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Egon Bahr zu Besuch in Taiwan

Klaus Bardenhagen25. Mai 2012

Als Experte für friedliche Aussöhnung hat Egon Bahr Taiwan besucht und sich über das Verhältnis zu China informiert. Dort entdeckte er, dass sein Prinzip "Wandel durch Annäherung" noch immer aktuell ist.

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Egon Bahr mit taiwanesischem Außenminister Timothy Yang im Dezember 2011 (Foto: Klaus Bardenhagen)
Bild: cc/by/nc/nd/Career mother

Eine Legende der deutschen Politik hat Taiwan besucht. Egon Bahr hat vor 50 Jahren den Begriff "Wandel durch Annäherung" geprägt. Anfang der 70er Jahre reiste der enge Vertraute von Bundeskanzler Willy Brandt für schwierige Geheimverhandlungen nach Moskau. Dort legte er die Grundlagen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen West- und Ostdeutschland. Mittlerweile ist Bahr 90 Jahre alt und verfolgt noch immer gespannt die Weltpolitik. Und: er ist ein gefragter Gesprächspartner im Ausland - zum Beispiel in Taiwan, wo die China-Politik auch geschickte Diplomatie erfordert.

Im Dezember 2011 war Egon Bahr auf Einladung der Regierung fünf Tage in Taiwan. Heute sitzt er wieder wie jeden Tag hinter seinem Schreibtisch in der Berliner SPD-Parteizentrale, verfolgt die Weltpolitik und knüpft Kontakte. Was hat ihn in Taiwan besonders überrascht? Bahr zündet sich eine Zigarette an und antwortet schnell: "Ich habe noch nirgendwo eine solche Ansammlung von Zement, Straßen und Straßenkreuzungen gesehen."

"Wandel durch Annäherung" ist auch in Taiwan ein Begriff

Nicht ideal, aber zweckmäßig - ungefähr so sehen viele Taiwaner auch die China-Politik ihrer Regierung. Der Weg zur offiziellen Unabhängigkeit ist durch Peking blockiert. Taiwan muss das Beste aus seiner prekären Lage machen. Und versuchen, seine de facto bestehende Selbstständigkeit möglichst lange zu bewahren. Die Regierung erhoffte sich Anregungen von Egon Bahr, dem Experten für friedliche Diplomatie zwischen verfeindeten Systemen. Und er stellte in Taiwan fest: "Wandel durch Annäherung, kleine Schritte, Grundlagenvertrag - das sind Vokabeln, die den dortigen Gesprächspartnern ohne jeden Akzent in deutscher Sprache geläufig sind. Das ist sehr bemerkenswert, und der Erfolg ist unbestreitbar." Ein besonders auffälliges Beispiel sei zum Beispiel, dass viele Touristen aus China seit einigen Jahren Taiwan besuchen können.

China ist eine aufstrebende Großmacht, was Verhandlungen auf Augenhöhe erschwert. Mit dem geteilten Deutschland seien Taiwan und China nicht direkt vergleichbar, sagt Bahr. Damals, im Kalten Krieg, waren beide deutschen Staaten von den Siegermächten abhängig – und diese sorgten dafür, dass keine Seite zu eigensinnig wurde. "Im Übrigen ist der Unterschied deshalb für mich beunruhigend, weil wir die Entwicklung in Europa nur mit Gewaltverzicht eingeleitet haben konnten“, sagt Bahr. "Also mit kleinen Schritten, Vertrauensbildung, Kontrolle. Ich stelle fest, dass es solche Parallelen überhaupt nicht gibt."

USA könnten in Asien für Stabilität sorgen

Stattdessen werde in Asien überall aufgerüstet. Die Lage sei viel explosiver als damals im Europa des Kalten Krieges. So sei Amerika dazu gezwungen, sich Asien zuzuwenden, sagt Bahr. Dass US-Präsident Barack Obama kürzlich erklärt hat, die USA würden langfristig in Asien präsent bleiben, könnte für Stabilität sorgen. Auch wenn China amerikanische Truppen vor seiner Haustür ablehnt – die beiden Großmächte seien angewiesen auf ein vernünftiges Verhältnis zueinander.

Taiwans Präsident Ma Ying-jeou setzt die Annäherungspolitik mit China durch. (Foto: dapd)
Taiwans Präsident Ma Ying-jeou setzt die Annäherungspolitik mit China durch.Bild: dapd

"Wandel durch Annäherung gilt auch zwischen Amerika und China", so Bahr. Allerdings vergesse keine Seite die Gegnerschaft. Taiwan könne dabei kein gleichberechtigter Mitspieler sein. "Das auszubalancieren, ist Angelegenheit dieser beiden Großen. Ein Entscheidungsgewicht innerhalb oder zwischen diesen beiden Großen, dazu ist Taiwan zu schwach und zu klein."

Taiwan strahlt auf China aus

Für Taiwan sei vor allem Stabilität wichtig, so Bahr - also Frieden. Taiwans Regierung hat den Gewaltverzicht zum Programm erklärt. China dagegen behält sich mit dem Anti-ABspaltungs-Gesetz das Recht vor, Taiwan mit Waffengewalt anzugreifen, wenn es zu abspenstig wird. So besteht Taiwans größte Hoffnung darin, dass China selbst sich ändert. Die schrittweise Öffnung könnte so einen Prozess beschleunigen.

"Taiwan hat eine demokratische Entwicklung nachgewiesen, Stabilität und wirtschaftliche Erfolge", lobt Bahr. "Und es hat eine Perspektive eröffnet für eine friedliche Fortsetzung dieser Entwicklung. Dass das auch auf China ausstrahlt, dass man dort natürlich aufmerksam guckt, wie Demokratie eigentlich in Taiwan funktioniert, und dass ein Massentourismus aus China nach Taiwan geht - das sind aufregende Dinge. Es ist eine gegenseitige Beeinflussung vorhanden. Mehr kann man nicht erwarten."

Wolkenkratzer Taipei 101 (Foto: picture alliance/Photoshot)
Wolkenkratzer Taipei 101Bild: picture alliance/Photoshot