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Vielfalt im Ethikrat

Arne Lichtenberg26. April 2012

Der Deutsche Ethikrat trifft sich ab sofort in neuer Zusammensetzung. Erstmals sitzen in dem Gremium auch Vertreter des Islams und des Judentums. Derzeit Themen im Rat: Hirntod, Organentnahme und Intersexualität.

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Sitzung des Deutschen Ethikrates (Foto: Deutscher Ethikrat)
Bild: Deutscher Ethikrat

Ein besonderer Tag ist es für İlhan Ilkılıç und Leo Latasch. Die beiden Mediziner nehmen an diesem Donnerstag (26.04.2012) als neue Mitglieder an der Sitzung des Deutschen Ethikrats teil und sie sind die ersten Vertreter im Ethikrat, die muslimischen bzw. jüdischen Glaubens sind. Bei der Nominierung von Latasch und Ilkılıç betonte Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), dass die Berufung auch die "zunehmende Vielfalt der Gesellschaft in Deutschland abbilden soll".

Der Deutsche Ethikrat ist ein unabhängiges Sachverständigengremium. Er soll die Bundesregierung und den Bundestag in ethischen, medizinischen, rechtlichen und sozialen Fragen beraten. Er muss dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung einmal jährlich Bericht erstatten über seine Aktivitäten und den Stand der gesellschaftlichen Debatte. Der Rat tagt in der Regel einmal monatlich, die Sitzungen sind grundsätzlich öffentlich. Seit 2008 werden die 26 Mitglieder des Ethikrats zur Hälfte vom Deutschen Bundestag und der Regierung bestimmt. Dem Rat gehören neben Medizinern auch Theologen, Philosophen, Ethiker und Juristen an. Die Experten sollen über Forschungsergebnisse etwa aus der Bio- oder Gentechnologie, der Hirnforschung oder der Reproduktionsmedizin diskutieren.

Stolz und Freude

Latasch und Ilkılıç erfüllt die Nominierung für den Ethikrat mit Stolz: "Die Berufung ist eine große Freude und auch Anerkennung für mich. Ich werde versuchen, im Rahmen meiner Arbeit die Wertvorstellungen und Werthaltungen der muslimischen Bevölkerung zu konkretisieren und auch heterogene Positionen in die Diskussion mit einzubringen", sagte Ilkılıç im Gespräch mit der DW. Auch Leo Latasch zeigte sich voller Vorfreude: "Ich habe mich sehr darüber gefreut, weil das im Sinne der Anerkennung ist, dass Juden nun wirklich ihren Platz in der Bundesrepublik gefunden haben und dass sie als Religion anerkannt sind.“

Der Anästhesist Latasch stammt aus Frankfurt am Main. Er ist ärztlicher Leiter des städtischen Rettungsdienstes, gehört dem Direktorium des Zentralrates der Juden an und ist in der Frankfurter Jüdischen Gemeinde und bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden engagiert. Trotz seines Glaubens will er nicht zum Sprachrohr der jüdischen Gemeinde im Ethikrat werden. "Ich habe nicht den Auftrag des Zentralrats der Juden, dass ich nur Sachen machen darf, die absolut der jüdischen Religion entsprechen. Das Gegenteil ist der Fall. Da hätte der Zentralrat auch nie ein Problem damit", stellt Latasch heraus, der sich primär als Mediziner im Rat gefordert sieht.

