel tiefer. Schon als Kind sei er manipuliert und indoktriniert worden, sagt er. Das sei ihm allerdings erst klar geworden, als er älter war. Er hält es für ein Verbrechen, wie Grundschulkinder im Kommunionunterricht zu "gehorsamen Kirchenschafen" erzogen werden sollen: Man mache ihnen Angst und suggeriere, dass man nur durch die kirchliche Beichte von seinen Sünden freigesprochen werde: "Du bist irgendwie schlecht, da musst Du was gegen machen und wir als Kirche sind diejenigen, die Dir helfen. Ohne uns musst Du Dich vor irgendwas fürchten. Das ist die Angst, die einem gemacht wird."

Dabei habe sich während seiner ganzen Kinder- und Jugendzeit nie ein Priester seinen aufkommenden Fragen gestellt. Nur der Religionslehrer in der Schule habe die Sorgen und Nöte der Schüler mit dem katholischen Dogma ernst genommen. Doch auch dort hätten die Diskussionen schnell ihre Grenzen erreicht, denn letztlich diene der konfessionelle Unterricht dazu, die jungen Menschen an die katholische Kirche zu binden. Daher plädiert Roth für einen rein ethisch-religionswissenschaftlichen Unterricht, damit die Schüler nicht in eine konfessionelle Ecke gedrängt würden, sondern sich ein eigenes Urteil über ihren eigenen Glauben und den der anderen bilden können.

Philipp Roth aus Mainz (Foto: Thomas Klatt)
Philipp RothBild: Thomas Klatt

Religion als Parasit

Natürlich sei an der Kirche aber auch nicht alles schlecht, sagt Philipp Roth. Er kennt selbst auch die positiven Aspekte einer Gemeinde, das Gemeinschaftsgefühl, ihr soziales Engagement. Das könne aber auch außerhalb der Kirche stattfinden, etwa in Vereinen. Dennoch findet er es faszinierend, dass die Kirche es geschafft hat, eine Gemeinschaft aufzubauen und es dadurch vielen Menschen einfacher macht, einen Halt zu finden. "Zum Beispiel wenn ich in eine neue Stadt komme, gehe ich in die Kirche. Dort habe ich eine existierende Struktur, ich werde willkommen geheißen. Nur weil die Kirche das gut macht, heißt es aber noch nicht, dass ich drin bleiben muss."

Infografik Katholische Kirche: Austritte und Eintritte (DW-Grafik: Per Sander)
Kirchenaustritte und -eintritte von 1990 bis 2010

Roth ist sich sicher, dass er gerade auch außerhalb der Kirche humanistische Werte besser verwirklichen kann, weil dort keine Scheinheiligkeit herrsche. "Solidarität ist eine menschliche Qualität, die uns allen inne wohnt, auf die sich die Religion wie ein kleiner Parasit drauf gesetzt hat", sagt er.

Laien arbeiten an Veränderungen

Genau dieses Gutsein in der katholischen Gemeinschaft ist es aber, was für den 64 Jahre alten Adalbert Duhr unverzichtbar ist. Er lebt in Nieder-Olm, einem kleinen Städtchen zehn Kilometer südlich von Mainz, mitten im überwiegend katholischen Bundesland Rheinland-Pfalz. Seit seine Kinder aus dem Haus sind, engagiert sich Adalbert Duhr besonders stark in seiner Kirche. Über 40 Gemeindegruppen, von der Katholischen Landjugendbewegung über Seniorenkreise bis hin zur Tafel für bedürftige Mitbürger, zeugen von einem lebendigen Gemeindeleben. Er fühle sich nicht als das katholische Schäfchen, das nur zu gehorchen habe, sagt er. Und so sehen es viele in seiner Gemeinde. So gibt es dort eine starke Laienbewegung, nicht nur im sozialen, sondern auch im liturgischen Bereich.

"In Nieder-Olm gibt es verschiedene Gottesdienst-Formen, wo Laien, ich auch, in der Advents- oder Osterzeit Andachten gestalten. Das ist eine ökumenische Veranstaltung, bei der die evangelische Kirche und wir zusammenarbeiten. Es ist aber kein Priester dabei, natürlich findet dann auch keine Eucharistie (heiliges Abendmahl, d. Red.) statt."

Adalbert Duhr (Foto: Thomas Klatt)
Adalbert DuhrBild: Thomas Klatt

Engagieren statt resignieren

Allerdings ärgere es ihn schon, dass die offizielle katholische Kirche in ihrer Reformbereitschaft ganz offensichtlich den Rückwärtsgang eingelegt hat. Frauenpriestertum, Eucharistie für geschiedene oder evangelisch-katholische Ehepaare, Aufhebung des Zölibats - all dies wünschten sich die Laien in der Kirche, aber es werde von den Bischöfen einfach nicht umgesetzt.

"An der Basis grummelt es gewaltig", sagt Adalbert Duhr. Daher gebe die katholische Kirche im Grunde kein einheitliches Bild ab. "Da gibt es einerseits die dogmatisch-reine Lehre des Vatikans, in den Gemeinden vor Ort aber handelt man bereits wesentlich pragmatischer und ökumenischer, als man sich dies in der hohen Kurie vorstellen will." Daher resigniert Duhr auch nicht, sondern setzt auf die Politik der kleinen Schritte in Richtung einer liberaleren Kirche.

"Die könnte auf jeden Fall demokratischer organisiert sein. Die Hoffnung bleibt. Aber ich denke, man muss in der Kirche drin sein und bleiben, um etwas bewegen zu können." Gerne würde Duhr auch mit Ausgetretenen wie dem Ex-Katholiken Philipp Roth ins Gespräch kommen. Am schlimmsten sei es, wenn die Kirche ihre Kritiker ignoriere, sagt er. In Nieder-Olm jedenfalls will man nicht abwarten, bis die Kirchengemeinde zusammengeschrumpft ist. Schon jetzt will man Gegenstrategien entwickeln. "Wir wollen diejenigen anschreiben, die ausgetreten sind, um zu erfahren, warum, welche Gründe dahinter stecken. Wir haben da einen kleinen Fragebogen zu entwickelt. Einfach damit man mal weiß, was dahinter steckt."