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Beschneidungsurteil

Michael Gessat27. Juni 2012

Das Kölner Landgericht stellt die Beschneidung von Knaben unter Strafe und sorgt für Aufregung bei Muslimen und Juden. Der juristische Streit ist noch lange nicht entschieden - dabei wäre Eile geboten.

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Chirugische Instrumente für Beschneidungszeremonie (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Beschneidung von Knaben ist ein uralter ritueller oder religiöser Brauch – im Judentum hat der Eingriff am achten Tag nach der Geburt stattzufinden und besiegelt den "Bund mit Gott". Auch für Moslems ist die Beschneidung religiöse Pflicht, sie wird entweder bei Babys durchgeführt oder später im Kindesalter – oft im Rahmen einer großen Familienfeier.

Das Landgericht Köln sieht in der Entfernung der Penisvorhaut von kleinen Jungen aber zuallererst etwas ganz weltliches: eine Körperverletzung nämlich, und damit einen strafbaren Verstoß gegen deutsche Gesetze. Einen angeklagten Arzt hatten die Richter zwar am Dienstag (26.06.2012) freigesprochen - aber nur, weil die juristische Lage bislang ungeklärt war.

Türkischer Junge (Foto: AP)
Festliches Ereignis - ein türkischer Junge feiert seine BeschneidungBild: AP

Abwägung von Rechten

Religionsfreiheit und das Recht der Religionsausübung werden in Deutschland von der Verfassung garantiert. Sie stehen aber nicht über dem Gesetz, sondern finden ihre Grenzen dort, wo andere Rechte von erheblicher Bedeutung beeinträchtigt werden. Ein solches äußerst wichtiges Grundrecht ist das "Recht auf körperliche Unversehrtheit" - die wird bei einer Beschneidung zweifellos verletzt. Ein Erwachsener kann dem problemlos freiwillig zustimmen, nicht aber ein Säugling. Die große Frage ist also, ob der religiös motivierte Wunsch und die Einwilligung der Eltern im Rahmen ihres Erziehungsrechts eine Beschneidung rechtmäßig machen.

"Nein", findet Professor Holm Putzke von der Universität Passau – er hatte 2008 mit einem Fachaufsatz die juristische Diskussion über Beschneidungen in Deutschland ausgelöst. Für den Rechtswissenschaftler ist das Argument, die symbolische Aufnahme in die religiöse Gemeinschaft durch den Eingriff entspreche dem "Wohl des Kindes", letztlich nicht überzeugend. Er und andere Kritiker der Knabenbeschneidung verweisen darauf, dass sich auch uralte religiöse und kulturelle Traditionen an modernem Rechtsverständnis messen lassen müssten. Eine Lösung wäre etwa, die Entscheidung über die Beschneidung aufzuschieben, bis der Betroffene alt genug ist, selbst eine Wahl zu treffen. Für Putzke ist die Entscheidung des Landgerichts daher ein "wegweisendes und mutiges Urteil".

Erhebliche Verunsicherung

Dr. Bijan Fateh-Moghadam von der Universität Münster sieht die Sache juristisch ganz anders. Für ihn ist die Knabenbeschneidung "ein relativ leichter Eingriff mit geringfügigen Risiken und andererseits anerkannten medizinischen Vorteilen". Die Zustimmung der Eltern sei also kein Missbrauch des elterlichen Sorgerechts.

Der Rechtswissenschaftler Bijan Fateh-Moghadam in Münster (Foto: dpa)
Bijan Fateh-MoghadamBild: picture-alliance/dpa

Bei der Kölner Entscheidung war der angeklagte Arzt, der eine Beschneidung durchgeführt hatte, vom Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen worden. Er hatte, so das Gericht, angesichts der bislang ungeklärten juristischen Lage nicht davon ausgehen müssen, etwas Unrechtes zu tun. Nach der Entscheidung ist das nun anders, bedauert Fateh-Moghadam: "Ich denke, dass das Urteil des Landgerichts Köln zu erheblicher Verunsicherung führen wird, bei betroffenen Eltern und auch bei Ärzten in urologischen Praxen und Kliniken, die Beschneidungen anbieten."

Gang durch die Instanzen

Beendet sei die juristische Diskussion mit dem Urteil nämlich lange noch nicht – das bestätigt auch der Bonner Strafrechtler Professor Martin Böse. Ein höheres Gericht könne in einem anderen Fall auch wieder anders entscheiden. Für endgültige Klärung könnten deswegen nur der Bundesgerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht sorgen.

Von der Idee, die religiöse Beschneidung von Knaben mit einem speziellen Gesetz zu erlauben, hält Böse aber wenig. Im Moment plane man gerade bei der Beschneidung von Mädchen das Gegenteil, nämlich ein ausdrückliches Verbot: "Und wenn man jetzt eine Vorschrift schafft, die derartige religiöse Bräuche privilegiert und von den Strafvorschriften ausnimmt, wäre das ja eine Regelung, deren Folgen letztlich gar nicht absehbar wären." Die Beschneidung der Klitoris bei Mädchen ist in Deutschland strafbar und wird als schwere Körperverletzung gewertet.

Beschneidung im Ausland

Für Dr. Bijan Fateh-Moghadam ist ein spezielles Beschneidungs-Gesetz zwar theoretisch denkbar, aber weder sinnvoll noch erforderlich: "Vorzuziehen wäre es, wenn die Rechtslage durch höchstrichterliche Rechtsprechung, möglicherweise durch das Bundesverfassungsgericht geklärt würde. Dann könnte man auf ein solches sehr schwierig zu formulierendes Spezialgesetz verzichten." Beide Experten sind sich einig – möglicherweise landet die Sache auch noch vor dem Europäischen Gerichtshof. Der Streit um die Beschneidung könnte also noch Jahre dauern.

Dabei wäre Eile geboten: Auch nach der Kölner Entscheidung werden muslimische und jüdische Eltern in Deutschland ihre Söhne weiter beschneiden lassen. Die Eingriffe dürften nun aber verstärkt im Ausland oder im privaten Umfeld stattfinden, vermutet Fateh-Moghadam: "Ich glaube, dass durch das Urteil möglicherweise ein paradoxer Effekt eintreten wird: dass der Schutzstandard für die Gesundheit der betroffenen Kinder eher gesenkt als gesteigert wird."

Beschneidung eines Jungen in der Türkei (Foto: dpa)
Ausland statt Deutschland!?Bild: picture-alliance/dpa