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Sicherheit an deutschen Schulen

Wolfgang Dick21. Juli 2012

Eine bisher unveröffentlichte Studie der Universität Köln listet zum ersten Mal alle vorliegenden Zahlen von Amokdrohungen an deutschen Schulen auf. Die Zahlen erschrecken - und die Schulen wollen handeln.

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Hand mit Pistole (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Die Psychologin Sarah Neuhäuser registrierte für die Studie eine Vervielfachung der Schusswaffenandrohungen seit dem letzten schweren Amoklauf eines Schülers in Winnenden in Baden-Württemberg. 2016 offiziell registrierte Amokdrohungen zählte die Forscherin alleine für die Jahre 2006 bis 2010. Bisher gibt es kein einheitliches Erfassungssystem in Deutschland. Jedes einzelne Bundesland geht mit dem Thema unterschiedlich um. Die Schulbehörden sehen dringenden Handlungsbedarf, um entschlossenen Tätern aber auch möglichen Trittbrettfahrern zu begegnen.

Das Land Baden-Württemberg setzt zum Beispiel auf eine intensivere Betreuung und Beratung von Schülern. Insgesamt soll die Zahl der Psychologen an den Schulen des Landes in den nächsten drei Jahren auf 200 verdoppelt werden.

Neue Stellen für Beratungslehrer und Sozialarbeiter für Gewaltprävention schaffen auch andere Bundesländer. Entsprechende finanzielle Mittel wurden trotz angespannter Haushaltslage von den jeweiligen Bildungsministerien zur Verfügung gestellt. Besonders positive Erfahrungen wurden deutschlandweit mit Anti-Mobbing-Programmen an Schulen gesammelt. Thüringen und Berlin konzentrierten sich auf spezielle Schulungen für Lehrer und Eltern. Sie sollen gemeinsam alle Anzeichen einer bevorstehenden Gewalttat bis hin zur konkreten Ankündigung eines Amoklaufs rechtzeitig erkennen und richtig deuten.

Solche Hinweise gab es im Vorfeld der bisherigen Amokläufe an Deutschlands Schulen immer wieder. Meist waren die Täter isolierte Einzelgänger mit einem Hang zu Waffen und Computerspielen mit Kampfhandlungen. Es waren Schüler, die sich offenbar in besonderen Drucksituationen überfordert fühlen. Jungen und Mädchen, denen es ähnlich geht, soll nun verstärkt Hilfe angeboten werden.

Polizei sichert Tatort in Memmingen (Foto: Reuters)
Amokalarm in Memmingen am 22. Mai 2012Bild: Reuters

Schulen sollen keine Festungen werden

Die Strategie scheint aufzugehen, sich um potenzielle Täter unter den Schülern zu kümmern und sich mit den Ursachen von Gewalt auseinanderzusetzen. Nach den Amokläufen an Schulen in Erfurt, Emsdetten und Winnenden forderten nicht wenige Politiker umfangreiche Sicherheitstechnik. Im Innenausschuss des deutschen Bundestages wurde diskutiert, Schüler bereits an den Eingängen nach Waffen zu kontrollieren. Metalldetektoren wie an Flughäfen gibt es aber bis heute an keiner deutschen Schule. Auch Chipkarten für den Zutritt zu Schulen setzten sich nicht durch. "Wir wollen eine Atmosphäre, in der sich die Schüler wohlfühlen", erklären deutsche Lehrerverbände. Zonen der Angst und des Missbrauchs sollen vermieden werden.

Aufrüstung an Schulen

An vielen Schulen ist dennoch aufgerüstet worden. Fast überall gibt es inzwischen ein einheitliches Alarmsystem, das im Fall eines Amoklaufs klare Anweisungen gibt und automatisch die Polizei unterrichtet. An Türen zu den Klassenräumen wurden Griffe und Schlösser entfernt und durch spezielle Schließsysteme ersetzt, die im Notfall nur vom Klasseninnenraum zu bedienen sind. Gebäudekomplexe wurden farbig gestaltet, um die Orientierung für Polizei und Rettungskräfte zu verbessern. So genannte Pager wurden verteilt, Funkmeldeempfänger zur leichteren Kommunikation.

Videoanlagen sind allerdings nur an wenigen Schulen zu finden. Die Investitionskosten gehen in die Millionen und sind in den meisten Bundesländern nicht finanzierbar. Einzig der Berliner Stadtteil Neukölln leistete sich an 16 Schulen private Sicherheitsdienste, deren Wachmänner allerdings auch nur mit Mobiltelefonen "bewaffnet" wurden. "Technische Maßnahmen erhöhen nicht unbedingt die Sicherheit", erklärten Lehrer dazu aus der Praxis. Einzig Zugangsbeschränkungen und eine gute Informationskette seien wirkungsvoll, ist man sich unter Lehrkräften einig.

Zwei junge Mädchen weinen vor den mit Blumen und Kerzen übersäten Treppenstufen des Gutenberg-Gymnasiums in Erfurt (Foto: dpa)
Schüler trauern um Opfer nach dem Amoklauf in Erfurt im Jahr 2002Bild: picture-alliance/dpa

Immer noch Unsicherheiten im Ernstfall

Trotz zahlreicher Anleitungen der Bildungsministerien der Länder haben rund 30 Prozent der Schulen kein klares Konzept zum Umgang mit dem schlimmsten Fall von Gewalt an der Schule, dem Amoklauf. Das registrieren die Landeskriminalämter. Sie raten gleichzeitig, den Umgang mit Amokläufen nicht zu offiziell "zu proben". Potenzielle Täter sollen nicht noch zu Gewaltaktionen angeregt werden.

"Wir erhalten von Schulträgern beinahe täglich Bitten um Hilfe", sagt Patrick Kane, Mitbegründer einer Firma, die für Schulen Sicherheitskonzepte anbietet. Die Initiative "Sicherheit an Schulen" bemüht sich ebenfalls um technische Lösungen. Bis vor zwei Jahren gab es dazu auf dem Markt kaum Angebote. Das Wichtigste sei immer, dass keine Fehlalarme ausgelöst werden. Im Ernstfall müssen die Informationen auch schnell an die richtige Stelle kommen. "In vielen Fällen soll immer noch der Direktor entscheiden, was passiert, bevor die Polizei einschreiten kann", berichtet Kane. Die überarbeiteten Sicherheitskonzepte haben bisher gewährleisten können, dass die hohe Anzahl von Amokdrohungen friedlich aufgeklärt und gelöst wurden.