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Drei Millionen offene Stellen

Sabine Kinkartz5. Juni 2012

Im Jahr 2025 könnte der Fachkräftemangel in Deutschland ungeahnte Dimensionen angenommen haben. Die Bundesregierung will es soweit erst gar nicht kommen lassen und geht jetzt in die Offensive.

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Eine Gruppe von Laborarbeitern. Foto: Fotolia
Bild: Fotolia/Alexander Raths

Ein kleines Dorf, umgeben von Wäldern und Feldern, mittendrin ein kleines Schloss mit Parkanlagen und See – das ist Meseberg, rund 70 Kilometer nördlich von Berlin. Das Schloss beherbergt das Gästehaus der Bundesregierung und wenn die Bundeskanzlerin sich in einer größeren Runde zu einem Meinungs- und Gedankenaustausch treffen will, dann lädt sie ihre Gesprächspartner gerne nach Meseberg ein. An diesem Dienstag (05.06.) saßen neben Angela Merkel sieben Bundesminister, die Spitzenvertreter der Wirtschaftsverbände sowie der Gewerkschaften an der langen Tafel im prunkvollen Schlosssaal.

Thema war einmal mehr die Zukunft des Standorts Deutschland. Dem droht inzwischen mehr Gefahr durch einen Fachkräftemangel als durch die Wirtschafts- und Finanzkrise. Seit Monaten gibt es in Deutschland konstant rund eine Million offener Stellen und es dauert immer länger, bis ein freier Arbeitsplatz neu besetzt werden kann. Statistisch gesehen sind es aktuell 72 Tage, 13 Tage mehr als noch vor einem Jahr. Gesucht werden vor allem Fachkräfte, insbesondere Ingenieure, hoch qualifizierte IT-Experten, Ärzte und Altenpfleger.

Kontroverser Meinungsaustausch

Drei Millionen Stellen werden aufgrund des demografischen Wandels im Jahr 2025 nicht mehr zu besetzen sein, das hat die Bundesagentur für Arbeit errechnet. Wie diese Lücke geschlossen werden kann, darüber gibt es zwischen Politik, Arbeitgebern und Gewerkschaften durchaus unterschiedliche Auffassungen, wie auch in Meseberg wieder deutlich wurde.

Brandenburg/ Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Philipp Roesler (FDP, v.l.), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU), Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Regierungssprecher Steffen Seibert sitzen am Dienstag (05.06.12) im Gaestehaus der Bundesregierung Schloss Meseberg in Meseberg dem Praesidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel (r.), dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer (2.v.r.), und dem Vorsitzenden der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske (3.v.r.), gegenueber. Die Vertreter von Bundesregierung und Sozialpartnern waren in Meseberg zu Gespraechen ueber das Thema "Quellen des kuenftigen Wohlstandes" zusammengekommen. (zu dapd-Text) Foto: Sandra Steins/Bundesregierung/Pool/dapd
Die Bundeskanzlerin mit ihrer Gesprächsrunde im Schloss MesebergBild: dapd

Während die Arbeitgeber einen schnelleren und stärkeren Zuzug von ausländischen Fachkräften fordern, verweisen die Gewerkschaften darauf, dass es im Inland noch sehr viel Potenzial auf dem Arbeitsmarkt gebe. Angesichts von immer noch knapp drei Millionen Arbeitslosen und 1,5 Millionen Menschen zwischen 25 und 35 Jahren, die keine Berufsausbildung haben, könnte mit entsprechender Ausbildung viel gewonnen werden, sagt DGB-Chef Michael Sommer.

Die Bundesregierung hat für diese Forderungen ein offenes Ohr. Eine gute Ausbildung sei entscheidend für den beruflichen Erfolg, sagt die Bundeskanzlerin. Merkel möchte aber auch, dass ältere Menschen zunehmend länger arbeiten und mehr Frauen eine Vollzeitbeschäftigung annehmen. 71 Prozent der Frauen in Deutschland arbeiten, jede zweite allerdings nur Teilzeit bis zu 18 Stunden. Im internationalen Vergleich sei das zu wenig, sagt die Kanzlerin, die allerdings auch weiß, dass es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Deutschland noch nicht besonders gut bestellt ist. Sie habe in Meseberg darauf gedrungen, dass die Wirtschaft bessere Rahmenbedingungen schaffen und die Arbeitsbedingungen flexibilisieren müsse, betont Merkel. Es müssten aber auch noch mehr Kita-Plätze für die Betreuung des Nachwuchses geschaffen werden. Bis August kommenden Jahres sollen es 780.000 sein.

