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Nordkorea Überläufer

Sarah Berning27. Juni 2012

Kim Joo-il, ehemals Offizier in der nordkoreanischen Armee, berichtet im DW-Gespräch über die Strapazen seiner Flucht nach Großbritannien und die Rolle der Bildung in der Diktatur.

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Militärparade in Pjöngjang (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Kim Joo-il war Hauptmann in der Koreanischen Volksarmee, als er 2005 nach China floh. Inzwischen bekam er Asyl in Großbritannien und setzt sich von dort aus für die Menschenrechte in seiner Heimat ein.

DW: Wie muss man sich die Gehirnwäsche in Nordkorea vorstellen, über die Sie gerade beim Deutsche Welle Global Media Forum auf der Pressekonferenz der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) berichtet haben?

Kim Joo-il: Der standardmäßige Lehrplan in den Schulen Nordkoreas besteht zu 60 Prozent aus Gehirnwäsche über die nun schon seit drei Generationen währende Diktatur von Kim Il-sung über Kim Jong-il bis jetzt zu Kim Jong-un. Zwei Mal Woche finden Pogramme zur Gehirnwäsche statt, und einmal pro Woche beziehungsweise am Wochenende muss sich jeder Schüler einer Selbstkritik unterziehen, wenn er eine Auszeichnung im Rahmen dieses Gehirnwäsche-Programms erringen will.

Aber der Unterricht ist nur ein Aspekt des nordkoreanischen Bildungssystems. Noch wichtiger für das System ist das Leben innerhalb von Organisationen, das für die Schulkinder im Alter von neun Jahren beginnt. Das heißt, von diesem Zeitpunkt an leben die Kinder in Organisationen zusammen mit ihren Klassenkameraden beziehungsweise Genossen. Dort erhalten sie ihre Ausbildung und lernen Propagandainhalte, mit körperlichen und geistigen Methoden. Ein einfaches Beispiel für Gehirnwäsche in der nordkoreanischen Grundschule ist diese Rechenaufgabe: "Da waren zehn amerikanische Panzer. Die koreanische Volksarmee hat fünf von ihnen zerstört. Wie viele amerikanische Panzer blieben übrig?"

Kommen wir zu Ihrer militärischen Laufbahn. Sind Sie aus Patriotismus in die Armee eingetreten?

Nein. In Nordkorea muss jeder männliche Bürger zur Armee, sobald er 17 geworden ist. Der Dienst endet nach zehn bis 13 Jahren, normalerweise im Alter von 30 Jahren. Nur Soldaten aus angesehenen Familien beziehungsweise Soldaten, die außergewöhnliche Loyalität gegenüber der Armee bewiesen haben, werden für den Besuch der Offiziersschule ausgewählt und können befördert werden, so wie auch ich es wurde.

Kim Joo-il beim Global Media Forum der DW in Bonn (Foto: DW)
Kim Joo-il beim Global Media Forum der DW in BonnBild: DW

Was war der Wendepunkt, an dem Sie begannen, das System in Frage zu stellen?

Aufgrund der gravierenden Wirtschaftskrise zwischen 1997 und 2000 verhungerten bis zu drei Millionen Nordkoreaner. Auch die Armee blieb davon nicht verschont, viele Soldaten hatten zu wenig zu essen und desertierten, zwei Drittel von ihnen verhungerten. In meiner Kindheit und in der Schule hatte ich gelernt, dass Nordkorea eines der reichsten Länder sei. Da fragte ich mich: Wie können die Menschen in so einem reichen Land verhungern?

War es gefährlich, das System in Frage zu stellen? Womit mussten ideologische Abweichler rechnen?

Die größte Gefahr für das nordkoreanische Regime sind Leute, die das System in Frage stellen. Sie werden als der "Hauptfeind" bezeichnet, eine Kategorie, die normalerweise für Länder wie Südkorea, die USA und Japan reserviert ist. Wenn man Grundsatzfragen stellt und sie mit anderen diskutiert, gilt man als politischer Verbrecher. Als Soldat kann man dafür ohne Verfahren hingerichtet werden. Deshalb wäre es zu gefährlich gewesen, meine Familie an meinen Gedanken teilhaben zu lassen. Ich sagte ihnen auch nichts über meine Fluchtpläne. Das bedauere ich am meisten, dass ich meine Eltern nicht in meine Pläne einweihen und mich noch nicht einmal von ihnen verabschieden konnte.

Was war der konkrete Anlass für Ihren Entschluss zur Flucht? Und wie ist Ihnen die Flucht geglückt?

Zu Ihrer ersten Frage: In den ersten zehn Jahren ihrer Militärzeit haben die Soldaten in Nordkorea keinen Urlaub und erhalten auch keinen Besuch. Sie dürfen auch nicht außerhalb der Kaserne übernachten. Sie wissen nichts über die wirkliche Lage in ihrem Land. Ich wurde Offizier, als die Hungersnot am schlimmsten war. Viele Soldaten waren aus der Kaserne geflohen, meine Aufgabe war es, sie zu finden und festzunehmen. Dadurch konnte ich mir mit eigenen Augen ein Bild von der Situation in den Regionen und Provinzen machen. Mein Bild von der guten Gesellschaft Nordkoreas bekam Risse. 2005 fasste ich den Entschluss zur Flucht. Als Offizier stand mir eine Urlaubsreise zu. Als die Tochter meiner Schwester an Unterernährung gestorben war, setzte ich meinen Entschluss in die Tat um.

Zur zweiten Frage: Ich fuhr im August mit der Eisenbahn zum Fluss an der Grenze. In der ersten Nacht war Vollmond. Weil es also zu hell war, verschob ich den Zeitpunkt meiner Flucht. Die Grenzposten hätten mich leicht sehen können. Damit sie mich nicht hörten, zog ich meine Uniformjacke aus und legte sie vor jedem Schritt auf den nächsten Felsen oder Stein im Flussbett, um möglichst wenig Geräusch zu machen. So kam ich mit kleinen Schritten vorwärts, nach vier Stunden hatte ich den Fluss überquert. Ich hatte Glück, wäre ich erwischt worden, hätte man mich deportiert oder sofort erschossen.

Beim diesjährigen Global Media Forum steht die Bedeutung von Bildung im Vordergrund. Warum ist es wichtig für Sie, dass man Ihre Geschichte kennt und das nordkoreanische System kennt?

Die Diktatur in Nordkorea funktioniert nicht nur deshalb, weil das Land von der Außenwelt abgeschottet ist. Sie funktioniert auch wegen der Erziehung, die die Einwohner von Kindheit an mitbekommen. Beides, diese Erziehung und die Isolation, führen zu einer Erstarrung des Denkens. Damit werden Neugier und Kreativität abgetötet, neue Dinge zu sehen oder auszuprobieren. Ich glaube, dass das Bildungssystem die wichtigste Säule einer Diktatur ist. Jetzt sind die Menschen in Nordkorea wie Roboter. Wenn die Regierung einen Knopf drückt, gehorchen die Menschen und tun, was man ihnen sagt.