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Traurige Bilanz

Marco Müller3. Mai 2012

19 Journalisten getötet und mehr als 160 inhaftiert - das ist die traurige Bilanz der ersten vier Monate dieses Jahres. Die Situation von kritischen Berichterstattern hat sich weltweit kaum gebessert.

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Fernsehkameras (Foto: Fotolia/pics five)
Bild: Fotolia/picsfive

Die Umbrüche in der arabischen Welt haben zu tiefgreifenden politischen Veränderungen geführt - doch nicht überall ist die Arbeit der Journalisten deshalb einfacher geworden.

"Der Arabische Frühling hat große Konflikte ausgelöst", sagt Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen Deutschland. "Journalisten müssen vor Ort sein - werden aber dort natürlich angegriffen, vor allem von den Regierungen."

Dabei sei der Grad der Pressefreiheit von Land zu Land sehr unterschiedlich. In Tunesien beispielsweise sei die Arbeit für Journalisten nicht mehr so gefährlich wie früher. In Syrien dagegen seien seit Beginn der Kämpfe etliche Journalisten umgekommen. Für Reporter sei es dort derzeit ähnlich gefährlich wie noch vor einigen Jahren im Irak.

Kein Aufatmen nach dem Arabischen Frühling

Mancherorts haben sich die Erwartungen nicht erfüllt. "Ägypten ist in unserer Rangliste wieder heruntergerutscht, weil die dortige Militärregierung neue Notstandsgesetze erlassen und die Pressefreiheit wieder eingeschränkt hat", so Michael Rediske. Anfangs habe dieses Land noch als Hoffnungsträger in der Region gegolten.

Michael Rediske, Vorstandssprecher der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen (Foto: dapd)
Michael Rediske (Reporter ohne Grenzen): "Journalisten müssen vor Ort sein"Bild: dapd

Reporter ohne Grenzen veröffentlicht jedes Jahr eine "Rangliste der Pressefreiheit". In der aktuellen sind 179 Länder aufgeführt. Zu jedem dieser Länder hat die Organisation nicht nur Journalisten sondern auch Wissenschaftler, Juristen und Menschenrechtsaktivisten aus aller Welt befragt.

Schlusslicht Eritrea

Unten auf der Liste finden sich die Länder, in denen die Pressefreiheit kaum oder gar nicht geachtet wird. Das Schlusslicht bildet Eritrea. Und das ist keine Überraschung, sagt Pierre Ambroise, der bei Reporter ohne Grenzen die afrikanischen Länder beobachtet. "Eritrea ist der schlechteste Ort für Journalisten überhaupt. Die freie Presse wurde bereits vor zehn Jahren abgeschafft - heute arbeiten alle Journalisten für staatliche Medien und müssen den Anordnungen des Informationsministeriums Folge leisten. Wer sich widersetzt, wandert ins Gefängnis."

Ähnlich schlechte Noten bekommt Angola - obwohl das Land wirtschaftlich floriert. Auch hier sei der Einfluss des Staates auf die Medien groß, kritisiert der Journalist und Menschenrechtler Rafael Marques in seinem Blog www.makaangola.org: "Unter den Eigentümern des einzigen privaten Fernsehsenders Angolas, TV Zimbo, finden sich zwei der einflussreichsten Repräsentanten des angolanischen Regimes." Marques' Blog gehört in diesem Jahr zu den Finalisten der Deutsche Welle Blog Awards (BOBs).

Screenshot des Blogs 'Maka Angola'
In seinem Blog "Maka Angola" kämpft der Bürgerrechtler Rafael Marques für die Pressefreiheit in AngolaBild: Screenshot

Positive Entwicklungen in Namibia und Kapverden

Doch es gibt auch gute Nachrichten aus Afrika: "Wir haben erstmals zwei afrikanische Länder unter den ersten 20 Plätzen in unserer Rangliste, nämlich Namibia und Kap Verde", hebt Michael Rediske hervor. Das habe auch mit der stabilen politischen Lage in beiden Staaten zu tun.

In Asien bleibt China ein Problemfall: Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen sitzen in keinem anderen Land mehr Journalisten und Blogger im Gefängnis. Die chinesischen Zensoren richten ihre Aufmerksamkeit derzeit vor allem auf das Internet. Hier sind ihnen die twitterähnlichen Kurznachrichtendienste - chinesisch: "Weibo" - ein Dorn im Auge.