Leo Latasch (Foto: dpa)
Leo Latasch: "Vermischung zwischen Religion und Medizin"Bild: picture-alliance/dpa
Ilhan Ilkilic (Foto: Markus Schmidt/Johannes Gutenberg-Universität Mainz)
İlhan Ilkılıç: "Wir sitzen alle in einem Schiff"Bild: picture-alliance/dpa

Vorurteile und Vorbehalte berücksichtigen

Sein neuer Kollege in dem Expertengremium, der Mainzer Medizinethiker Ilkılıç, stammt aus der Türkei und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Johannes-Gutenberg-Universität. Der promovierte Mediziner und Philosoph zog Anfang der 1990er-Jahre von Istanbul nach Deutschland. Ilkılıç sieht einiges an Aufklärungsarbeit auf sich zukommen und spürt große Verantwortung. "Gewisse Vorurteile und Vorbehalte müssen in den Diskussionen berücksichtigt werden. Erst dadurch kann man positive Ergebnisse erzielen. Es ist zu einfach und nicht konstruktiv zu sagen: weil sie nicht wissen, was ihre Religion sagt, handeln diese Menschen so oder so."

In letzter Zeit beschäftigte sich der Ethikrat vor allem mit den Themen Hirntod, Organentnahme und Intersexualität. Nach jüdischem Glauben könnte Latasch hier gleich auf ein Problem stoßen, denn nach der jüdischen Lehre soll der Körper möglichst unbeschädigt bestattet werden. Würde man nach dieser Auslegung verfahren, würde dies gegen eine Organentnahme sprechen, doch der Frankfurter Anästhesist widerspricht. "Der Körper soll zwar unbeschädigt in der Erde begraben werden, aber es besteht ein höherwertiges Gut - und das ist Leben zu retten. Diese ethische Frage besteht dann nicht mehr."

Problemfall Organspende?

Und auch auf Ilkılıç wird noch einige Aufklärungsarbeit in punkto Organspende zukommen. Generell begrüße die islamische Welt die Organtransplantation, aber es gebe eine enorme Zurückhaltung in Bezug auf die Organentnahme, sagt er. Der Medizinethiker begründet das mit negativen Erfahrungen, die Muslime in Deutschland gemacht haben könnten: "Wenn diese Menschen auf der Arbeits- oder bei der Wohnungssuche diskriminiert wurden, dann konkretisiert sich diese Erfahrung in Bezug auf die Organspende. Weil die Menschen denken, ich bin Ausländer und werde ständig diskriminiert, dann wird mir - auch wenn ich einen Organspendeausweis habe - nicht ausreichend geholfen. Was sowohl natürlich faktisch, als auch medizinisch nicht stimmt."

Generell will er sich für den Zusammenhalt einsetzen, dafür sei seine Position im Ethikrat genau die richtige. "Wir sitzen alle in einem Schiff und wenn das Schiff sinkt, dann gehen alle unter. Wenn ich ein Organ brauche, dann werde ich ja wahrscheinlich ein Organ von einem Deutschen bekommen. Insofern muss ich auch als Spender das Verantwortungsgefühl haben, dass ich anderen helfen muss", sagt Ilkılıç.

Religion spielt nur eine Nebenrolle

Szene aus Operationssaal (Foto: dpa)
Die Organspende ist in Deutschland noch nicht gänzlich geklärtBild: picture-alliance/dpa

Auch sein Kollege Latasch blickt erwartungsfroh auf seine neue Aufgabe im Ethikrat und die vielen unterschiedlichen Ideen, die von den verschiedenen Kollegen eingebracht werden. "In bestimmten Fragen wird die Religion eine sehr große Rolle spielen", sagt er. Der Vorteil des Ethikrats sei aber, dass er nicht mit einer einheitlichen Stimme sprechen müsse. "Es ist eher ein Denkanstoß, es muss nicht strikt nach der Religion gehen."

Ilkılıç will sich ebenfalls nicht auf seinen muslimischen Hintergrund versteifen. "Es wird nicht meine Aufgabe sein, die muslimische Position einzubringen. Wir leben in einer vielschichtigen Gesellschaft und in einem säkularen Staat." Hauptziel des Ethikrates sei es, den unterschiedlichen Menschen in unserem Land Gehör zu verschaffen. Genau das hatte Bildungsministerin Schavan mit der Berufung der beiden ja auch gewollt.