1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Quantified-Self-Bewegung

Ruth Krause10. Juni 2012

"Quantified Self" ist ein rapide wachsendes Netzwerk, bei dem Menschen Körperdaten über sich selbst sammeln und mit anderen austauschen. Ziel: Verbesserung der Lebensqualität. Kann das klappen?

https://p.dw.com/p/158tn
Joggerin auf einer Frühlingswiese. Foto: Carsten Rehder dpa/lno +++(c) dpa - Bildfunk+++
Bildergalerie Frühling Krokusse in KielBild: picture alliance/dpa

Florian Schumacher schläft sechseinhalb Stunden am Tag, geht täglich 10.000 Schritte und hat in diesem Jahr bereits 121 Stunden auf Facebook verbracht. Woher er das weiß? Er ist ein "self-tracker" und erfasst täglich Daten über sich selbst. Spötter sehen in dem Datensammeln eine grenzneurotische Beschäftigung für Computernerds, Kritiker den befürchteten Schritt hin zum "gläsernen Menschen“. Florian hingegen ist begeistert von den Möglichkeiten, mit Apps und kleinen Geräten mehr über das eigene Leben herauszufinden und es damit zu verbessern.

Der 31-jährige Münchner ist einer der Begründer der "QS"-(Quantified Self)-Bewegung in Deutschland. Die self-tracker messen zum Beispiel Blutdruck, Blutzucker, verbrauchte Kalorien und Gewicht. Es gibt inzwischen auch Anwendungen mit denen man die eigenen Gehirnströme messen kann. Die Werte werden dann gebündelt und auf Server hochgeladen, oft auch über Soziale Netzwerke mit anderen geteilt. Die Szene hat offiziell einige tausend Anhänger weltweit. 2011 ist der Trend aus den USA nach Deutschland gekommen. Inzwischen gibt es nicht nur eine Homepage, Blogs und eine Facebookgruppe, sondern auch regelmäßige Treffen, bei denen sich die self-tracker über persönliche Fortschritte, Erkenntnisse und technische Neuentwicklungen austauschen.

Apps gegen den inneren Schweinehund

Florian verlässt sein Haus nie ohne den Fitbit, ein Gerät, das seine Schritte misst. 10.000 Schritte am Tag sind wohl ideal fürs Herz. An diese Schrittzahl – sie entspricht ungefähr sieben Kilometern - hat er sich langsam herangearbeitet. Bevor er zum self-tracker wurde, fuhr er viel mehr mit der S-Bahn als jetzt, inzwischen legt er die meisten Strecken zu Fuß zurück. 

Sein Rekord liegt bei 28.000 Schritten am Tag, knapp 20 Kilometer. Dafür bekam er eine virtuelle Goldmedaille von seiner App. Weil viel Laufen alleine aber nicht zur Steigerung der Lebensqualität ausreicht, überwacht Florian, wie viel Zeit er am PC vertrödelt, wie viel er sinnvoll nutzt, was er isst und wie viel er wiegt. Auch das passiert natürlich digital: Die Wifi-Waage übermittelt die Gewichtsdaten auf das Smartphone und Florians Basisstation am PC. Dort sieht man visuell Zu- und Abnahmen in einer Kurve. "Das tut schon ganz schön weh, auch wenn's nur zwei Kilo mehr sind“. Man könne die Realität eben nicht schönreden, sondern bekomme Verschlechterungen "voll reingerieben", sagt Florian, "dadurch ist es viel schwieriger, gleichgültig zu sein."

