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So wurden DDR-Häftlinge freigekauft

7. August 2012

Zwischen 1963 und 1989 kaufte die Bundesrepublik tausende Häftlinge aus DDR-Gefängnissen frei. Beiden Seiten wahrten so gut es ging Stillschweigen. Nun schildert eine Berliner Ausstellung, wie der Deal ablief.

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Stacheldraht liegt im sächsischen Bautzen auf der Mauer vor der Kirche der Justizvollzugsanstalt (Foto: dpa)
Justizvollzugsanstalt in BautzenBild: picture-alliance/dpa

Humanitärer Akt oder politisch dubioser Menschenhandel? Viele Jahre war der Freikauf von 33.755 politischen DDR-Häftlingen durch die Bundesrepublik Deutschland sehr umstritten. Die DDR hatte kein Interesse an einer Berichterstattung, der Westen aber ebenso wenig. Die bundesdeutschen Behörden wollten ihre Freikäufe nicht gefährden, fürchteten aber auch, wegen Menschenhandels an den Pranger gestellt zu werden. Jetzt widmet sich in Berlin eine Ausstellung dem Thema, das selbst Historiker bisher weitgehend unbeachtet ließen. Seit Dienstagabend ist die Schau "Freigekauft – Wege aus der DDR-Haft" in der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde eröffnet.

Von den Transaktionen profitierten Menschen, die das SED-Regime meist wegen Fluchtversuchen, Fluchthilfe oder Widerstandshandlungen verfolgte und in Gefängnisse (siehe Artikelbild: Haftanstalt Bautzen) warf. Im Gegenzug erhielt die DDR Warenlieferungen im Wert von mehr als drei Milliarden DM. Solange die DDR für Westdeutschland nur die "Zone" war, musste der Anschein vermieden werden, dass mit diesem Geschäft eine staatliche Anerkennung verbunden sei. Deshalb griff die Bundesregierung gerne auf die Vermittlerdienste der beiden großen Kirchen zurück, über die der Handel abgewickelt wurde. Auch die freigekauften Häftlinge wurden sofort nach Einreise in die Bundesrepublik aufgefordert, in ihrer neuen Heimat nichts über die Umstände ihrer Freilassung zu erzählen. Fast jeder dritte politische DDR-Häftling erlangte so die ersehnte Freiheit.

Blick auf den Eingangsbereich der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde (Foto: Erinnerungsstätte Marienfelde) Pressedownload: http://www.notaufnahmelager-berlin.de/de/pressebilder-37,38,3.html © ENM – Andreas Tauber
Hier wird die Ausstellung gezeigt - die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager MarienfeldeBild: ENM – Andreas Tauber

Viele Zeitzeugen befragt

Die Mitarbeiter der Erinnerungsstätte haben eingehend recherchiert und zahlreiche Zeitzeugen interviewt. Im Vordergrund der Ausstellung stehen die Biografien von sechs Betroffenen, unter ihnen mit Dietrich Gerloff einer der ersten acht Häftlinge, die freigekauft wurden. Im Jahr 1961 begleitete der 25-Jährige eine kirchliche Jugendgruppe aus Ost-Berlin bei einer Ostseefahrt. Weil die jungen Leute dem Kapitän aus Spaß einen Zettel zukommen ließen, auf dem sie um Weiterfahrt in Richtung der dänischen Insel Bornholm baten, wurde Gerloff verhaftet. Acht Jahre Zuchthaus lautete das Urteil. 1963, nach über zwei Jahren Haft, wurde er freigekauft und zunächst in den Osten entlassen. Von seinem Freikauf erfuhr er erst nach dem Mauerfall 1989.

Die Schau beschreibt nicht nur die harten Haftbedingungen und den Ablauf des Freikaufs, sondern auch die Ankunftsbedingungen im Westen und den Aufbruch in ein neues Leben. Neben Filminterviews mit Ex- Häftlingen veranschaulichen Dokumente und Fotografien die Erfahrungen und Interessen der Beteiligten, aber auch die politische Dimension des Handels angesichts der deutschen Teilung und des Ost-West-Konflikts.

Alle zwei Wochen war es soweit

Fast 30 Jahre lang starteten unter größter Geheimhaltung jeden zweiten Mittwoch zunächst zwei und später sogar drei Reisebusse von der Stasi-Haftanstalt im damaligen Karl-Marx-Stadt. Ihr Ziel: Das hessische Gießen. Bis zur innerdeutschen Grenze fuhren sie mit DDR-Kennzeichen. Am Autobahnkontrollpunkt Wartha-Herleshausen wurden die Nummernschilder umgeklappt. In den Bussen saßen jeweils mehrere Dutzend politische DDR-Häftlinge.

Ein wichtiger Teil der Ausstellung ist den politischen Akteuren gewidmet, wie dem Ministerialbeamten Ludwig A. Rehlinger aus dem Bundesministerium für Gesamtdeutschen Fragen sowie den beiden Anwälten Wolfgang Vogel auf DDR-Seite und Jürgen Stange für den Westen. Erstmals werden Ausschnitte aus ihrer Korrespondenz als Tondokument eingesprochen zu hören sein.

Er war bei vielen Freikäufen involviert: DDR-Unterhändler Wolfgang Vogel (Foto: dpa)
Er war bei vielen Freikäufen involviert: DDR-Unterhändler Wolfgang VogelBild: picture-alliance/dpa

"Die Suche nach Exponaten war nicht ganz einfach. Schließlich wurde der Freikauf weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzogen. Aber wir haben viele interessante Exponate von Zeitzeugen gefunden, die einen sehr persönlichen Blick auf dieses wichtige Kapitel deutsch-deutscher Zeitgeschichte werfen", erläutert Lucia Halder, die Kuratorin der Ausstellung, die bis 31. März 2012 zu sehen ist.

kle/rb (epd, www.notaufnahmelager-berlin.de)