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Rassismus auf den Rängen

Ronny Blaschke27. Juni 2012

Mehrfach hatte es während der EM rassistische Rufe gegen schwarze Spieler gegeben. In der Ukraine ist Menschenfeindlichkeit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen – der Fußball zeigt sie wie unter einem Brennglas.

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Es ist dieser traurige Gesichtsausdruck, der einem nicht mehr aus dem Kopf gehen wird. Samba Chaudin Moudisir steht an einem Absperrgitter auf dem Majdan, dem Platz der Unabhängigkeit, und merkt, wie er von einem Ordner gemustert wird. Er kennt das Gefühl, wenn fremde Blicke seinen Körper empor kriechen, als wäre er unerwünscht. Samba Chaudin Moudisir wuchs in Brazzaville auf, in der Hauptstadt der Republik Kongo. Vor zwei Jahren ging er fürs Studium nach Kiew. "Jeden Tag wird uns das Gefühl gegeben, dass wir weniger wert sind als die Ukrainer", sagt der 18-Jährige. Er möchte die Fanzone betreten. Der Ordner schiebt die Brust raus, zögert, zieht seine Augenbrauen hoch – und lässt ihn passieren.

Politiker und Medien haben lange über Menschenrechte in der Ukraine diskutiert, vor allem über die von Julia Timoschenko. Was kaum im Fokus stand: Die Rechte von Menschen wie Samba Chaudin Moudisir. Laut einer Studie von Mridula Ghosh, einer Wissenschaftlerin des Osteuropäischen Instituts für Entwicklung in Kiew, glauben 59 Prozent der Einwanderer, sie hätten weniger Rechte als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft. 85 Prozent der Migranten haben selbst Diskriminierungen erlebt. "Die Gesellschaft ist wegen der Finanzkrise tief gespalten", sagt Ghosh, die aus Indien stammt. "Die Arbeitslosigkeit wächst, die Bevölkerung wird kleiner und älter. In dieser Stimmung ist es leicht, die Schuld auf Ausländer zu schieben." Ob die EM an diesem Klima etwas ändern wird? "Es wäre naiv, daran zu glauben."

Spitze des Eisbergs

Samba Chaudin Moudisir (Foto: DW/Ronny Blaschke)
Engagiert gegen rechts: Samba Chaudin MoudisiBild: Ronny Blaschke

Samba Chaudin Moudisir, Student Internationaler Beziehungen, hat von den rassistischen Schmähungen in polnischen EM-Stadien gehört, im Internet hat er die Dokumentation der BBC gesehen, in der Sol Campbell, ehemaliger Nationalspieler Englands, seinen Landsleuten von einer Reise zum Turnier abrät, doch überrascht hat ihn das nicht: "Das ist nur die sichtbare Spitze des Eisbergs", sagt er. "Man sollte eher fragen, wie die Gesellschaft so fremdenfeindlich geworden ist."

In den vergangenen sechs Jahren haben Nichtregierungs-Organisationen zwölf rassistisch motivierte Morde und 300 Übergriffe auf Migranten dokumentiert. Vermutlich sind diese Zahlen weit höher, doch die Opfer erstatten selten Anzeige, sagt Viacheslav Lihachev, Wissenschaftler aus dem Kongress der ethnischen Gruppen in Kiew. Bei den Parlamentswahlen im Herbst werde wohl zum ersten Mal in der unabhängigen Ukraine eine rechtsextreme Partei ins Parlament einziehen. "Doch noch gefährlicher ist der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft."

"Kein Asyl für Ausländer"

Lihachev spricht von der Allukrainischen Vereinigung Swoboda. Dreißig Ultra-Nationalisten hatten die Partei 1991 gegründet, inzwischen hat sie 15000 Mitglieder. Swoboda hetzt gegen Schwarze, Juden, Roma. 2010 entrollten Mitglieder Transparente in Stadien, darauf stand geschrieben: "Der ukrainische Fußball ist kein Asyl für Ausländer."