Das Glas ist noch nicht voll

Ein Jahr dem Start der Fachkräfteinitiative der Bundesregierung ziehen Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften eine gemischte Bilanz. "Wir können auf Erfolge verweisen, es liegt aber auch noch viel Arbeit vor uns", so die Kanzlerin. Mit dem Gesetz über die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und der Einführung der Blue Card zum 1. August sei aber schon einiges auf den Weg gebracht worden. DGB-Chef Sommer meint hingegen, man könne überlegen, ob das Glas schon halb voll oder noch halb leer sei.

Die Blue Card richtet sich an hoch qualifizierte Fachkräfte und Akademiker aus Nicht-EU-Staaten. Zunächst ist eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsgenehmigung vorgesehen, später können die Bewerber und ihre Familie eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis erhalten. Bei guten Deutschkenntnissen soll die Erlaubnis schon nach zwei Jahren erteilt werden. Für die Blue Card gilt eine Mindestverdienstgrenze von rund 45.000 Euro. In sogenannten Berufen, in denen besonders dringend Arbeitskräfte gesucht werden, reichen 35.000 Euro aus.

Der Doktorand der Technischen Universität Chemnitz, Roman Funke, beschäftigt sich im Labor der Fakultät Maschinenbau mit der Oberflächenfeingestalt beim orthogonalen Drehfräsen.  Foto: Hendrik Schmidt dpa/lnw +++(c) dpa - Bildfunk+++
Wenn die deutsche Wirtschaft weiter erfolgreich sein will, braucht sie FachkräfteBild: picture-alliance/dpa

200.000 Zuwanderer pro Jahr gewinnen

Während die Arbeitgeber die Blue Card begrüßen, warnen die Gewerkschaften weiterhin vor Lohndumping. Auch in Meseberg wurde darüber gesprochen, wie die Bundeskanzlerin nach dem Treffen erklärte. "Da wird von den Gewerkschaften gefragt, ob die Gehaltsgrenzen vielleicht zu niedrig sind. Fördern sie vielleicht, dass die Ingenieure, die von außen kommen, schlechter bezahlt werden, als die Deutschen?" Jeder beleuchte die Fragen von seinem Standpunkt aus.

Die Bundesregierung hofft, dass in den nächsten Jahren deutlich mehr qualifizierte Zuwanderer nach Deutschland kommen als bisher. Die Bundesagentur für Arbeit hat errechnet, dass es jedes Jahr 200.000 sein müssten, um den Bedarf zu decken. Um Interessenten den Weg nach Deutschland schmackhaft zu machen, startet die Bundesregierung jetzt über ein Internetportal eine breit angelegte Informations- und Werbeoffensive im In- und Ausland. Unter der Überschrift "Make it in Germany" sollen Bewerber aus der EU und aus Drittstaaten auf ihrem Weg nach Deutschland begleitet werden.

Um die Sprachbarriere möglichst niedrig zu halten, ist das Portal größtenteils auf Englisch gehalten. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler weiß, dass Probleme mit der deutschen Sprache das größte Hindernis auf dem Weg nach Deutschland sind. Bewerber müssten aber realistisch sein. "Wir brauchen Fachkräfte, aber es muss möglich sein, sich auf dem Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz auch selber zu suchen und sich zu integrieren und das geht ein Stück weit auch immer über die Sprache. Englisch ist da ausreichend aber das ist dann auch das Minimum."

Glasklare Spielregeln

Mit der Blue Card, so sagt Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, seien "die Spielregeln glasklar festgelegt", nach denen man nach Deutschland kommen könne. Trotzdem seien noch einige Fragen zu klären, unter anderem auch, welches die besten Ziel-Länder für die Anwerbung für Arbeitskräfte seien. "Länder mit einer jungen Bevölkerung, mit Qualifikationen, die bei uns gesucht werden. Menschen, die von sich aus auch auf Auswanderung setzen, denn ich denke dass ist eine ethische Frage, dass beide Seiten davon auch einen Gewinn haben müssen."

In diesem Zusammenhang erklärte die Bundeskanzlerin in Meseberg, es müsse mehr für den Ausbau eines europäischen Arbeitsmarktes getan werden. Dass dieser noch nicht bestehe, sehe man daran, dass es zwar Freizügigkeit innerhalb der EU gebe, in Deutschland jedoch Fachkräfte gesucht würden, während in anderen Ländern eine hohe Arbeitslosigkeit herrsche.