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Flüchtling - und dann?

Ruth Krause 20. Juni 2012

Was erleben Menschen auf der Flucht? Wie fühlt sich Liebe an, wenn unsicher ist, ob man bleibt? Das Theaterstück "Asyl-Monologe" geht dem nach: unaufgeregt, denn Dramatik hat das Thema genug.

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Schauspieler als Flüchtlinge in der Theateraufführung "Asyl-Monologe"
Theateraufführung Asyl MonologeBild: Sophie Keil

"Wir kamen ins Gefängnis. Tagsüber war es ein normales Gefängnis, die Folter war eher abends." Teile der Biografie der Kurdin Safiye werden so beiläufig erzählt, dass gerade die Leichtigkeit schockiert. Während eine Schauspielerin den Text spricht, ist das Publikum im Raum völlig verstummt, selbst das Surren der Lüftung fällt in der Stille auf. Ein kleiner, dunkler Raum in einem Hinterhof in Düsseldorf ist Mitte Juni 2012 der Veranstaltungsort für das Dokumentartheater "Asyl-Monologe". Das Theaterstück der "Bühne für Menschenrechte" ist ungewöhnlich inszeniert. Drei Schauspieler hinter Notenständern, ein Saxophon, eine weiße Leinwand, auf der das gesagte auf Englisch übersetzt wird. Und doch reicht dieser minimalistische Aufbau für spannende, unterhaltsame, aber auch schockierende 90 Minuten.

"Asyl-Monologe" erzählt die Lebenslinien dreier Flüchtlinge in Deutschland: Safiye aus der Türkei, Felleke aus Äthiopien und Ali aus Togo. Der Theaterregisseur und Filmemacher Michael Ruf hat lange Interviews mit ihnen geführt, über Tage hinweg ihre Geschichte gehört - und sie dann immer weiter und weiter verdichtet, bis drei "Monologe" entstanden. Zusammen gelesen verweben sie sich zu einem Theaterstück, das die Schicksalsschläge in der Heimat, die Herausforderungen der Flucht und die immensen Mühen, in der deutschen Gesellschaft anzukommen, beschreibt. Zu sehen und zu hören sind die "Asyl-Monologe" noch bis August 2012 in mehreren deutschen Städten.

Der Lebensgeschichte gerecht werden

Ali, der aus Togo geflohen ist, weil er dort politisch aktiv war und verfolgt wurde, hat Kinderlähmung. Er kann nicht ohne Hilfe gehen. Seit 2002 lebt er ohne Bleiberecht in Deutschland, zuerst im ostdeutschen Mecklenburg-Vorpommern, acht Kilometer von der nächsten Stadt entfernt. In einer Sammelunterkunft, wie es im Behördendeutsch heißt, und von den Bewohnern meist als "Lager" bezeichnet. Der Schauspieler Frank Musekamp liest die Geschichte, wie er ein Jahr lang ohne Krücken auskommen musste, in ständiger Angst vor der Abschiebung lebt.

"Am meisten berührt hat mich, dass die Flüchtlinge ja das Recht haben, hier zu sein. Trotzdem werden sie systematisch kaputt gemacht", sagt Musekamp. Für ihn ist das Theaterstück ganz speziell, weil es die Geschichte eines "echten Menschen" ist und er diesem gerecht werden möchte.

"Hier hast du nichts"

Für Asylbewerber seien vor allem die lange Dauer der Asylverfahren - teilweise zehn Jahre -, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit auf einen einzigen Landkreis,  Schikane durch Behörden und soziale Ausgrenzung nur schwer aushaltbar. "Dort hast du Kinder. Hier hast du nichts", sagt Ali über Togo und Deutschland. Zurück möchte er trotzdem nicht: die Gesundheitsversorgung sei zu schlecht, die Familie habe zu wenig Geld, um für ihn zu sorgen. Daher hat er einen Antrag auf Aufenthalt aus humanitären Gründen gestellt. Genau wie die anderen beiden Flüchtlinge freut sich Ali, dass seine Geschichte im Dokumentartheater erzählt wird.

