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Sind wir onlinesüchtig?

Silke Wünsch22. Mai 2012

Die Bundesregierung hat die Internetsucht in ihren Drogenbericht mit aufgenommen. Sicher gibt es Menschen, die krankhaft dauersurfen. Das ist doch aber nur ein Bruchteil der Internetuser, meint Silke Wünsch.

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Screen © lassedesignen #29930432
Internetsucht JugendlicheBild: lassedesignen/Fotolia

Eine Studie der Uni Lübeck im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums sagt: Wer länger als vier Stunden täglich im Internet ist, gilt als internetsüchtig - davon sollen in Deutschland mehr als 560.000 Menschen betroffen sein.

Wenn ich das mal realistisch überschlage, bin ich täglich durchschnittlich zehn Stunden im Netz. Damit bin ich nicht alleine. Mittlerweile benutzen alle meine Kollegen das Internet. Sie suchen Themen, sammeln Informationen, die sie für ihre Arbeit verwerten können. Recherche, Nachrichten checken. Mails an Autoren, Redakteure, Chefs, Kollegen. Ein Übersetzungsprogramm, der Online-Duden. Facebook zur Kontaktpflege, Twitter für die ganz schnellen News aus einem Interessengebiet. Unterwegs die Email-App auf dem Smartphone, dem Blackberry – ständige Erreichbarkeit.

Sie sehen schon, wir Journalisten könnten ohne Netz gar nicht mehr arbeiten. Nähme man es uns weg, nähme man uns die Informationen, die wir für unsere tägliche Arbeit im dritten Jahrtausend brauchen.

Unterschied zwischen Konsum und Sucht

Meine Tochter ist täglich durchschnittlich zwölf Stunden online. Auch sie recherchiert und sammelt Informationen für ihre Studienfächer. Sie ist auf Facebook aktiv, ihr iPhone ist stets auf Empfang. Gruppenchats, Verabredungen, Diskussionen. Alles leicht und schnell, unkompliziert ohne lange Telefonketten und umständliche Absprachen. Ohne ihr Smartphone wäre sie außen vor, nähme man es ihr weg, nähme man ihr die Kommunikationsmöglichkeiten, die unter Freunden im dritten Jahrtausend nicht mehr wegzudenken sind.

Sind wir internetsüchtig, weil wir täglich viel Zeit, ja, viele Stunden vor Monitoren und Displays verbringen? Hat jemand einen begeisterten Bücherwurm, der in der Woche drei dicke Historienschinken verschlingt, schon mal als buchsüchtig bezeichnet?

Ja, es gibt sie, die unglücklichen Menschen, die ihre sozialen Kontakte verloren haben, die zu Hause vorm Bildschirm hocken und nichts mehr um sich herum wahrnehmen. Auf der Suche nach spannenden Chats, nach Onlinespielen, nach anonymem Kontakt und digitalem Kick. Ja, diese Menschen sind sicher süchtig, haben Persönlichkeitsstörungen, können davon psychisch krank werden. Wer nervös ist, weil er zwei Stunden nicht auf Facebook nachgucken konnte, was es Neues gibt, der ist sicher gefährdet. Wer im Urlaub nicht abschalten kann und ständig auf sein Blackberry schielt, dem sollte man es wegnehmen.

Ein Porträt von Silke Wünsch, Foto DW / Christel Becker-Rau 2009
Silke Wünsch, Redakteurin Digitales LebenBild: DW / Christel Becker-Rau

Fortschrittsglaube muss nicht krank machen

Natürlich sind wir im dritten Jahrtausend abhängig geworden vom Internet. Genauer gesagt: Wir haben uns abhängig gemacht. Und das auch noch mit dem größten Vergnügen! So ist und war das doch mit jeder neuen Technologie. Seit Urzeiten haben wir uns von den Früchten des menschlichen Erfindungsgeistes abhängig gemacht. Wer wollte denn noch zu Fuß gehen, nachdem das Rad erfunden wurde? Wer wollte noch handschriftliche Kopien anfertigen, nachdem Gutenberg die Druckerpresse erfunden hatte? Wer wollte noch mit Postkutschen herumfahren, während die Welt mit Eisenbahnschienen überzogen wurde?

Bevor ich umständlich Landkarten und Telefonbücher aus verstaubten Regalen zerre, gucke ich doch lieber mal schnell im Netz nach. Wenn ich mich mit vielen Freunden spontan zum Grillen verabreden will, poste ich es auf Facebook – da sind die nämlich auch alle. Ich finde das Internet nützlich, genial, eine großartige Erfindung. Genau so wie ich gerne Wein trinke. Ich bin jedoch weder alkohol- noch internetsüchtig. Wenn das Netz mal kaputt geht, kann ich immer noch ein verstaubtes Lexikon aus dem Regal ziehen, ohne dass ich Entzugserscheinungen bekomme.