Demokratisierung des Wissens über den Körper

Am Datenmessen selbst ist grundsätzlich nichts neu: Diabetiker halten seit Jahren ihre Werte fest. Was sich aber revolutionär geändert hat, sind die technischen Möglichkeiten, die Personengruppe und die Kommunikationswege. Nicht nur Kranke sammeln Daten, sondern auch Sportler und eben die self-tracker. Sie probieren einfach aus, mit welchen technischen Anwendungen sie ihr Leben verändern und in ihren Augen verbessern und lebenswerter machen können. Florian motiviert sich selbst: "Ich sehe, wie sich etwas verändert, zum Beispiel Blutdruck, wenn ich eine gesündere Lebensweise habe. Dann bekomme ich positiveres Feedback, also eine Bestätigung dafür, dass ich diese Veränderung weiter durchziehe." Außerdem lerne man so viel über sich selbst, so dass man dadurch auch zu einem gesünderen Lebesstil kommen könne.

Blutdruck messen © Jürgen Fälchle - Fotolia.com Fotolia 35162207
Bald auch WiFi-Blutdruckmesser?Bild: Fotolia/Jürgen Fälchle

Damit schaffen die self-tracker nicht nur ein neues Bewusstsein für Körper und Gesundheit, sondern "demokratisieren“ auch das Gesundheitssystem. Denn das Erfassen von Daten ist nun nicht mehr nur eine Sache der Ärzte, jedermann kann es durchführen. Dies ist auch dem Preis der Geräte geschuldet: einen Schlaf- und Schrittmesser bekommt man zum Beispiel schon für 100 Euro. Bei den meisten Geräten geht die Benutzung ganz einfach über eine Smartphone-App, die dann die Daten an einen Server weitergibt und visualisiert.

Krankenkassen könnten sich die Daten ziehen

An diesem Punkt setzt das Misstrauen gegenüber "QS“ an: Das Sammeln der Daten im Netz sehen Kritiker als gefährlichen Schritt an. Sie fürchten, dass Daten weitergegeben werden - zum Beispiel an die Krankenkassen, die in Zukunft Beitragszahlungen daran orientieren könnten. Der Mediziner Kai Sostmann von der Berliner Charite befürchtet zudem Gesundheitsrisiken: „Ich sehe den Nachteil darin, dass die Anwender sich durch die Fehlinterpretation der Daten theoretisch in eine künstliche Krankheitssituation manövrieren können “. Auch der eifrigste und gewissenhafteste self-tracker kann sich selber eine falsche Diagnose stellen.

Aus medizinischer Sicht sieht Sostmann in "QS" aber ein großes Potential für die Gesundheit: „Für uns Ärzte ist es natürlich extrem nützlich, wenn das mit den Patienen entsprechend abgestimmt ist, das heißt, wenn die Patienten bei einer chronischen Erkrankung Daten erheben, uns mitteilen und wir gemeinsam die Daten besprechen.“ Zudem können nach Sostmanns Einschätzung die Self-tracker Gesundheitsrisiken besser vorbeugen und ihr Körpergespür verbessern – ähnlich wie dies auch Meditierende tun. „Wenn man seinen Herzschlag erst einmal bewusst wahrnimmt, beginnt man auch, ihn zu steuern, und führt damit im Prinzip Stressreduktion durch.“

iPhone mit Minidrucker Foto: Fabian Schmidt/DW.
Mit Smartphone-Apps und Minidrucker hat man seine Ergebnisse direkt auf Papier.Bild: Messe Düsseldorf/ctillmann

Verbesserung des Lebens durch Zahlen - für viele klingt das noch sehr abstrakt und technisch. Doch wer sich täglich auf die Waage stellt, die Größe seines Kindes am Türrahmen markiert oder zwecks Verhütung seine Temperaturkurven erstellt, hat zumindest eine Ahnung davon, wie man sein eigenes Leben in Zahlen packen kann. Auf die Frage, ob Lebensqualität wirklich in Daten messbar ist, antwortet Florian ausweichend. Er versuche eben, sein Leben zu optimieren. Weil dafür aber nicht nur Zahlen ausschlaggebend sind, hat er inzwischen eine neue App gebastelt: Mit „Chronio“ sollen Nutzer Tagebuch führen und so unter anderem auf eine gute Work-Life-Balance achten. „Qualität statt Quantität“ könnte demnach das kommende Credo sein.