Ukrainische Nationalisten tragen Fahnen der Galychyna Division (Foto:Petro Zadorozhnyy/AP/dapd)
Ukrainische Nationalisten gedenken der Galychyna Division, einer SS-Einheit mit ukrainischen FreiwilligenBild: dapd

Gewalt hat Samba Chaudin Moudisir noch nicht erleiden müssen, er konnte rechtzeitig die Flucht ergreifen, vor Neonazis, vor angetrunkenen Jugendlichen. Doch vor dem unterschwelligen Rassismus kann er nicht flüchten: Wenn ihm Türsteher den Zutritt zur Disko verweigern, wenn ihm Kassiererinnen das Wechselgeld hinwerfen. Seine Eltern überweisen jährlich 3000 Dollar an die Universität, er würde gern arbeiten in seiner Freizeit – einen Job will ihm niemand geben.

Gefühlte Macht in der Kurve

Mitglieder der Partei Swoboda buhlen um das Fußballmilieu, um Hooligans. Sie wollen Jugendkulturen auf ihre Seite bringen, das gesellschaftliche Klima verändern. Swoboda hat bei jungen Männern Zulauf, die sich von der Orangen Revolution verraten fühlen. "In der Gruppe fühlen sie sich aufgewertet und mächtiger als in ihrem Arbeitsalltag", sagt Maxim Butkevich von der Initiative Ohne Grenzen. Butkevich hat die rechtsextreme Rekrutierung in Jugendgruppen erforscht. In den ukrainischen Stadien sind der Hitlergruß und das Hakenkreuz regelmäßig zu sehen, sind Urwaldgeräusche gegen schwarze Spieler regelmäßig zu hören. Fan-Gruppen nennen sich "Terror Familie", "Werwolf", "Avangarde Fight Club". Anhänger verteilen in den Kurven die gleichen Pamphlete wie auf Kundgebungen der Partei Swoboda. Immer wieder werden Zuschauer mit Migrationshintergrund angegriffen.

Die Vielfalt muss sichtbarer werden

Antirassismus-Turnier auf dem Majdan (Foto: DW/Ronny Blaschke)
Zeichen setzen: Antirassismus-Turnier auf dem MajdanBild: Ronny Blaschke

Samba Chaudin Moudisir springt auf dem Majdan über eine Holzbande, er schnürt seine weißen Sportschuhe, streift sich ein hellblaues T-Shirt über, verziert mit dem Schriftzug: "Fußball verbindet, Rassismus trennt". Die Wissenschaftlerin Mridula Ghosh und das Netzwerk Football Against Racism in Europe hatten Studierende aus 14 Ländern eingeladen, um gemeinsam auf dem Fanfest zu kicken. "Die Vielfalt der Gesellschaft muss sichtbarer werden", sagt Ghosh. Sie glaubt, dass die rechtsextreme Swoboda die EM nutzen will. Schon jetzt wettern Parteimitglieder gegen Kommerz und Multikulturalismus des Turniers, ihre Parole: Für Stadien werden Milliarden ausgegeben – die benachteiligten Ukrainer gehen leer aus.

Hunderte strömen am Mittag auf den Majdan. Samba Chaudin Moudisir verteilt in einer Spielpause Broschüren, die über Rassismus aufklären. Er kommt mit schwedischen und englischen Fans ins Gespräch, sie schauen ihn freundlich an, nicht musternd. Für gewöhnlich fährt er selten ins Zentrum von Kiew, obwohl sein Studentenwohnheim nur zehn Metro-Minuten entfernt liegt. "Wir Ausländer müssen vorsichtig sein", sagt er, und wieder ist da dieser traurige Gesichtsausdruck. Doch in diesen Wochen schaut er öfter auf dem Majdan vorbei. Er ist nun nicht mehr der einzige, der auffällt wegen seiner Hautfarbe.