Er selbst steht nicht auf der Bühne - gelesen werden die Monologe von Schauspielern. Inzwischen hat sich ein Netz von rund 100 Mitwirkenden entwickelt, in 35 deutschen Städten hat die "Bühne für Menschenrechte" die Monologe bereits aufgeführt. Gründer Michael Ruf hat sich beim Aufbau der Gruppe an den "Actors for Human Rights", einer britischen Gruppe orientiert. "Mich haben die Geschichten, die die Schauspieler erzählten, beeindruckt, vor allem die Details", sagt er. Deswegen gründete Ruf den deutschen Ableger, Anfang 2011 war der erste Auftritt.

Theater "Bühne für Menschenrechte", Michael Ruf (l.) und Ali Touré. Copyright: Nzitu Mawakha
Michael Ruf (l.) und Ali TouréBild: Nzitu Mawakha

Theater als politische Arbeit

Schlicht sollte die Inszenierung sein und verständlich für ein Publikum, das sonst nicht in renommierte Theaterhäuser geht. Denn beim Dokumentartheater geht es nicht nur um Unterhaltung, sondern vor allem um politische Arbeit. "Ich möchte Menschen erreichen, aufklären und ein Bewusstsein schaffen für Themen rund um das Asyl", erklärt der Regisseur. Die Monologe sind auf das absolut Wesentliche reduziert, die Geschichte von Alis Hochzeit dauert genau drei Sätze: "Ich fragte sie, was sie von unserem Kontakt hielt. Sie sagte, sie müsse überlegen. 1994 heirateten wir."

Die Geschichten klingen teils unglaublich. Als die Kurdin Safiye nach Deutschland kam und einen Asylantrag stellte, wurde er erst einmal abgelehnt. Grund: Unter anderem habe sie das Gefängnis in dem sie war, nicht korrekt beschrieben. Bei der Beschreibung der Waschräume habe sie von einem türkischen Bad berichtet, die Übersetzerin hatte dies wohl als Sauna bezeichnet. Doch im Gefängnis gebe es keine Sauna, habe die offizielle Erklärung gelautet. Dass ein türkisches Bad kein Wellness-Paradies sondern ein einfacher Raum mit Wasserhähnen an den Wänden ist, schien nicht bekannt.

"Sie lassen dich nackt in einem kleinen Zimmer"

Der Äthiopier Felleke war bereits zweimal auf dem Weg ins Flugzeug, um aus Deutschland abgeschoben zu werden. Mit gefesselten Händen, zuvor musste er sich komplett ausziehen. "Sie lassen dich nackt in einem kleinen Zimmer. Eine halbe Stunde vor der Abschiebung kriegst du Kleidung." Er wehrte sich beide Male - im wörtlichen Sinne mit Händen und Füßen - gegen die Abschiebung. Inzwischen hat er vielen anderen Asylbewerben geholfen und bekam von der Organisation Pro Asyl einen Menschenrechtspreis.

Die Bühne für Menschenrechte ist von der Bundeszentrale für politische Bildung ausgezeichnet worden. Das Theaterstück ist ein Erfolg. Doch wie gehen die Lebensgeschichten der drei Flüchtlinge weiter? Das weiß nur das echte Leben. Safiye hat inzwischen ein Kind und darf in Deutschland bleiben. Doch für Ali ist der Kampf auch nach zehn Jahren nicht beendet. Ende Juni 2012 findet in Schwerin eine neue Verhandlung über sein Aufenthaltsrecht statt. 

"Keine Opfer- sondern Heldengeschichten"

Michael Ruf möchte trotz allem in dem Theaterstück keine Opfergeschichten sondern "Heldengeschichten" darstellen. Für den Regisseur sind die drei Asylbewerber Menschen, von denen man sich vieles abschauen könne: Mut, Durchhaltevermögen und den Willen, die eigenen Rechte einzufordern. "Es geht hier auch nicht darum, jemandem eine Stimme zu geben. Diese Menschen haben bereits eine Stimme". Und die ist sehr eindrucksvoll.