Größte Zahl inhaftierter Journalisten in China

Denn, so der in China lebende Blogger Jeremy Goldkorn: "Das Internet und Angebote wie Weibo erlauben es den Menschen, sich zu äußern, und zwar freier als es jemals in der chinesischen Geschichte möglich war. Zugleich haben wir es mit einem Tsunami an Informationen zu tun, den es früher einfach nicht gab." Die Zahlen sprechen für sich: Rund 300 Millionen Chinesen haben heute mindestens einen Weibo-Account.

Zwar sei die Zensur strenger geworden, berichtet Goldkorn. So wurde eine Vorschrift erlassen, derzufolge sich alle Weibo-Nutzer nur noch mit ihrem richtigen Namen registrieren dürfen. Aber bisher wurde sie nicht umgesetzt. Stattdessen beschränkt sich die Zensur auf traditionelle Methoden: Ende März wurde die Kommentarfunktion aller Kurznachrichtendienste für drei Tage komplett abgeschaltet, unter anderem um die Diskussionen um den Machtkampf innerhalb des Politbüros der Kommunistischen Partei zu unterbinden.

Logo von Reporter ohne Grenzen
"Reporter ohne Grenzen" analysiert jährlich den Zustand der Pressefreiheit

In Afghanistan haben Journalisten weniger mit der Zensur zu kämpfen als vielmehr mit Einschüchterungsversuchen, vor allem durch die Taliban und mit ihnen verbündete Warlords. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 hat sich eine beachtliche vielfältige Medienlandschaft entwickelt: Es gibt rund 170 private Radio- und mehr als 60 private Fernsehsender. Dennoch beklagt Reporter ohne Grenzen, dass die Pressefreiheit immer noch stark eingeschränkt ist, weil die Journalisten in ihrer Arbeit behindert werden.

Lebensgefahr durch Drogenkriege

Gefährlich ist die Arbeit auch für Journalisten in einigen lateinamerikanischen Ländern - zum Beispiel in Mexiko und Honduras, wo Kämpfe zwischen rivalisierenden Drogenkartellen und dem Militär toben, und Journalisten laut Reporter ohne Grenzen massiv eingeschüchtert würden.

Lebensgefährlich ist es auch in Brasilien: In den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden hier vier Journalisten ermordet. Das jüngste Opfer war der 42-jährige Blogger Décio Sá, der über Korruption und organisiertes Verbrechen schrieb.

Unter erschwerten Bedingungen arbeiten Journalisten auch immer noch in Osteuropa. In Belarus hält das Regime von Alexander Lukaschenko die Medien unter Kontrolle, von Pressefreiheit kann kaum die Rede sein. In den vergangenen Monaten hat sich auch die Lage in der Ukraine stark verschlechtert. Hier ist der Einfluss der Partei von Präsident Viktor Janukowitsch so stark geworden, dass die großen staatlichen Sender kaum noch frei und unabhängig berichten können. In Russland ist die Berichterstattung auch auf den privaten Kanälen stark eingeschränkt. Viele dieser Medien gehören reichen Unternehmern, die dem Kreml nahestehen.

Aserbaidschan im Fokus

In den vergangenen Monaten ist Aserbaidschan ins Rampenlicht gerückt, denn erstmals kommt der Eurovision Song Contest in die Kaukasus-Republik. Das Musikspektakel erreicht jährlich insgesamt mehr als 100 Millionen TV-Zuschauer. Damit kommt auch eine große Zahl ausländischer Journalisten ins Land. Dass die Pressefreiheit in Aserbaidschan kleingeschrieben wird, dürfte sich durch den Eurovision Song Contest kaum ändern, meint Michael Klehm vom Deutschen Journalisten-Verband im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Vielleicht werden die Medien kurzzeitig freier berichten können. Aber sobald der internationale Reporter-Tross wieder weg ist, wird Aserbaidschan wieder in die alten Mechanismen zurückfallen."

Michael Klehm vom Deutschen Journalisten-Verband (Foto: privat)
Michael Klehm (DJV): "Überall noch Luft nach oben"Bild: privat

Im internationalen Vergleich, meint Michael Klehm, stehe Europa hinsichtlich der Pressefreiheit sehr gut da - selbst wenn es "immer Luft nach oben" gebe, selbst in Deutschland, wo Journalisten unter anderem befürchten, dass durch die geplante langfristige Speicherung von Telefon- und Internetdaten der Schutz ihrer Informationsquellen nicht mehr gesichert ist.

Und so wird die aktuelle Rangliste von acht anderen europäischen Ländern angeführt: Finnland, Norwegen, Estland, Niederlande, Österreich, Island, Luxemburg und die Schweiz belegen die ersten Plätze. Deutschland steht lediglich auf Platz 16.